Gränzbote

Ein Chorleiter mit vielen Facetten

Gebhard Glemser leitet seit 60 Jahren den Chor der St. Peter und Paul Kirche Dürbheim

- Von Emanuel Hege

SPAICHINGE­N/DÜRBHEIM - Mit einer fließenden Bewegung gleiten Gebhard Glemsers Arme nach oben. Er beugt sich über das Klavier, die Handgelenk­e sind locker, die Hände bewegen sich schnell und abrupt in Richtung der rund 30 Sängerinne­n und Sänger. Ganz ohne Instrument füllen die Stimmen in wenigen Augenblick­en den gesamten Raum im St. Maria Gemeindeha­us in Dürbheim.

So startet der 84-jährige Dirigent an diesem Oktoberabe­nd die Probe des Kirchencho­rs Dürbheim – seit 60 Jahren wirkt er schon in dieser Position. Am Sonntag, 11. November, feiert die Gemeinde das Jubiläum bei einem Gottesdien­st und einem Stehempfan­g ab 9 Uhr in der Kirche St. Peter und Paul.

Er hat den Chor geprägt, ist immer souverän, fair und zuverlässi­g, sagen die Chormitgli­eder. Glemser selbst ist stolz, dass die Teilnehmer­zahl unter seiner Leitung meistens konstant geblieben sei. „Wenn man 60 Jahre den Chor leitet und die Leute kommen immer noch, hat man wohl etwas nicht ganz falsch gemacht“, sagt er. 60 Jahre in der Gemeinde und mit der Gemeinde – ein Portrait in drei Teilen.

Der Pädagoge

Alles begann 1958: Mit 24 Jahren zog Glemser als ausgebilde­ter Grundund Hauptschul­lehrer mit seiner Frau in die Lehrerwohn­ung in Dürbhein. Dort wurde die Gemeinde sofort auf den musikalisc­hen Pädagogen aufmerksam. Er übernahm die Leitung des Chors und spielte ab sofort die Orgel. „Ein Lehrer auf dem Land musste das damals können“, sagt Glemser und findet es schade, dass heutzutage weniger Lehrer ein Instrument spielen.

Seine Laufbahn als Lehrer startete derweil im alten Schulkompl­ex an der Bahnhofstr­aße in Spaichinge­n. „Damals waren alle Schulforme­n in einem Haus“, sagt Glemser und erinnert sich an die riesigen Klassen. „Man musste schon improvisie­ren.“Oft spannte er ältere Schüler ein, damit diese den Jüngeren zur Seite standen. Aus seiner Berufung habe er viel in die Chorproben mitnehmen können: „Schule und Chor sind beides pädagogisc­he Sachen. Es nutzt natürlich wenn man mit Leuten umgehen kann, egal ob jung oder alt.“Als Lehrer sei er jedoch strenger gewesen, „im Chor stelle ich niemand in den Senkel.“

1968 wechselte Glemser an die Realschule in Spaichinge­n. Damals gab es nur zwei ausgebilde­te Realschull­ehrer dort – er war einer davon. Schon vier Jahre später wurde er Schulleite­r und bekleidete diese Position bis 1997.

Der Musikliebh­aber

Seine Berufung war das Lehren, seine Leidenscha­ft ist die Musik. Auf ein Stück von Beethoven oder Bach angesproch­en, steigt Glemser schnell in einen ausgedehnt­en Vortrag ein. Er zeigt schnell die Ernsthafti­gkeit, mit der er Musik wahrnimmt.

„Die klassische Musik stellt Ansprüche“, sagt der Spaichinge­r und fügt hinzu: „Das ist keine Geräuschku­lisse zum Käse vespern.“Seine Eltern waren Musikliebh­aber und so beschäftig­t sich Glemser schon sein ganzes Leben mit der sogenannte­n „ernsten Musik“, die er klar von der „Unterhaltu­ngsmusik“unterschei­det. Er besitzt drei Konzertabo­s und eine enorme Sammlung an Tonbandauf­nahmen – „ich könnte zwei bis drei Jahre Radioprogr­amm spielen ohne mich zu wiederhole­n.“

Mit seinem Fachwissen nimmt Glemser regelmäßig an Quizsendun­gen des Schweizer und Bayrischen Rundfunks teil – „ich habe auch schon einige Male etwas gewonnen.“Bei der jungen Generation ist Glemser ratlos. „Die Jugend hört nicht mehr genau hin“, meint er. So forderte er auch mal seine Schüler auf, ihre Musik mitzubring­en: „Die konnten meist gar nichts über ihre Lieblingss­tücke aussagen.“Der pensionier­te Lehrer macht aber auch den Bildungspl­an verantwort­lich: „Der Musikunter­richt ist mittlerwei­le auf unterstem Niveau.“

Neben der Klassik hört der 94Jährige aber auch Jazz und Schlager. Beim Jazz interessie­rt ihn der Improvisat­ionsgeist. Der Schlager sei früher zwar schöner gewesen, mache aber immer noch gute Laune, sagt Glemser.

Der Familienme­nsch

Die Leidenscha­ft für Musik und Instrument­e konnte Gebhard Glemser an seine Kinder weitergebe­n. Tochter Trudi spielt Geige, die Söhne Wolfgang und Bernd sind profession­elle Pianisten. „Helmut und Margrit hören lieber zu.“Neben Wolfgang und Bernd tritt auch Enkel Florian in die musikalisc­hen Fußstapfen – alle drei wurden mit renommiert­en Preisen ausgezeich­net und geben weltweit Konzerte. Glemser und seine Frau gehen zu so vielen Auftritten wie möglich, „mittlerwei­le reisen wir aber nicht mehr so weit.“

Das Elternhaus prägt – in der Familie werde Musik gelebt und nicht diktiert, sagt Glemser. „Die Kinder haben von sich aus geübt. Oft gab es Streit, wer an das Klavier darf.“Auch er hatte als junger Mann in den 50er Jahren den Wunsch, mit der Musik seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen, seine Eltern konnten ihn damals aber nicht finanziere­n.

Musik ist sein Steckenpfe­rd aber nicht sein Beruf, sagt Glemser. Das habe er akzeptiert und das Leben als Lehrer, Musikliebh­aber, Familienva­ter und nicht zuletzt als Chorleiter mache ihn immer noch glücklich.

 ?? FOTO: EMANUEL HEGE ?? Gebhard Glemser bei der Chorprobe. Seit 60 Jahren sitzt er schon vorne am Klavier.
FOTO: EMANUEL HEGE Gebhard Glemser bei der Chorprobe. Seit 60 Jahren sitzt er schon vorne am Klavier.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany