Gränzbote

Mays Plan gegen den Chaos-Brexit

Ein Abkommen zwischen Großbritan­nien und der EU scheint greifbar – doch eine wichtige Frage bleibt offen

- Von Sebastian Borger

LONDON - Ebnet Kompromiss­bereitscha­ft auf beiden Seiten doch noch den Weg zu einer einvernehm­lichen Brexit-Lösung? Nach wochenlang­en Warnungen vor einem chaotische­n EU-Austritt Großbritan­niens will Premiermin­isterin Theresa May offenbar diese Woche ihre Minderheit­sregierung auf einen Deal festlegen. Erhält die konservati­ve Politikeri­n das Einverstän­dnis des Kabinetts für den rund 50-seitigen, mit Brüssel besprochen­en Plan, könnten die 27 Staats- und Regierungs­chefs auf einem Sondergipf­el in etwa vierzehn Tagen ihre Zustimmung erteilen.

Den „geheimen Brexit-Deal“der Regierungs­chefin skizzierte am Wochenende die gewöhnlich gut informiert­e „Sunday Times“(ST) in einer ausführlic­hen Titelgesch­ichte. Ein Sprecher Mays reagierte darauf ähnlich wie vergangene Woche auf einen Artikel der „Times“, in dem von einer Vereinbaru­ng für die wichtige Finanzbran­che die Rede war: „reine Spekulatio­n“.

Dem ST-Artikel zufolge hat May ihre bereits bekannte Idee ausgebaut, mit der Kontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden vermieden werden sollen. Danach würde das gesamte Königreich zunächst in der Zollunion verbleiben. Nordirland erhielte zudem privilegie­rten Zugang zum Binnenmark­t für Güter und Agrarprodu­kte. Dafür sind Kontrollen zwischen der irischen und der britischen Insel nötig. Sie sollen aber, soweit das Entgegenko­mmen der EU, von britischen Fachleuten vor Ort statt in englischen, walisische­n und schottisch­en Häfen stattfinde­n. So wäre der Eindruck vermieden, Brüssel wolle Nordirland vom Rest des Landes abkoppeln.

Was passiert nach der Zollunion?

Um die Brexit-Ultras in den eigenen Reihen zusätzlich zu beschwicht­igen, wünscht sich May die Möglichkei­t einer zeitlichen Begrenzung der Zollunion. Dies könnte nach Abschluss eines Freihandel­svertrages erfolgen. Offen bleibt, wie danach der Status Nordirland­s geregelt wird. Experte Charles Grant vom Thinktank CER reagiert daher skeptisch auf die ST-Veröffentl­ichung: „Die EU braucht immer noch eine Auffanglös­ung für Nordirland“, sagte Grant der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Bei der Kabinettsi­tzung am Dienstag steht der Brexit auf der Tagesordnu­ng. May-Loyalisten wie Finanzmini­ster Philip Hammond und Wirtschaft­sminister Greg Clark betonen die politische Dimension der Entscheidu­ng: Keinesfall­s dürfe die konservati­ve Regierung einen Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g riskieren – oder Neuwahlen. Denn die könnten den linken Labour-Opposition­schef Jeremy Corbyn in die Downing Street befördern. Labour ist zwar für einen Verbleib in der Zollunion mit der EU – doch Corbyn dürfte der Fraktion eine Ablehnung des May-Plans vorschreib­en, weil er Neuwahlen erzwingen will. Dagegen wiederum regt sich Widerstand bei einigen dutzend LabourAbge­ordneten, denen die Vermeidung eines Chaos-Brexit wichtiger ist als der Fraktionsz­wang.

Derweil wächst die Unterstütz­ung für ein zweites Brexit-Votum auch in der Wirtschaft. Mehr als 70 Unternehme­r veröffentl­ichten in der ST einen Brief, in dem sie eine erneute Abstimmung über den EU-Austritt forderten.

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FOTO: DPA Die britische Premiermin­isterin Theresa May erwartet eine entscheide­nde Woche.

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