Die „Neue“bei Aesculap
Katrin Sternberg ist im Vorstand für Forschung und Entwicklung zuständig.
TUTTLINGEN - Von Rostock bis nach Tuttlingen sind es rund 1000 Kilometer. Für Katrin Sternberg, seit August im Vorstand für Forschung und Entwicklung bei Aesculap, war das Überwinden dieser Distanz ein logischer Schritt und gedanklich im Grunde nur ein Katzensprung. „Ich freue mich, dass ich hier so viel gestalten kann“, sagt die 49-Jährige, die es als erste Frau in das obere Führungsgremium des Medizintechnikunternehmens geschafft hat.
sDie ehemalige Professorin der Universität Rostock ist über die Begeisterung für Biomaterialien und Implantate zu Aesculap gekommen. Im Übrigen schon vor viereinhalb Jahren.
Der Terminkalender Katrin Sternbergs hat bis Jahresende so gut wie keine Lücken mehr. Vergangene Woche war sie in Malaysia. Die Unternehmensstandorte in China, Polen, Spanien, Frankreich und den USA gehören in ihrer Funktion ebenfalls dazu. „Ich habe mit allen Produktentwicklungen zu tun, die von Tuttlingen aus entstehen“, erklärt sie. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, diese Innovationen international zu verzahnen und zu vernetzen.
Von Haus aus ist Sternberg promovierte Chemikerin, in den Ingenieurwissenschaften hat sie habilitiert. Mitte 2017 hat sie die Leitung der gesamten Forschung und Entwicklung bei Aesculap übernommen, ehe sie im August 2018 in den Vorstand berufen wurde. Bereits im vergangenen Jahr hat sie damit begonnen, fach- und bereichsübergreifende Projektteams zu bilden. „Das motiviert die Mitarbeiter ungemein“, hat Sternberg festgestellt. Zudem müsste gerade der Bereich Forschung und Entwicklung ein ureigenes Interesse daran haben, eng mit Marketing, Vertrieb und der Produktion vernetzt zu sein. „Wir sind da sehr geöffnet unterwegs, sonst entstehen die falschen Produkte“, ist ihre Überzeugung.
Dazu gehört auch, dass sich die Ingenieure und Naturwissenschaftler von Aesculap mit ihren neuen oder weiter entwickelten Produkten auf die Mediziner zubewegen, um in der Praxis zu erfahren, welche Anforderungen diese haben. So geschehen bei der neuen Sterilcontainer-Linie, die 2019 auf den Markt kommt. Die bessere Kennzeichnung auf den Containern sei ein Wunsch der Anwender gewesen. Ebenfalls verbessert wurden die Ergonomie, die Trocknungseigenschaften und das Filtersystem.
Künstliche Intelligenz
Die Herausforderungen sind auch für ein Unternehmen wie Aesculap, das eine herausragende Stellung auch im internationalen Markt hat, stark gestiegen. Das liegt nicht nur an der neuen Europäischen Medizinprodukteverordnung, die den Firmen sowohl in der Dokumentation als auch in der Zulassung neuer Produkte mehr abverlangt. Es ist vor allem der enorme Wandel durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotik, der sich Bahn bricht. „Heute ist im Grunde nicht mehr absehbar, wie sich der Markt in zehn bis 15 Jahren darstellen wird“, sagt Sternberg. „Trotzdem müssen wir es schaffen, voraus zu denken.“Aesculap sucht gezielt nach IT-Experten, nach Data-Scientists und Fachleuten aus der Mikro-Elektronik. Vom angestammten Personal – „egal aus welchem Grundberuf“– wird verlangt, sich flexibel auf schnelle, verändernde Zyklen einzustellen.
Sowohl im Implantat- als auch im Instrumentesektor – den Grundkompetenzen von Aesculap – werden Schnittstellen zur Navigation und Robotik notwendig. Aesculap ist derzeit auch dabei, eine App für Wirbelsäulenanwendungen in die Marktzulassung zu bringen. Mehr will Sternberg zum jetzigen Entwicklungsstand nicht sagen. „Da sind wir ständig in der Aktualisierung“, erklärt sie.
Auch sonst müssten permanent neue Ideen in den Trichter eingebracht werden, um dann am schmalen unteren Ende noch etwas übrig zu haben. Schneller in die Prototypen zu gehen und damit den möglichen Kunden baldmöglichst einzubeziehen, das ist ihr Antrieb. Sternberg: „Es ist keine Schwäche, wenn ein Projekt letzten Endes auch mal nicht umgesetzt wird.“
Spartenübergreifend nutzen
Aktiv unterwegs ist Aesculap im Entwickeln von Implantaten, die lokal Wirkstoffe abgeben können, um beispielsweise Infektionsherde zu vermeiden. Sternberg sieht gute Chancen, diese biotechnologisch gewonnenen Wirkstoffe auch spartenübergreifend zu nutzen, im gesamten B. Braun-Konzern. „Das begeistert mich total“, bekennt sie. Geforscht wird auch an der Möglichkeit, dass Träger von Knieprothesen digital Rückmeldungen ihres Implantats bekommen, zum Beispiel über Belastungsspitzen bei sportlichen Aktivitäten. Ein großes Thema beim Einsatz von Sensorik im InstrumenteBereich ist die Haptik: Was sonst im manuellen Gebrauch durch die jahrelange Erfahrung fühlbar ist, also die strukturellen Unterschiede von Gewebe, von Blutgefäßen und Nervenbahnen, muss für den Chirurgen auch mit dieser Technik nachvollziehbar sein.
Katrin Sternberg hat den Umstieg von der akademischen Welt in die Industrie noch keine Sekunde bereut – im Gegenteil. Das aktive Gestalten, die Beteiligung im Entwicklungsprozess bis hin zu einem greifbaren Endprodukt begeistern und motivieren die Norddeutsche. Sie sei bei Aesculap mit offenen Armen empfangen worden. „Und wenn ich etwas nicht verstehe, dann frage ich einfach nach“, sagt sie. Dieser Satz bezieht sich keineswegs auf Fachliches – sondern auf den noch immer etwas ungewohnten hiesigen Dialekt.