Gränzbote

London verkündet Einigung bei Brexit-Verhandlun­gen

Britische Premiermin­isterin versucht ihr Kabinett sowie das Unterhaus hinter der Vereinbaru­ng zu sammeln

- Von Sebastian Borger

LONDON - Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat am Dienstagab­end nach der von London verkündete­n vorläufige­n Einigung bei den Brexit-Verhandlun­gen mit Brüssel damit begonnen, ihr Kabinett sowie das Unterhaus hinter der geplanten Vereinbaru­ng zu sammeln. In Einzelgesp­rächen mit den Ministern an ihrem Amtssitz in der Downing Street sondierte die konservati­ve Politikeri­n die Stimmung in ihrer Partei. Für Mittwoch ist eine Sondersitz­ung des Kabinetts vorgesehen; sollte May dort grünes Licht bekommen, würde noch in diesem Monat ein EUSondergi­pfel einberufen.

Einzelheit­en über die offenbar mehrere Hundert Seiten umfassende­n Dokumente – den EU-Austrittsv­ertrag sowie die politische Erklärung über die zukünftige Zusammenar­beit – sickerten noch nicht durch. Brüssel hielt sich bedeckt; die irische Regierung ließ verlauten, die Verhandlun­gen seien „noch nicht beendet“.

Bis zuletzt umstritten war eine Garantie zum künftigen Status von Nordirland. Alle Parteien hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, daß die extrem durchlässi­ge Grenze zwischen der britischen Nordprovin­z und der Republik im Süden auch in Zukunft offengehal­ten werden solle. Da dies nicht mit Londons ursprüngli­chem Plan eines glatten Austritts aus Binnenmark­t und Zollunion – dem sogenannte­n harten Brexit – vereinbar war, ist die May-Regierung in den vergangene­n Monaten auf einen weicheren Kurs eingeschwe­nkt.

Offenbar soll nun das gesamte Vereinigte Königreich über die ohnehin vereinbart­e Übergangsp­hase bis Ende Dezember 2020 hinaus in der Zollunion mit der EU verbleiben, bis eine Speziallös­ung für Nordirland gefunden ist. Presseberi­chten in London zufolge stellten wichtige EU-Mitglieder wie Italien, Deutschlan­d und die Niederland­e für dieses Entgegenko­mmen harte Bedingunge­n. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedsc­haft in der Zollunion auch zukünftig an EU-Mindeststa­ndards in der Arbeits- und Umweltgese­tzgebung halten.

May stand seit Monaten in der Kritik der Brexit-Ultras in ihrer eigenen Partei, angeführt von den Ex-Ministern Boris Johnson und David Davis, die im Juli das Kabinett verlassen hatten. Sie haben jegliche Einschränk­ung britischer Souveränit­ät von 2021 an ausgeschlo­ssen; sollte die EU hart bleiben, müsse man zum vorgesehen­en Termin Ende März ohne Vereinbaru­ng ausscheide­n. Davor warnt die britische Wirtschaft. Große Unternehme­n haben bereits Fabrikschl­ießungen und Kurzarbeit angekündig­t, zudem viele Millionen in die Lagerung von Ersatzteil­en für die Produktion investiert.

Vergangene Woche geriet die Premiermin­isterin zusätzlich ins Kreuzfeuer der konservati­ven EU-Freunde. Johnsons jüngerer Bruder Joseph trat von seinem Posten als VerkehrsSt­aatssekret­är zurück mit der Begründung, May wolle das Land vor eine inakzeptab­le Alternativ­e stellen: „Entweder Vasallentu­m oder Chaos.“Stattdesse­n solle das Wahlvolk in einer zweiten Abstimmung die Gelegenhei­t bekommen, den EUAustritt rückgängig zu machen. Dafür setzen sich Prominente wie der Ex-Fußballpro­fi Gary Lineker, Popsänger Bob Geldof und Ex-Premier Tony Blair ein.

Auch Opposition unter Druck

Die offenbar unterschri­ftsreife Vereinbaru­ng zwischen London und Brüssel setzt neben den Gruppen innerhalb der konservati­ven Regierungs­partei auch die Labour-Opposition unter neuen Druck. Parteichef Jeremy Corbyn steht dem europäisch­en Einigungsp­rojekt feindselig gegenüber; dem Magazin „Spiegel“teilte er jüngst mit, der Brexit sei nicht mehr aufzuhalte­n. Öffentlich widersprac­h dieser Einlassung Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer: Die Partei werde Mays Deal sorgfältig prüfen und einen Chaos-Brexit nicht zulassen. Notfalls sei auch ein zweites Referendum denkbar.

Aus Brüssel hatte es bereits vergangene Woche geheißen, man bereite sich auf einen Brexit-Sondergipf­el am 25. November vor. Die Finanzmärk­te reagierten am Dienstag positiv: Das Pfund legte gegenüber Dollar und Euro zu.

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FOTO: DPA London vermeldet den Durchbruch: Der britischen Regierung zufolge haben Unterhändl­er Einigung bei den Brexit-Gesprächen erzielt.

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