Gränzbote

Asterisk im Land der Gendergap

In Passau tagt der Rat für Rechtschre­ibung

- ANZEIGE Von Ute Wessels

PASSAU (dpa) - Wie soll künftig geschriebe­n werden, um Männer, Frauen und weitere Geschlecht­er gleicherma­ßen zu berücksich­tigen? Mit dieser Frage hat sich der Rat für deutsche Rechtschre­ibung befasst. Am Freitag will er Ergebnisse vorlegen.

Seit dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes im vergangene­n Jahr, nach dem im Geburtenre­gister neben „männlich“und „weiblich“eine dritte Option geschaffen werden soll, hat sich die Debatte verschärft. Am Freitag werden die Rechtschre­ibexperten bei einer Tagung in Passau voraussich­tlich Empfehlung­en zum geschlecht­ergerechte­n Schreiben geben.

Geschlecht­ergerecht schreiben

Möglich sind Varianten wie die mit dem Sternchen – Asterisk – im Wort wie bei „Lehrer*in“oder mit dem Tiefstrich – Gendergap – wie bei „Lehrer_in“oder „Lehr_er_in“. Bei seiner Sitzung im Juni in Wien war der Rat übereingek­ommen, dass geschlecht­ergerechte Sprache verständli­ch, lesbar, vorlesbar, grammatisc­h korrekt sowie eindeutig und rechtssich­er sein soll. Eine klare Tendenz, wie durch Orthografi­e die Schreibung geschlecht­ergerecht gestaltet werden könne, hatten die Experten noch nicht ausmachen können.

Man dürfe nicht darüber hinwegsehe­n, dass sich die deutsche Sprache historisch entwickelt habe und weiter entwickeln werde, sagt Josef Lange, Vorsitzend­er des Rates für deutsche Rechtschre­ibung mit Sitz in Mannheim. Eine Variante, die verstärkt praktizier­t werde, sei die Verwendung geschlecht­sneutraler Begriffe wie „Studierend­e“statt „Studenten und Studentinn­en“oder „Lehrperson“statt „Lehrer“. Es sei auch zu unterschei­den, um welche Art Text es sich jeweils handele, sagt Lange. Bei einem Gesetzes- oder Verwaltung­stext gebe es andere Maßstäbe als bei einem journalist­ischen oder literarisc­hen Text.

Henning Lobin, neuer Direktor des Instituts für Deutsche Sprache und jetzt auch Ratsmitgli­ed, erklärt, dass bestimmte Gruppen von Menschen auch in sprachlich­er Hinsicht deutlicher erkennbar werden wollen. Sprache werde als ein wichtiger Bestandtei­l des Ausdrucks gesellscha­ftlicher Prozesse und Strukturen gesehen. „Insofern hat die Frage nach der geschlecht­ergerechte­n Personenbe­zeichnung eine Art Symbolchar­akter erhalten, die etwas überhöht diskutiert wird“, räumt Lobin ein.

Die Debatte sei jedoch nicht nur eine Marotte einer Gruppe, sondern durch das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts für öffentlich­e Einrichtun­gen hochreleva­nt geworden. „Die Binarität des Geschlecht­es besteht rechtlich nicht mehr.“Im Alltag zeige sich das beispielsw­eise in Stellenaus­schreibung­en, wenn etwa nach einem „Elektriker (m, w, divers)“gesucht werde. Lobin betont, dass es dem Rat nicht darum gehe, den Sprachgebr­auch regulieren zu wollen, sondern den staatliche­n Stellen der beteiligte­n Länder lediglich Empfehlung­en zu Rechtschre­ibung und Zeichenset­zung zu geben.

Ein scharfer Kritiker von Schreibwei­sen mit Sternchen oder Tiefstrich ist der Sprachwiss­enschaftle­r Peter Eisenberg. Nach Ansicht des emeritiert­en Linguistik-Professors ist der Asterisk ein sprachfrem­des Element. Er fürchtet, dessen Einführung in der Behördensp­rache sei nur ein erster Schritt. „Jetzt wird er toleriert, in zwei bis drei Jahren akzeptiert, und dann heißt es: ,Warum kommt er nicht auch in Schulbüche­r?’“Er spricht von einer bedrohlich­en Entwicklun­g, die von geschlosse­nen Zirkeln gewaltig vorangetri­eben werde.

Die Schreibwei­se „Lehrer*in“sei genau genommen auch nicht gerecht, fügt Eisenberg an. Nicht nur, weil die männliche vor der weiblichen Form stehe, sondern weil sich sämtliche andere Geschlecht­sidentität­en „hinter dem Sternchen verstecken“müssten.

Die Freiheit des Sprachgebr­auchs

„Ich habe immer für die Gleichbere­chtigung der Frau gearbeitet“, sagt Eisenberg. Eingriffe in die deutsche Sprache seien dafür jedoch nicht notwendig. „Das Deutsche kann alles, was man von ihm verlangt.“Er verweist darauf, dass der Begriff „Richter“im Sinne des generische­n Maskulinum­s für die Berufsgatt­ung stehe und nicht für die männliche Form. Als Beispielsa­tz sagt er: „In Berlin sind 60 Prozent der Richter Frauen“– und eben nicht „60 Prozent der Richterinn­en“.

Für Eisenberg ist jedenfalls klar: Niemand dürfe zu Genderspra­che gezwungen werden. „Das wäre das Ende des freien Sprachgebr­auchs.“

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