Gegen den Kundenschwund
Das Einkaufserlebnis ist auch in Tuttlingen ein entscheidender Faktor.
TUTTLINGEN – Die Zahl der Einkäufer in den Innenstädten BadenWürttembergs geht Jahr für Jahr zurück – das ergab eine aktuelle Umfrage unter Mitgliedern des Handelsverbands Baden-Württemberg. Davon betroffen ist auch der Einzelhandel in Tuttlingen. Die Industrieund Handelskammer SchwarzwaldBaar-Heuberg (IHK), das City-Management der Stadt Tuttlingen und der Tuttlinger Gewerbe- und Handelsverein PROTUT wollen den Handel stärken. Doch wie diesen Herausforderungen begegnet werden sollte, dazu gibt es verschiedene Meinungen.
„Der Verkäufer ist kein Verkäufer mehr, denn viele Kunden wissen bereits ganz genau, was sie wollen und haben sich online über das Produkt informiert“, berichtet Lena Häsler, Projektleiterin Handel der IHK. Vor einigen Jahren seien die Kunden noch in die Stadt zum Einkaufen gegangen, um das Lädensterben zu verhindern. Das habe sich inzwischen verändert: Kunden ziehe es in die Stadt, in denen das Einkaufserlebnis hochgehalten werde. Den Service in einem Mittelzentrum wie Tuttlingen sieht Häsler relativ gut aufgestellt. Gerade die inhabergeführten Geschäfte, die ihr Handwerk sehr gut verstehen, seien für Tuttlingen wertvoll. „Stuttgart zum Beispiel zieht unheimlich viel Kaufkraft, aber durch die Ketten sind die Läden austauschbar. Die Individualität geht durch die Masse verloren, aber Individualität stärkt den Standort.“
Standortpolitische Themen hätten einen hohen Stellenwert bei der IHK, betont Häsler. Schließlich sei die Funktionsfähigkeit der Innenstädte ein wichtiger weicher Standortfaktor, ein Anziehungspunkt für Wohnen, Arbeiten und Kultur. Um die Funktionsfähigkeit der Innenstädte zu erhalten, trete die IHK als Vermittler auf, um Handel, Gewerbe, Industrie und Wirtschaft in der Zusammenarbeit zu fördern. „Das wichtigste für die Kunden sind Komfort, erfahrener Service, leichte Bezahlmöglichkeit, Freundlichkeit und Geschwindigkeit. Davon hängen 70 bis 80 Prozent des Kauferlebnisses ab, nur dann erreicht man eine hohe Zahlbereitschaft“, schildert Häsler. Denn: Laut einer Studie von PricewaterCoopers (PwC) sagen immerhin 74 Prozent der Befragten, dass das Erlebnis kaufentscheidend sei und sie aufgrund des Erlebnisses überhaupt in Geschäften einkaufen gehen würden. Derzeit finden jedoch über die Hälfte der Konsumenten, das Erlebnis beim Einkaufen sei nicht groß genug.
„Alles, was Leute in die Stadt zieht, ein Erlebnis in die Stadt bringt und die Leistungsbereitschaft erhöht, unterstützen wir“, betont Häsler. Der Konsument sei aufgrund von Digitalisierung und Stress auf der Suche nach Bequemlichkeit. „Wenn ich am Freitag um 19 Uhr aus dem Büro komme ist das nicht bequem. Der Sonntag ist bequem“, meint Häsler.
Digitalisierung noch nicht angekommen
Gerade an der Digitalisierung hapert es laut Citymanager Alexander Stengelin in Tuttlingen aber noch – da sei wenig Wissen und wenig Wunsch, sich zu verändern. Wer im Internet gefunden werden will, müsse zumindest seine Öffnungszeiten ordentlich online stellen. „Jeder sollte sich selbst mal googlen“, schlägt er vor. Und die eigenen schlechten Bewertungen nutzen, um sich zu verbessern. Das Händlerkolleg, das Protut zusammen mit der IHK anbietet, werden noch zu wenig genutzt. „Ein Verkaufscoaching ist ja keine Beleidigung – kleine Ketten wie die Parfümerie Gradmann und Buch Greuther schicken ihre Leute ständig zu Verkaufsschulungen.“
Das City-Management der Stadt Tuttlingen setzt neben der Qualitätssicherung vor allem auf verkaufsoffene Sonntage, die nur in Zusammenhang mit größeren Events, etwa der Ausbildungsbörse und den Gesundheitstagen erlaubt sind. Doch der Umsatz an den verkaufsoffenen Sonntagen passt gerade bei den inhabergeführten Läden nicht. „Es wird an den verkaufsoffenen Sonntagen nicht viel geshoppt, die Leute sind mehr zum Kaffeetrinken und Freunde treffen unterwegs“, hat Claudia Diener, Inhaberin der Modeboutique Elfenreich, beobachtet. „Je mehr Rahmenprogramm es gibt, desto schlechter ist der Umsatz im Einzelhandel“, stellt Andreas Ströble vom Optikhaus Ströble fest. Ob Stadthüpfen oder Gesundheitstage: Die Leute kämen zwar in die Stadt, um dort zu verweilen, aber nicht zum Einkaufen. Auch Jörg Sutter, Geschäftsührer des Vaude Store und des Taschengeschäfts Kohler-Gehring ist der Meinung, dass die verkaufsoffenen Sonntage von Jahr zu Jahr schlechter werden. Dieses Konzept habe früher einmal funktioniert, sich inzwischen aber totgetreten.
„Wenn ich sehe, was PROTUT da im Ehrenamt stemmen muss, um die Auflagen für den verkaufsoffenen Sonntag zu erfüllen, würde ich eher auf eine lange Einkaufsnacht gehen. Da gibt es nicht diese Auflagen.“Sutter plädiert für nur einen verkaufsoffenen Sonntag im Jahr und zusätzlich eine Aktion wie eine lange Einkaufsnacht: Schöne Lichter vor jedem Geschäft, zum Beispiel mit Pylonen, und Musik dazu. Andreas Ströble findet, dass das Street-FoodFestival sowie die Weinstraße, die es bis 2011 gab, viel Kaufkraft in die Stadt gebracht hätten. Claudia Diener schätzt eine Lange Einkaufsnacht ebenfalls besser als einen verkaufsoffenen Sonntag ein. „Da konnte man von der Stadt Scheinwerfer mieten, das war toll. Es war nicht so richtig gut besucht, aber da würde ich gern nochmal mitmachen.“
Konzerne auf verkaufsoffene Sonntage angewiesen
Dass die Umsätze an den verkaufsoffenen Sonntagen bei den Einzelhändlern extrem runtergegangen sind, ist Citymanager Alexander Stenglin bekannt. Dennoch hält er das Konzept für richtig. „Die Ketten wie H&M, der Modepark Röther, Müller und Depot sind extrem darauf angewiesen, dass in der Stadt ein verkaufsoffener Sonntag gemacht wird – auch wenn sie sich von der Konzernzentrale aus gar nicht mit einbringen dürfen. Und die Ketten wiederum sind als Frequenzbringer wichtig für die inhabergeführten Geschäfte“, schildert Stengelin.
An den Sonntagen kämen Leute aus der ganzen Region; das werde anhand der Nummernschilder in den Parkhäusern ermittelt. Dass zum Stadthüpfen oder den Gesundheitstagen die falschen Leute in die Stadt kämen, denkt er nicht. „Die Leute sind in einem anderen Modus, sie kommen wegen des Entertainments, nicht zum Shoppen. Aber sie sehen, was es in der Stadt gibt und wir haben die Hoffnung, dass sie an einem anderen Tag wiederkommen.“