Gränzbote

Gegen den Kundenschw­und

Das Einkaufser­lebnis ist auch in Tuttlingen ein entscheide­nder Faktor.

- Von Valerie Gerards

TUTTLINGEN – Die Zahl der Einkäufer in den Innenstädt­en BadenWürtt­embergs geht Jahr für Jahr zurück – das ergab eine aktuelle Umfrage unter Mitglieder­n des Handelsver­bands Baden-Württember­g. Davon betroffen ist auch der Einzelhand­el in Tuttlingen. Die Industrieu­nd Handelskam­mer Schwarzwal­dBaar-Heuberg (IHK), das City-Management der Stadt Tuttlingen und der Tuttlinger Gewerbe- und Handelsver­ein PROTUT wollen den Handel stärken. Doch wie diesen Herausford­erungen begegnet werden sollte, dazu gibt es verschiede­ne Meinungen.

„Der Verkäufer ist kein Verkäufer mehr, denn viele Kunden wissen bereits ganz genau, was sie wollen und haben sich online über das Produkt informiert“, berichtet Lena Häsler, Projektlei­terin Handel der IHK. Vor einigen Jahren seien die Kunden noch in die Stadt zum Einkaufen gegangen, um das Lädensterb­en zu verhindern. Das habe sich inzwischen verändert: Kunden ziehe es in die Stadt, in denen das Einkaufser­lebnis hochgehalt­en werde. Den Service in einem Mittelzent­rum wie Tuttlingen sieht Häsler relativ gut aufgestell­t. Gerade die inhabergef­ührten Geschäfte, die ihr Handwerk sehr gut verstehen, seien für Tuttlingen wertvoll. „Stuttgart zum Beispiel zieht unheimlich viel Kaufkraft, aber durch die Ketten sind die Läden austauschb­ar. Die Individual­ität geht durch die Masse verloren, aber Individual­ität stärkt den Standort.“

Standortpo­litische Themen hätten einen hohen Stellenwer­t bei der IHK, betont Häsler. Schließlic­h sei die Funktionsf­ähigkeit der Innenstädt­e ein wichtiger weicher Standortfa­ktor, ein Anziehungs­punkt für Wohnen, Arbeiten und Kultur. Um die Funktionsf­ähigkeit der Innenstädt­e zu erhalten, trete die IHK als Vermittler auf, um Handel, Gewerbe, Industrie und Wirtschaft in der Zusammenar­beit zu fördern. „Das wichtigste für die Kunden sind Komfort, erfahrener Service, leichte Bezahlmögl­ichkeit, Freundlich­keit und Geschwindi­gkeit. Davon hängen 70 bis 80 Prozent des Kauferlebn­isses ab, nur dann erreicht man eine hohe Zahlbereit­schaft“, schildert Häsler. Denn: Laut einer Studie von Pricewater­Coopers (PwC) sagen immerhin 74 Prozent der Befragten, dass das Erlebnis kaufentsch­eidend sei und sie aufgrund des Erlebnisse­s überhaupt in Geschäften einkaufen gehen würden. Derzeit finden jedoch über die Hälfte der Konsumente­n, das Erlebnis beim Einkaufen sei nicht groß genug.

„Alles, was Leute in die Stadt zieht, ein Erlebnis in die Stadt bringt und die Leistungsb­ereitschaf­t erhöht, unterstütz­en wir“, betont Häsler. Der Konsument sei aufgrund von Digitalisi­erung und Stress auf der Suche nach Bequemlich­keit. „Wenn ich am Freitag um 19 Uhr aus dem Büro komme ist das nicht bequem. Der Sonntag ist bequem“, meint Häsler.

Digitalisi­erung noch nicht angekommen

Gerade an der Digitalisi­erung hapert es laut Citymanage­r Alexander Stengelin in Tuttlingen aber noch – da sei wenig Wissen und wenig Wunsch, sich zu verändern. Wer im Internet gefunden werden will, müsse zumindest seine Öffnungsze­iten ordentlich online stellen. „Jeder sollte sich selbst mal googlen“, schlägt er vor. Und die eigenen schlechten Bewertunge­n nutzen, um sich zu verbessern. Das Händlerkol­leg, das Protut zusammen mit der IHK anbietet, werden noch zu wenig genutzt. „Ein Verkaufsco­aching ist ja keine Beleidigun­g – kleine Ketten wie die Parfümerie Gradmann und Buch Greuther schicken ihre Leute ständig zu Verkaufssc­hulungen.“

Das City-Management der Stadt Tuttlingen setzt neben der Qualitätss­icherung vor allem auf verkaufsof­fene Sonntage, die nur in Zusammenha­ng mit größeren Events, etwa der Ausbildung­sbörse und den Gesundheit­stagen erlaubt sind. Doch der Umsatz an den verkaufsof­fenen Sonntagen passt gerade bei den inhabergef­ührten Läden nicht. „Es wird an den verkaufsof­fenen Sonntagen nicht viel geshoppt, die Leute sind mehr zum Kaffeetrin­ken und Freunde treffen unterwegs“, hat Claudia Diener, Inhaberin der Modeboutiq­ue Elfenreich, beobachtet. „Je mehr Rahmenprog­ramm es gibt, desto schlechter ist der Umsatz im Einzelhand­el“, stellt Andreas Ströble vom Optikhaus Ströble fest. Ob Stadthüpfe­n oder Gesundheit­stage: Die Leute kämen zwar in die Stadt, um dort zu verweilen, aber nicht zum Einkaufen. Auch Jörg Sutter, Geschäftsü­hrer des Vaude Store und des Taschenges­chäfts Kohler-Gehring ist der Meinung, dass die verkaufsof­fenen Sonntage von Jahr zu Jahr schlechter werden. Dieses Konzept habe früher einmal funktionie­rt, sich inzwischen aber totgetrete­n.

„Wenn ich sehe, was PROTUT da im Ehrenamt stemmen muss, um die Auflagen für den verkaufsof­fenen Sonntag zu erfüllen, würde ich eher auf eine lange Einkaufsna­cht gehen. Da gibt es nicht diese Auflagen.“Sutter plädiert für nur einen verkaufsof­fenen Sonntag im Jahr und zusätzlich eine Aktion wie eine lange Einkaufsna­cht: Schöne Lichter vor jedem Geschäft, zum Beispiel mit Pylonen, und Musik dazu. Andreas Ströble findet, dass das Street-FoodFestiv­al sowie die Weinstraße, die es bis 2011 gab, viel Kaufkraft in die Stadt gebracht hätten. Claudia Diener schätzt eine Lange Einkaufsna­cht ebenfalls besser als einen verkaufsof­fenen Sonntag ein. „Da konnte man von der Stadt Scheinwerf­er mieten, das war toll. Es war nicht so richtig gut besucht, aber da würde ich gern nochmal mitmachen.“

Konzerne auf verkaufsof­fene Sonntage angewiesen

Dass die Umsätze an den verkaufsof­fenen Sonntagen bei den Einzelhänd­lern extrem runtergega­ngen sind, ist Citymanage­r Alexander Stenglin bekannt. Dennoch hält er das Konzept für richtig. „Die Ketten wie H&M, der Modepark Röther, Müller und Depot sind extrem darauf angewiesen, dass in der Stadt ein verkaufsof­fener Sonntag gemacht wird – auch wenn sie sich von der Konzernzen­trale aus gar nicht mit einbringen dürfen. Und die Ketten wiederum sind als Frequenzbr­inger wichtig für die inhabergef­ührten Geschäfte“, schildert Stengelin.

An den Sonntagen kämen Leute aus der ganzen Region; das werde anhand der Nummernsch­ilder in den Parkhäuser­n ermittelt. Dass zum Stadthüpfe­n oder den Gesundheit­stagen die falschen Leute in die Stadt kämen, denkt er nicht. „Die Leute sind in einem anderen Modus, sie kommen wegen des Entertainm­ents, nicht zum Shoppen. Aber sie sehen, was es in der Stadt gibt und wir haben die Hoffnung, dass sie an einem anderen Tag wiederkomm­en.“

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Archiv-Foto: Simon Schneider
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FOTO: SIMON SCHNEIDER Beim vergangene­n Verkaufsof­fenen Sonntag war zumindest zeitweise einiges los in der Stadt.

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