Die Wiedergeburt des Elsass
Wer durch das Elsass reist, sieht in Andenkenläden oder auf Autokennzeichen die rot-weiße Flagge. „Rot un wiss“ist Teil der elsässischen Identität, von der nach der Regionalreform 2016 nur wenig übrig geblieben war. Elsass, Lothringen und ChampagneArdenne wurden zur Großregion Ost zusammengelegt. Ein Schritt, der bei den selbstbewussten Elsässern gar nicht gut ankam. In einer Umfrage im Frühjahr sprachen sich 67 Prozent dafür aus, aus der Region Grand Est auszusteigen. Die Regierung hörte das Grollen und versuchte, den Elsässern zumindest zum Teil entgegenzukommen. Ende Oktober kündigte Premierminister Edouard Philippe eine „europäische Gebietskörperschaft Elsass“an, die aus der Zusammenlegung der Departements Ober- und Niederrhein entstehen soll. „Wir wollen keinen neuen Big Bang“, sagte Philippe. Deshalb soll das Ganze innerhalb der ungeliebten Großregion und ohne einen Sonderstatus erfolgen.
Eurodistrikt mit Rechten
Der neue Eurodistrikt sei „handgenäht“, also auf die historischen und kulturellen Besonderheiten des Elsass zugeschrieben, lobte der Regierungschef. Die Gebietskörperschaft soll über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Deutschland und der Schweiz bestimmen dürfen. Auch Straßen wie die Autobahn A 35, die vom Norden des Elsass in den Süden führt, sollen in die Hände der neuen Kollektivität übergehen. Die Verantwortung für die Zweisprachigkeit, die entlang der Grenze besonders wichtig ist, soll ebenfalls beim Eurodistrikt liegen. Rund 15 Prozent der Grundschüler besucht derzeit in der Region eine zweisprachige deutsch-französische Klasse. Ziel ist es, diesen Anteil zu erhöhen.
Die Gebietskörperschaft soll am 1. Januar 2021 ihre Arbeit aufnehmen – gerade noch rechtzeitig vor den Kommunalwahlen. Vorher müssen allerdings noch die beiden Departementalräte zustimmen. Außerdem muss ein Gesetz verabschiedet werden, das die neuen Kompetenzen festschreibt. Peinlich genau achtet die Regierung darauf, dass vom Elsass kein Signal ausgeht, das die Autonomiebestrebungen anderer Regionen wie Nordkatalonien oder Savoyen stärkt. Die Region Grand Est bleibe erhalten, versicherte Edouard Philippe unmissverständlich. „Es geht nicht darum, jemanden nackt auszuziehen.“Stattdessen solle die neue Kollektivität der Besonderheit der Region Rechnung tragen. „Das ist ein historischer Sieg für das Elsass und die Elsässer, eine Realität, an die vor einigen Monaten noch keiner zu glauben wagte,“erklärten die Vorsitzenden der beiden Departementalräte.
Im Elsass, dessen Zugehörigkeit mehrmals zwischen Deutschland und Frankreich wechselte, wird von den älteren Einwohnern auch noch „Elsasserditsch“gesprochen, eine Regionalsprache, die zur alemannischen Sprachfamilie gehört. Ein Konkordat regelt außerdem die Beziehung zwischen Kirche und Staat, die sich vom Rest des laizistischen Frankreichs unterscheidet. So wird im Elsass beispielsweise wie in Deutschland Religion an den Schulen unterrichtet.