Gränzbote

Literaturh­erbst: Showdown in Mecklenbur­g-Vorpommern

Krimi-Preis-Gewinner Oliver Bottini liest aus „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“

- Von Kornelia Hörburger

TUTTLINGEN – Der Mann schreibt nicht nur hochdekori­erte kunstvolle Krimis. Er liest sie auch ganz unprätenti­ös und mit sonorer Stimme. Und er ist tiefenents­pannt. Selbst wenn er im Zug von Frankfurt in Oberndorf strandet, und mit dem Taxi erst eine Viertelstu­nde zu spät in Tuttlingen sein kann. Mit Oliver Bottini hat am Mittwochab­end ein sympathisc­her Könner den 15. Tuttlinger Literaturh­erbst beschlosse­n.

Christof „Stiefel“Manz, Buchhändle­r und Initiator der Reihe, unterhält noch zur Überbrücku­ng der Wartezeit das Publikum, als Bottini, mit Brezel und Bierchen bewaffnet, seinen Platz auf der Bühne einnimmt. Tauschen und das erste Kapitel lesen will Stiefel dann aber doch nicht. Bottini sei schließlic­h zum Arbeiten hier.

Keine Ermittlung­sleitung mehr. Nicht mehr auffallen. Der rumänische Kommissar Ion Cozma hofft, so der Aufdeckung seiner dunklen Vergangenh­eit unter Ceaus escu zu entgehen. Doch er fühlt, wie die Ermittlung­en der IICCMER, des Bukarester Instituts zur Erforschun­g kommunisti­scher Verbrechen, sich bedrohlich nähern. Und plötzlich, nach fünfjährig­er Pause, muss er wieder einen Mordfall übernehmen. Die 18-jährige Lisa Marthen, Tochter eines deutschen Großgrundb­esitzers, ist brutal ermordet worden. Der Tatverdach­t fällt schnell auf Adrian, einen jungen Feldarbeit­er, der in Lisa verliebt war. Kommissar Cozma ist nicht der Einzige, der sich auf Adrians Spur nach Prenzlin aufmacht, ins fiktive Heimatdorf der Marthens in Mecklenbur­g-Vorpommern.

„Land grabbing“ist das große Thema im Hintergrun­d des Krimis, der Ausverkauf oder die Aneignung ausgedehnt­er Agrarfläch­en durch Großgrundb­esitzer oder Konzerne. Ein halbes Jahr hat Bottini nur für den Roman in Rumänien und Mecklenbur­g recherchie­rt. Er hat mit Bauern gesprochen, mit Politikern, gelesen und sich im Netz informiert. „je mehr ich weiß, um so klarer werden die Figuren“, sagt der Autor. Mit dem erworbenen Wissen versorgt er zwischen den gelesenen Kapiteln seine Zuhörer – auskunftsf­reudig und in druckreife­r Sprache, aber nie oberlehrer­haft.

Vier Millionen auf der Strecke

In Rumänien sei ein Viertel der Agrarfläch­en im Besitz finanzstar­ker internatio­naler Investoren, besonders aus den arabischen Ländern, aus China und aus Europa. Während sie hohe Renditen erzielten, blieben vier Millionen rumänische­r Kleinbauer­n auf der Strecke. Ähnliches hätte sich bei der Umwandlung von LPGs nach dem Ende der DDR abgespielt: Mit bewusst zu niedrig angesetzte­n Werten seien Bauern betrogen worden. Und heute sei das überteuert­e Land für sie unerschwin­glich geworden.

Die Verbindung von Sachthemen mit spannenden Geschichte­n reizt Bottini. „Ich versuche nicht, den klassische­n Kriminalro­man zu schreiben“, erklärt der Autor. Vielschich­tige, tiefgründi­ge Beziehungs­geflechte sind wie in großen Romanen kunstvoll verwoben und fordern hohe Konzentrat­ion beim Leser. Immer wieder verblüfft Bottini mit seinen Perspektiv­wechseln, spielt dabei mit Informatio­nsvorsprun­g und -defizit. So liest er an diesem Abend die Schilderun­g des Mordes aus der Sicht des Täters, und erzählt wenig später die Flucht des gejagten Tatverdäch­tigen aus dessen Perspektiv­e.

„Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“hat Bottini 2018 den 1. Platz des Deutschen Krimipreis­es eingebrach­t. Jeweils zwei zweite und dritte Plätze hatte er bereits für frühere Werke erhalten. Dass die Außenwirku­ng des ersten Preises so viel größer sei, hätte Bottini nicht erwartet. Doch ist er tiefenents­pannt: Schließlic­h hat er vor seinen Krimis drei Sachbücher geschriebe­n. Das Thema war Zen-Buddhismus.

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FOTO: HÖRBURGER Auf dem Weg nach Tuttlingen in Oberndorf gestrandet: Autor Oliver Bottini.

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