Zu breite Straßen, zu wenig Radwege
Verkehrsexperte Heiner Monheim stellt Mobilitätskonzepte der Zukunft vor
TUTTLINGEN - Wenn von dem Begriff „Verkehr“die Rede ist, dann geht es meist um Autos, um Busse und die Bahn. Genauso gehören nach Ansicht von Heiner Monheim aber beispielsweise Fahrräder, Fußgänger und Rollatoren dazu. Denn das sei die Art von Verkehr, die in zukünftigen Mobilitätskonzepten eine stärkere Beachtung finden müsse. In einem Vortrag zeigte der Verkehrsexperte am Donnerstagabend im Tuttlinger Ratssaal vor rund 35 Zuhörern Möglichkeiten auf, wie wir uns in Zukunft fortbewegen könnten.
Angereist ist der emeritierte Professor der Universität Trier mit der Bahn, versteht sich. Zwei Stunden lang ist er anschließend mit seinem Klapprad durch Tuttlingen gefahren, hat Fahrpläne studiert und Kreuzungen begutachtet, um die VerkehrsSchwachstellen und Knackpunkte der Stadt kennen zu lernen. Und er wurde fündig: Viele Straßen seien zu breit, stellte er fest. „Überbreite Straßen führen eher zu Staus, stattdessen könnte man problemlos einen Streifen als Radweg abteilen“, schlug er vor. Allgemein sei ihm aufgefallen, dass es in Tuttlingen noch keine Fahrradstraßen gebe.
Zentralisierung bringt lange Wege
Wie wir uns im Alltag fortbewegen, hängt laut Monheim von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. „Zum Beispiel, wie meine Haushaltssituation ist - bin ich Single oder eine Familie mit drei Kindern. Auch die Finanzen und der Wohnund Arbeitsstandort spielen eine Rolle“, so der 72-Jährige.
Monheim nahm die Zuhörer mit auf einen kurzen historischen Exkurs in die Nachkriegszeit, als öffentliche Verkehrsmittel einen hohen Stellenwert hatten. „Das Fahrrad war das dominierende Verkehrsmittel überall in Europa“, sagte er. Im Vergleich zu den 1920er Jahren seien heute 43 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland stillgelegt worden. „Wir haben unser System geplündert“, stellte er fest.
Als eine der Ursachen für das erhöhte Verkehrsaufkommen heutzutage nannte Monheim die Zentralisierung. Statt zum kleinen Dorfladen um die Ecke fahre man heute zum großen Discounter. „Wir haben Tante Emma abnippeln lassen und den großen Einzelhandel auf die grüne Wiese geknallt“, scherzte der Verkehrswissenschaftler. Gleichzeitig verstopfe der Straßen-Güterverkehr die Autobahnen.
Ein prägender Akteur bei der Gestaltung der Infrastruktur sei die Wirtschaft, erklärte er weiter. „Sie haben hier in Tuttlingen eine sehr aufgeklärte Gesundheitswirtschaft.“Man müsse weg von riesigen Parkplätzen auf dem Firmengelände, stattdessen sollten Unternehmen anderweitige attraktive Verkehrsangebote schaffen, sodass die Mitarbeiter für den Arbeitsweg nicht mehr aufs Auto angewiesen seien. Beim Workshop am Nachmittag sei deutlich geworden, dass es den Tuttlinger Unternehmen diesbezüglich vor allem an zwei Dingen fehlt: einem dichteren Haltestellennetz und einer engeren Taktung der Busse.
Den Verkehr der Zukunft sieht er dennoch nicht ganz pessimistisch: „Da tut sich was“ist ein Satz, der während seines Vortrags häufig fiel. So sorge ein „eingebauter Rückenwind“, sprich Pedelecs und E-Bikes, heutzutage dafür, dass mit dem Rad deutlich größere Strecken zurückgelegt werden können als zuvor. „Auch die digitale Revolution eröffnet neue Chancen“, so Monheim weiter.
„Wir haben unser System geplündert“Mobilitätsexperte Heiner Monheim