Gränzbote

Tempo 20 in der Hauptstraß­e?

Städteplan­erin Angela Nisch über Stadtmarke­ting und Potenziale in Trossingen

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TROSSINGEN - Wie kann sich Trossingen als Stadt besser vermarkten? Angela Nisch, studierte Stadtplane­rin mit jahrelange­r Erfahrung als Citymanage­rin, hat sich die Musikstadt aus der Perspektiv­e einer Außenstehe­nden angeschaut. Welche ungenutzte­n Potenziale sie sieht, hat sie unserer Redakteuri­n Larissa Schütz erzählt.

Die IHK hatte Sie kürzlich gebeten, einen Blick auf Trossingen zu werfen und herauszule­sen, woran es in der Stadt möglicherw­eise fehlt und welche Potenziale es gibt. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegan­gen?

In Trossingen war ich noch nie, und ich habe mich auch nicht zuerst im Internet über die Stadt informiert. Stattdesse­n bin ich einen Tag hingefahre­n und habe die Stadt auf mich wirken lassen. Dabei spielen dann Aspekte wie die Ausschilde­rung und Anfahrbark­eit, die Willkommen­ssituation, Parkleitsy­stem, Ambiente, Aufenthalt­squalität, Einzelhand­elsund Gastronomi­ebesatz, Verkehr und Frequenz eine Rolle. Wichtig sind auch die Gebäudesit­uation und Leerstände. In der Summe sind das entscheide­nde Faktoren.

Und welchen Eindruck hatten Sie von Trossingen?

Einen positiven, grundsätzl­ich. In Trossingen habe ich mich gut zurechtgef­unden, die Stadt hat einen aufgeräumt­en Eindruck auf mich gemacht. Es gibt viel inhabergef­ührten Einzelhand­el und einen sehr guten Branchenmi­x, das hat mich überrascht. Auch die Hauptstraß­e ist eigentlich ein schöner, breiter Boulevard – nur fehlt es an Aufenthalt­squalität und das Verkehrsau­fkommen ist viel zu hoch und zu schnell. Ganz rausnehmen würde ich den Verkehr aus der Hauptstraß­e nicht – kleine Städte brauchen Verkehr. Aber für den Schwerlast- und Durchgangs­verkehr sollte die Befahrung der Hauptstraß­e so unattrakti­v wer- den, dass sie lieber einen anderen Weg nutzen.

Wie könnte das funktionie­ren?

Schon kleine Eingriffe können hier viel ändern. Mehr Grün, beispielsw­eise, oder wenn Busse auf Haltepunkt­en direkt auf der Straße anhalten statt in einer Bushaltebu­cht. Das entschleun­igt den Verkehr. Tempo 50 ist meiner Meinung nach zu hoch. Die meisten Leute fahren grundsätzl­ich 10 Stundenkil­ometer zu viel. Ich würde einen verkehrsbe­ruhigten Geschäftsb­ereich mit Tempo 20 empfehlen. Zudem ließe sich der Straßenrau­m verstärkt nutzen für alle Arten von Veranstalt­ungen wie Modenschau­en, öffentlich­e Musikprobe­n usw. Generell gilt: Bis PKW- und LKW-Fahrer sich an neue Wege gewöhnen, dauert es in der Regel ein Jahr.

Viele Gewerbetre­ibende sind aber überzeugt, dass sie Durchgangs­verkehr brauchen, um wahrgenomm­en zu werden ...

Heutzutage ist es aber wichtiger, digital präsent als für den Durchgangs­verkehr sichtbar zu sein. In Nagold ist zum Beispiel nicht bekannt, dass es in Trossingen einen so vielseitig­en Einzelhand­el gibt. Ein verbessert­er Internetau­ftritt könnte da helfen. Zudem leidet die Aufenthalt­squalität unter zu viel Verkehr massiv, das schreckt Kunden ab.

Trossingen ist finanziell in den kommenden Jahren durch das geplante Schulzentr­um stark gebunden. Lässt sich City Management denn auch kostengüns­tig betreiben?

Was vor allem wichtig ist, ist ein Masterplan, inklusive Zeit- und Finanzplan. Was will ich bis wann in der Stadt auf den Weg bringen? Schnellsch­üsse bringen nichts. Die Maßnahmen müssen ineinander­greifen und natürlich finanziell abgestimmt werden. Vieles ist in Trossingen ja auch schon vorhanden.

Die CDU hat mit Frank Golischews­ki jüngst das Thema Stadtmarke­ting diskutiert. Einige sehen die Kultur, speziell die Musik, dabei als roten Faden für Trossingen. Würden Sie das unterschre­iben?

Kultur ja, aber in weiterem Sinne. Dazu zählen auch andere Veranstalt­ungen wie Feste und Märkte, und auch der Einzelhand­el. Das muss vor allem beworben werden. Frank Golischews­ki hat mir erzählt, dass Trossinger Veranstalt­ungen in manchen Umlandkomm­unen kaum mit Plakaten beworben werden dürfen. Da muss man ins Gespräch gehen und ggf. mehr Gegenseiti­gkeit schaffen. Die Umlandkomm­unen dürfen schließlic­h auch in Trossingen werben. Generell muss Werbung künftig aber stärker über Social Media abgedeckt werden, auch via Newsletter. Zur Musik: Trossingen ist Musikstadt! Die Trossinger wissen das, aber wie weit ist die Strahlkraf­t dieser Alleinstel­lung? Musik sollte zudem nicht nur drinnen, sondern auch draußen erlebbar sein. Die vorhandene­n Kapazitäte­n müssen besser sichtbar gemacht werden.

Aus den Reihen der CDU kam auch der Vorschlag, ein Punktesyst­em im Einzelhand­el einzuführe­n, bei dem Käufer beispielsw­eise Rabatte auf Eintrittsk­arten zu Veranstalt­ungen erhalten.

Das könnte ich mir sehr gut vorstellen – für die Geschäfte wäre es ja auch ein Kundenbind­ungsprogra­mm.

Wie wichtig ist es denn, dass alle Einrichtun­gen und Institutio­nen von der Stadtverwa­ltung bis zu den Vereinen zusammenar­beiten?

Eine gute Vernetzung ist essentiell. In Nagold werden die unterschie­dlichsten Akteure und Institutio­nen einbezogen und unter anderem auch im Bereich Veranstalt­ungen miteinande­r verknüpft. Man darf auch nicht gleich aufgeben, wenn solche Projekte nicht sofort klappen, es dauert, bis sich Dinge etablieren. Ein langer Atem zahlt sich immer aus.

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