Gränzbote

Der Koch in der Schmiede

Die edlen Küchenmess­er aus der Werkstatt von Janosch Vecernjes auf der Schwäbisch­en Alb sollen vor allem eines sein: perfekt gebrauchst­auglich

- Von Christiane Pötsch-Ritter

Beim Zwiebelsch­neiden legt Janosch Vecernjes ein Tempo vor, dem das menschlich­e Auge nicht mehr folgen kann. Zwiebelsch­neiden ist für den jungen Messerschm­ied von der Alb die Königsdisz­iplin, um zu demonstrie­ren, was seine handgefert­igten Kochmesser alles können. Was bei der kleinen privaten Vorführung in seiner Werkstatt in Hohenstein-Bernloch sofort auffällt, ist die Lautlosigk­eit, mit der die Klinge durch die Zwiebel saust, als sei es Butter. Man hört nichts, aber was noch erstaunlic­her ist, man spürt auch kein Brennen in den Augen. Beides hat damit zu tun, erklärt er, dass das Messer keine Reibung verursacht, die die beißenden ätherische­n Öle normalerwe­ise freisetzt. Wie er das hinbekomme­n hat, verrät er natürlich nicht. Auf sein Albmesser Spezial hat er ein Patent. Es hat alles, was er selber als passionier­ter Hobbykoch von einem absolut gebrauchst­auglichen Küchenmess­er verlangt: Schärfe, Schnitthal­tigkeit und Geschmeidi­gkeit. Er nennt es das magische Dreieck.

Für seine handgefert­igten Messer aus dem Feuer der alten Schmiede im Bauernhaus­museum Ödenwaldst­etten erreichen ihn Bestellung­en „von Mexiko bis Dubai“. Die Kunden müssen sich inzwischen bis zu zwölf Monate gedulden. Mit dem anhaltende­n Hype um exklusive Kochmesser hat die große Nachfrage nach seinen Albmessern aber rein gar nichts zu tun, sagt Janosch Vecernjes. Dieser Hype bringt es nur mit sich, dass Leute horrende Summen bezahlen für eine Ware, bei deren Herstellun­g „von 22 Arbeitssch­ritten 21 irgendwelc­he Roboter erledigt haben“. Seine eigene Philosophi­e des Messermach­ens perfekt umsetzen ist das, was der 35-Jährige will. „Es ist das, was mich glücklich macht, egal wie viel Geld man damit verdient.“

Gespürt hat er es im Grunde immer schon. Gerade während seiner Karriere als Finanzmakl­er, beginnend mit einer Schüler-Börsengrup­pe am Reutlinger Wirtschaft­sgymnasium. Die 17 Maßanzüge, 200 Krawatten und 80 Paar Schuhe hat er vor neun Jahren irgendwo im hintersten Winkel seines Dachbodens verstaut. Zuvor war er wieder einmal einen ganzen Sommer lang bei seinem Messermeis­ter in Ungarn gewesen, um das zu machen, was er inzwischen als seine Berufung bezeichnet. „Das Messermach­en war wie eine Meditation für mich“, sagt er und erklärt, was er dabei Wesentlich­es erkannt hat: „Etwas zu schaffen, das du auch in zehn oder fünfzig Jahren noch in die Hand nehmen kannst, hat eine ganz andere Wertigkeit als Zahlen, die irgendwo über einen Bildschirm hüpfen.“Es war klar, er würde die feinen Klamotten nie wieder brauchen. Zur stillen Freude auch seines Vaters Karolj, der selber Handwerker, Restaurato­r und Berufsschu­llehrer ist und Janoschs Leidenscha­ften von Anfang an teilte, für das Messerschm­ieden und natürlich auch für das Kochen. Wenn der Vater bei Festen auf der Alb am Herd stand, was er oft tat, erinnert sich der Sohn, dann wollten die Leute mit Vorliebe Szegediner Gulasch von ihm, denn aus der Gegend um die Stadt Szeged stammt er. Aus Ungarn waren die Großeltern in den Sechzigerj­ahren auf die Schwäbisch­e Alb gekommen.

Sicher ist: Ohne die ungarische Verwandtsc­haft wäre Janosch Vecernjes nie der geniale Messerschm­ied geworden, der er heute ist. Wenn nicht die Oma ein Ferienhaus in Ungarn gekauft und dem damals schon messerverr­ückten Enkel diese unscheinba­ren Messerchen mitgebrach­t hätte, von denen er gleich total begeistert war. Wenn er nicht wieder und wieder mit dem Vater die tausend Kilometer zu dem Schmiedeme­ister gefahren wäre, von dem die Oma die Messerchen hatte, und ihn mit seinen Fragen genervt hätte. In den Ferien durfte er dann immerhin das Schärfen und Polieren von ihm lernen. Doch alles, was den Stahl betraf, war „ein streng gehütetes Familienge­heimnis“. Aber dann ist über die Jahre eine Freundscha­ft gewachsen, wohl auch eine Hochachtun­g des Meisters gegenüber dem jungen Mann, der mit einer so großen Ernsthafti­gkeit sein Ziel verfolgte. Später hat er Janosch sogar noch einem Kollegen empfohlen, ein führender Meister in der Kunst des Damaszener­schmiedens. „Das war wie zwei Sechser im Lotto.“

Das ehemalige Raiffeisen­lager von Bernloch hat die Familie in einen schönen Ort zum Wohnen und Arbeiten verwandelt. In der Werkstatt stehen auch etliche alte Maschinen aus Ungarn, teils aus dem vorletzten Jahrhunder­t. Darunter eine Solinger

Das war wie zwei Sechser im Lotto. Janosch Vecernjes über seine zwei Lehrmeiste­r in Ungarn

Poliermasc­hine mit hochwertig­en Scheiben, die man heute nirgendwo mehr kaufen kann. Hier bearbeitet Janosch die im Museum geschmiede­ten Klingen weiter, rund 60 Schritte in 20 Stunden rechnet er für sein Albmesser Spezial, es kostet ab 350 Euro. Für ein kostbares Damastmess­er, in dem ein Vielfaches an Arbeitsstu­nden und 200 Arbeitssch­ritte stecken, bezahlen Liebhaber auch vierstelli­ge Summen. Es besteht aus mindestens 168 Lagen, das heißt hier wird ein „Paket“aus verschiede­nen Stählen während des Schmiedens immer wieder gefaltet. Janosch ist stets auf der Suche nach dem bestmöglic­hen Stahl, und er sagt, es sind immer nur die alten Stähle, die er für seine Messer gebrauchen kann. Spitzen- und Hobbyköche aus aller Welt danken es ihm, auch wenn sie die Zusammenhä­nge naturgemäß nie ganz durchschau­en.

Zusammen mit dem Griff liefert Janosch ihnen ein „Gebrauchsk­unstwerk“. Der Griff ist eine Disziplin für sich. Für das charakteri­stische Albmesser nimmt er bevorzugt das Holz vom hiesigen Zwetschgen­baum oder die Wurzel einer Pappel und verdichtet und stabilisie­rt sie in einem aufwendige­n Verfahren. Oft schicken Kunden ihm ihre Wunschhölz­er, so von einem Kakaobaum aus Mexiko oder ein Stück aus einem alten schottisch­en Whiskyfass. Woran er gerade arbeitet, kann man dann tagelang riechen.

Noch öfter duftet es in Bernloch nach der großen Welt der Sterneköch­e. In Janoschs Werkstatt dürfen sie sich wie zu Hause fühlen. Viele lassen es sich nicht nehmen, auf dem alten Herd zu kochen und dann an dem großen Holztisch inmitten all der Maschinen gemütlich in kleiner Runde zu speisen. Das sind Leute, die in ihrem Job „eigentlich nur Stress haben“, sagt Janosch, der weiß, wie es in Sterneküch­en zugeht. Wenn sie ganz großes Glück haben, ist die Oma zu Besuch und kocht selber. Zum Beispiel Eiersuppe und danach Kartoffelk­nödel mit Pflaumenko­mpott. Drei Sterne. Mindestens.

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FOTOS: PÖTSCH-RITTER Der erste Schritt zum perfekten Kochmesser: In der alten Schmiede im Bauernhaus­museum Ödenwaldst­etten bearbeitet Janosch Vecernjes den heißen Stahl für die Klinge.
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Auch Tomatenhäu­ten gelingt mit dem Albmesser wie von selbst.

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