Bettler: Wir geben nix – oder doch?
Ach, bestimmt besitzt der abgerissene Typ mit dem verfilzten Bart in Wahrheit eine Villa am Stadtrand. Hat man ja alles schon gehört. Und die schwarzhaarige Frau im langen Rock – sicher gehört die zu einer dieser osteuropäischen Banden. Und der bleiche Rasta-Mann mit dem Hund – der kauft sich ja doch bloß Schnaps ... Es ist schon erstaunlich, welch kreative Vermutungen und Rechtfertigungen man so entwickelt, um nur ja schnell weitergehen zu können. Oder geht es in Wahrheit gar nicht um den ein oder anderen Euro, der sonst für so manchen Tinnef ausgegeben wird? Bei manchen geht es ums Prinzip, schon klar. Was wäre die Welt ohne betonharte Prinzipien! Aber ich habe das Gefühl, es geht vor allem darum, nicht in Berührung kommen zu wollen mit der Armut. Mit den Abgestürzten. Oder wenn, dann mit pädagogischem Impetus: ein Brötchen oder ein Kaffee statt klingender Münze. Das macht den bittenden Menschen, der sich ohnehin schon selbst demütigt, auch noch zum Erziehungsobjekt.
Vielleicht sollte man’s nicht so kompliziert machen. Ich finde: 1.) Betteln ist kein Vergnügen. Keiner tut das, wenn er nicht muss – warum auch immer. 2.) Es geht doch nur um ein paar Münzen, die für den anderen vielleicht im Moment viel mehr wert sind als für mich. Also: warum nicht? H artherziger, gieriger Prinzipienreiter! Ich ahne bereits, was Sie an dieser Stelle von mir denken. Fälschlicherweise. Denn Empathie und Solidarität sind mir keineswegs fremd. Notleidenden aus der
Misere zu helfen, ist auch für mich ein wichtiges Gebot der Menschlichkeit.
Und genau deshalb verweigere ich beharrlich den Münzwurf in den zerschlissenen Hut, der wenig malerisch in der Fußgängerzone liegt.
Klar, auch ich fürchte, mit dem Euro kriminelle Banden zu unterstützen, die insbesondere Frauen und Kinder zum Betteln zwingen und danach schamlos ausbeuten. Auch ich sehe die Gefahr, dass die blinkenden Münzen rasch in Alkohol und andere Drogen umgesetzt werden. Aber, ganz ehrlich, das ist es nicht wirklich, was den Griff zum Portemonnaie letztendlich verhindert. Vielmehr geht es um soziale Verantwortung, die gebietet, dem armen Teufel eine Chance zu eröffnen, seine prekäre Situation zu beenden. Die im Vorbeigehen gespendeten Euro sind da die denkbar schlechteste Investition. Sie berauben den Bettler endgültig seiner Würde, weil sie den armseligen Zustand dauerhaft zementieren. Allemal besser, soziale Einrichtungen zu fördern, die den Weg von der Straße weisen und einfordern. Das macht Sinn – und ein gutes Gewissen.
Das tut doch keiner, der es nicht muss. Von Petra Lawrenz
Die gute Tat beraubt den Bettler endgültig seiner Würde. Von Dirk Uhlenbruch