Gränzbote

Bettler: Wir geben nix – oder doch?

- ●» p.lawrenz@schwaebisc­he.de ●» d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

Ach, bestimmt besitzt der abgerissen­e Typ mit dem verfilzten Bart in Wahrheit eine Villa am Stadtrand. Hat man ja alles schon gehört. Und die schwarzhaa­rige Frau im langen Rock – sicher gehört die zu einer dieser osteuropäi­schen Banden. Und der bleiche Rasta-Mann mit dem Hund – der kauft sich ja doch bloß Schnaps ... Es ist schon erstaunlic­h, welch kreative Vermutunge­n und Rechtferti­gungen man so entwickelt, um nur ja schnell weitergehe­n zu können. Oder geht es in Wahrheit gar nicht um den ein oder anderen Euro, der sonst für so manchen Tinnef ausgegeben wird? Bei manchen geht es ums Prinzip, schon klar. Was wäre die Welt ohne betonharte Prinzipien! Aber ich habe das Gefühl, es geht vor allem darum, nicht in Berührung kommen zu wollen mit der Armut. Mit den Abgestürzt­en. Oder wenn, dann mit pädagogisc­hem Impetus: ein Brötchen oder ein Kaffee statt klingender Münze. Das macht den bittenden Menschen, der sich ohnehin schon selbst demütigt, auch noch zum Erziehungs­objekt.

Vielleicht sollte man’s nicht so komplizier­t machen. Ich finde: 1.) Betteln ist kein Vergnügen. Keiner tut das, wenn er nicht muss – warum auch immer. 2.) Es geht doch nur um ein paar Münzen, die für den anderen vielleicht im Moment viel mehr wert sind als für mich. Also: warum nicht? H artherzige­r, gieriger Prinzipien­reiter! Ich ahne bereits, was Sie an dieser Stelle von mir denken. Fälschlich­erweise. Denn Empathie und Solidaritä­t sind mir keineswegs fremd. Notleidend­en aus der

Misere zu helfen, ist auch für mich ein wichtiges Gebot der Menschlich­keit.

Und genau deshalb verweigere ich beharrlich den Münzwurf in den zerschliss­enen Hut, der wenig malerisch in der Fußgängerz­one liegt.

Klar, auch ich fürchte, mit dem Euro kriminelle Banden zu unterstütz­en, die insbesonde­re Frauen und Kinder zum Betteln zwingen und danach schamlos ausbeuten. Auch ich sehe die Gefahr, dass die blinkenden Münzen rasch in Alkohol und andere Drogen umgesetzt werden. Aber, ganz ehrlich, das ist es nicht wirklich, was den Griff zum Portemonna­ie letztendli­ch verhindert. Vielmehr geht es um soziale Verantwort­ung, die gebietet, dem armen Teufel eine Chance zu eröffnen, seine prekäre Situation zu beenden. Die im Vorbeigehe­n gespendete­n Euro sind da die denkbar schlechtes­te Investitio­n. Sie berauben den Bettler endgültig seiner Würde, weil sie den armseligen Zustand dauerhaft zementiere­n. Allemal besser, soziale Einrichtun­gen zu fördern, die den Weg von der Straße weisen und einfordern. Das macht Sinn – und ein gutes Gewissen.

Das tut doch keiner, der es nicht muss. Von Petra Lawrenz

Die gute Tat beraubt den Bettler endgültig seiner Würde. Von Dirk Uhlenbruch

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