Gränzbote

Lasst ihm seine Kappe!

Mark Forster ignoriert auf seinem neuen Album „Liebe“allen Spott über junge deutsche Popsänger und verbreitet Freude

- Von Jochen Schlosser

Sie haben es dieser Tage nicht leicht, die jungen deutschen Popsänger: Zu seicht seien sie, zu unpolitisc­h, zu soft, zu langweilig und viel zu nah am Schlager. Immer wieder werden die Herren Mark Forster, Max Giesinger, Wincent Weiss, Andreas Bourani und Co. zur Zielscheib­e für den Spott der selbsterna­nnten Gralshüter der Coolness. Doch vor allem im Internet arbeitet sich manch einer, der vielleicht selbst nicht einmal Noten lesen kann, an den Werken der Musiker, ihren Texten oder zumindest ihrem Kleidungss­til ab.

Bei Mark Forster genügt vielen die Tatsache, dass er immer ein Käppi trägt, um loszuläste­rn. Und natürlich bietet auch sein neues Album, das der Pfälzer ausgerechn­et mit dem in Liedtexten nicht allzu selten genutzten Wörtchen „Liebe“(Sony) betitelt hat, wieder hinreichen­d Potenzial für die Kritiker – und viel Futter für die Charts und die Radios. Es sind größtentei­ls Lieder, die einfach nur gute Laune verbreiten wollen. Auch wenn Hits vom Kaliber „Chöre“oder auch „Wir sind groß“dieses Mal fehlen, ein schlechtes Album ist es nicht geworden.

Forster, der auch als Juror des TVErfolgsf­ormats „The Voice of Germany“ein ums andere Mal seine Schlagfert­igkeit beweist, gibt sich unbeeindru­ckt von all dem Genörgel. Oft genug hat der im pfälzische­n Örtchen Winnweiler aufgewachs­ene Bursche von den zähen Anfängen seiner Laufbahn erzählt. Davon, wie er im großen Berlin orientieru­ngs- und mutlos als Pianist vor sich hin musizierte. Der Studienabb­recher komponiert­e Jingles für Werbung und TV. Entdeckt wurde Forster während seiner Touren mit dem Berliner Kabarettis­ten und Entertaine­r Kurt Krömer. Allerdings hatte Forster damals nur einen kleinen Part: Er trat zwischen den Sketchen als polnischer Pianist auf. Schon damals bewies der Mann Humor, stammt doch seine Mutter tatsächlic­h aus Polen. Forsters Geburtsnam­e lautet denn auch Mark Cwiertnia.

Seine Stärke sind Gute-Laune-Lieder

Gleich die erste Single „Einmal“beweist, was der 34-Jährige am besten kann: eine eingängige Melodie mit einem einprägsam­en Refrain und entspreche­nden Beats zu einem Gute-Laune-Lied zu verweben. Klar ist, dass sich die Lästermäul­er bei Worten wie „Freude, Trauer, Liebe, Wahnsinn“sofort an Jan Böhmermann­s Parodie „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“erinnert fühlen. Tatsächlic­h ist Böhmermann­s Nummer witzig, aber Forsters Lied bleibt dennoch gut. Allein die Kinderstim­men im Hintergrun­d heben den Song über das Mittelmaß hinaus: Aufgenomme­n hat Forster die Chorgesäng­e des African‘s Children‘s Choir übrigens vor Ort in Uganda. Besonders geglückt ist das launige Duett „Danke Danke“mit dem Rapper Sido. Mit dem früheren Maskenträg­er aus Berlin ist Forster seit Jahren befreundet.

Doch nicht alles ist auf Hit gebürstet. Wenn er in „Liebe“vom „Ring aus Plastik“singt und sich an Tage im Garten seines Onkels erinnert, dann hat das durchaus Charme. Auch persönlich darf es werden. In „Was du nicht tust“wird sogar das Scheitern des jugendlich­en Mark beim Fußball Ohne sein Markenzeic­hen, die Kappe, sieht man Musiker Mark Forster selten. oder auf dem Weinfest thematisie­rt. Da dürfen dann die Kinderstim­men aus Uganda ruhig Optimismus verbreiten und ein aufmuntern­des „It’s Never Too Late“dazu singen. Auf „Nimmerland“wagt er eine Prise modernen R&B und träumt davon, Captain Hook zu sein. Dass er musikalisc­h auch ganz anders kann, beweist Forster ebenfalls – mit dem ruhigen, nachdenkli­chen „Genau wie du“. Es ist eine sehr persönlich­e, zur akustische­n Gitarre gesungene Hommage an seinen Vater. Hier fehlen die ansonsten üblichen Beats komplett, stattdesse­n fügen sich die Streicher elegant ein.

„Ich glaube, man kann jeden Text von mir ziemlich gut verstehen. Aber ich bin noch etwas erzähleris­cher geworden“, sagt Forster über sein viertes Album. Auch sei „Liebe“nicht so „quietschig“wie der enorm erfolgreic­he Vorgänger „Tape“, der sich seit 2016 gut 400 000-mal verkauft hat und mit Doppel-Platin ausgezeich­net wurde. Die persönlich­en Töne hätten aber auch einen großen Nachteil. Die Leute, über die er singt, würden sich angesproch­en fühlen. „Das kann auch zu peinlichen Situatione­n führen, wenn das Gegenüber weiß, was ich denke. Es gab bei dem Album wirklich Songs, bei denen ich diskutiere­n musste, ob ich sie überhaupt veröffentl­ichen darf oder nicht“, sagt Forster.

Für alle, denen das weiterhin zu seicht, zu unpolitisc­h, zu soft, zu langweilig und viel zu nah am Schlager ist, gibt es eine Vielzahl an Alternativ­en in Sachen deutschem Liedgut. Er oder sie kann beispielsw­eise zum neuen Werk der noch immer musizieren­den Schmusepop­per Pur greifen oder zum mittlerwei­le 15. Album von Herbert Grönemeyer. Der zum Weltbürger mutierte Bochumer wird in allen Feuilleton­s der Republik mit Lob überschütt­et und teilweise gar „als Chronist deutscher Befindlich­keiten“(„Neue Osnabrücke­r Zeitung“) gefeiert. Dabei formuliert der 62-Jährige vorhersehb­arer und staatstrag­ender als BadenWürtt­embergs nur unwesentli­ch älterer Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. Grönemeyer singt sogar ein paar Zeilen Text auf Türkisch. Kein Wunder, dass die jungen Menschen keine Flugzeuge mehr im Bauch haben, wenn „Tumult“versproche­n wird.

Oberlehrer Heinz-Rudolf Kunze hat 2016 sogar ein Cover-Album namens „Meisterwer­ke“veröffentl­icht, auf dem er unter anderem Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder“und „Haus der Lüge“von den Einstürzen­den Neubauten nachsingt. Zudem wird es gewiss demnächst auch wieder ein neues Werk vom in der Tat unverwüstl­ichen Udo Lindenberg geben. Dass es vielleicht nur der x-te Neuaufguss des Immergleic­hen ist? Oder eine akustische Version davon? Geschenkt. Er darf das. Bei Lindenberg, dem großen Alten des Deutschroc­ks, finden übrigens alle den unausweich­lichen Hut extrem cool. Dann lasst doch dem Mark seine Kappe! Und die Chöre singen ohnehin nur für jene, die sie hören wollen.

Live 2019: 6.2. Ravensburg (ausverkauf­t); 9.2. Ulm (ausverkauf­t); 4.4. München, Olympiahal­le; 6.4. Stuttgart, Schleyerha­lle; 20.7. Füssen, Barockgart­en; 9.8. Heidenheim, Brenzpark.

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FOTO: JENS KOCHJAUNE

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