Lesen für den Beruf und zum Vergnügen
K●
lar liest er. Eigentlich alles. Das gehört einfach dazu. Ein bestimmtes Genre bevorzugt er nicht, Science Fiction ist ihm aber grundsätzlich lieber als ein Beziehungsroman. Aaron Hedrich ist im dritten Lehrjahr der Ausbildung zum Buchhändler und ist sich sicher: „Es gibt schon noch Jungs, die lesen.“Er ist das beste Beispiel dafür. Der 20-Jährige liest von Berufs wegen, aber längst nicht nur deshalb. „Ich lese auch in der Freizeit und habe das immer schon getan.“Seine Mutter arbeitet in der Stadtbücherei, als Kind war er ständig dort. Es verwundert nicht, dass Deutsch sein bestes Fach in der Realschule war. Mathe? „Oh je“. Seine Lesebegeisterung, die er schon ganz früh hatte und die, wie er behauptet, „viele meiner Freunde teilen“, hat ihn nach der mittleren Reife im heimischen Bad Waldsee zu einem Ausbildungsberuf geführt. Und nicht zum FSJ, was er als Alternative noch im Kopf gehabt hatte. „Dass ich immer wieder mit neuen Themen in Berührung komme und in andere Gedankenwelten eintauchen kann“, reizt ihn besonders an seinem Job.
Den Lesestoff bekommt der Auszubildende gratis
Für Susanne Lorinser ist ganz klar: „Natürlich ist es ist das Wichtigste für einen Bewerber, dass er gern und viel liest – den Lesestoff bekommt er hier ja gratis.“Sie ist eine von zwei Geschäftsführern der unabhängigen „Stadtbuchhandlung“, die an den vier Standorten Bad Waldsee, Weingarten, Leutkirch und Tettnang je einen Laden betreiben. „Aber das reicht natürlich nicht. Kommunikativ muss ein Buchhändler sein, vielseitig interessiert und selbstständig arbeiten können.“Und mit dem Computer bzw. dem Bestellsystem umgehen können. Einen Auszubildenden haben sie derzeit in Bad Waldsee, einen weiteren in Weingarten. Beschäftigt sind bei der „Stadtbuchhandlung“insgesamt neun Buchhändler. „Natürlich sind die Bewerberzahlen in den letzten 20 Jahren, seit wir die Stadtbuchhandlung betreiben, zurückgegangen“, sagt die Buchhändlerin, „aber einen Lehrling pro Jahr hatten wir im Schnitt immer.“
Zu tun gibt’s genug. Auch an diesem Donnerstagmorgen um zehn Uhr. Mitten in der Altstadt von Bad Waldsee liegt der Buchladen – ein großer Tisch mit Neuerscheinungen gleich beim Eingang, dahinter die Belletristik und ansonsten das übliche Sortiment von Reise-, Koch- und Gesundheitsbüchern. Ein rotes Sofa ist da, ein Flügel steht in der Ecke, jeden Samstag gibt’s hier Livemusik. „Aktionen sind ganz wichtig“, sagt die Chefin, „und werden es immer mehr.“Ein Kunde steht bei den Kochbüchern, ein Frauengrüppchen unterhält sich vor den Frauenromanen. Jemand bezahlt und plaudert noch ein wenig über den Sportkurs, von dem er Aaron Hedrich, Auszubildender zum Buchhändler
gerade kommt. Zu dritt wird hier an diesem Werktagmorgen in der „Stadtbuchhandlung“bedient. Aaron Hedrich hat morgens die Lieferungen ausgepackt, den Laden aufgeräumt und kümmert sich jetzt um Bestellungen. Dass er sich auch „künstlerisch betätigen“darf und bei der Deko einbringen, findet er gut. Dass er mitbekommt, wie Vertreterbesuche ablaufen, wie Lesungen oder Konzerte organisiert werden, wie Werbung übers Internet und Facebook funktioniert und wie Büchertische für Kindergärten aussehen sollten, ist seiner Chefin auch noch wichtig. Und über Buchinhalte wird ganz nebenbei auch noch diskutiert.
Die Berufsschule absolviert Aaron Hedrich als Fernkurs. Dreimal muss er für jeweils vier Tage nach Frankfurt, den Rest erledigt er online. „Das war mir lieber als zum Blockunterricht nach Stuttgart oder Frankfurt“, erzählt er, „und außerdem gibt’s dafür eine halben Tag in der Woche frei.“
Keine Angst vor der Internetkonkurrenz
Angst vor Internetkonkurrenz wie Amazon? „Nicht wirklich“, so Lorinser. „Bei uns kann man bis abends um halb sechs ein Buch bestellen und es morgens versandkostenfrei abholen, das wird viel genutzt und schafft nicht einmal Amazon.“Und die Zunahme von EBooks? „Wir verkaufen selbst ein EBook-System“sagt sie, „das kann man selbstverständlich nicht ignorieren.“ Sie weiß aber auch, „dass der E-Book-Absatz wieder stagniert und dass viele unserer Kunden, ein E-Book nur auf Reisen mitnehmen und ansonsten das Haptische brauchen, das heißt, es lieben, ein Buch aus Papier in den Händen zu halten.“Ganz davon abgesehen, erzählt sie, seien Bildbände, Kochbücher, Literatur zu Gesundheit oder Pflanzen oder auch Reiseführer als E-Book nicht beliebt. „Außerdem ist das Gespräch bei uns wahnsinnig wichtig.“Das hat Aaron Hedrich längst gelernt. Auch er sieht die Stärke seines Berufs im „persönlichen Kontakt“.
Der junge werdende Buchhändler muss also lesen. „Ich drücke ihm schon öfter was in die Hand, das ist bei uns das A und O, dass wir Bescheid wissen, wenn die Kunden fragen oder eine Empfehlung brauchen.“Eine Empfehlung? Von einem 20-Jährigen? Zum Beispiel in Belletristik? Aaron Hedrich hat natürlich nicht alles gelesen, was in der gut sortierten Bad Waldseer
hat sich viel geändert, von reinen Katalog- zu Onlinebestellungen. Es kann sein, dass wir im nächsten Jahr völlig andere Waren im Regal haben als jetzt, aber dass das Buch vollständig verschwindet, glaube ich nicht.“Die Zusatzangebote müssten noch wachsen. „Aber mit unserer Wohlfühlatmosphäre sind wir auf dem richtigen Weg“, ist sie überzeugt. Aaron Hedrich sieht das ähnlich. Wie es hinterher weitergeht, lässt er mal offen. Erstmal wird er wohl als Buchhändler arbeiten. Buchhandlungen gibt es schließlich noch genügend.
Es gibt schon noch Jungs, die lesen.