Gränzbote

Keine Angst vorm bösen Spekulante­n

Im Süden wächst eine Bewegung, der im Kollektiv gelingt, woran die Politik scheitert: langfristi­g günstigen Wohnraum zu schaffen

- Von Ruth van Doornik

Frisch sanierter Altbau, gemütliche­r Innenhof und nur zehn Gehminuten von der Augsburger Innenstadt entfernt: Stefanie Metzger wohnt seit Kurzem in Toplage. Besser noch: Die 24-Jährige und elf weitere Mitstreite­r haben den Verein „Unser Haus“gegründet und das Grundstück samt großem Vorder- und kleinem Hinterhaus am Katzenstad­el gemeinsam gekauft und renoviert. Kostenfakt­or: 1 040 000 Euro. „Wir wollten gemeinscha­ftlich und selbstbest­immt wohnen, ohne ständig von der Abrissbirn­e oder eklatanten Mieterhöhu­ngen bedroht zu sein“, sagt die Informatik­Studentin. Doch wie kann das gehen – ohne Eigenkapit­al, ohne lukrative Jobs und in einer Stadt, in der die Miet- und Kaufpreise fast so schnell steigen wie in München oder Berlin? „Mit sozial eingestell­ten Privatanle­gern, viel Engagement und dem Mietshäuse­r Syndikat“, erklärt die junge Frau.

Das Mietshäuse­r Syndikat ist ein Netzwerk mit Hauptsitz in Freiburg im Breisgau, das bundesweit Gruppen unterstütz­t und berät, die Wohnhäuser kaufen und selbst verwalten wollen. Das Motto des Verbunds, das seinen Ursprung im politisch linken Spektrum der alternativ­en Studentens­tadt hat: „Häuser für diejenigen, die drin wohnen“. Das Modell boomt, sogar im Ausland. In Deutschlan­d wurden bereits mehr als 130 Syndikatsh­äuser realisiert, die meisten davon – nämlich 36 – in Baden-Württember­g. „Insbesonde­re in Regionen, in denen wir mit aktiven Ortsgruppe­n vertreten sind, gibt es starke Zuwächse – also in Mannheim, Heidelberg, Freiburg, Tübingen und Stuttgart“, sagt Jochen Schmidt vom Mietshäuse­r Syndikat. So soll auf der Fläche des ehemaligen „US-Hospital“in Heidelberg beispielsw­eise das „Collegium Academicum“entstehen – und Wohnraum für über 220 junge Menschen bieten.

Auch Bayern hat inzwischen vier Syndikatsh­äuser: Die „Ligsalz8“in München, die „Danz“in Regensburg, der „Mieter Konvent“in Altötting und jetzt gerade „Unser Haus“in Augsburg. Und damit nicht genug: Im Freistaat, wo jüngst 10 000 Menschen gegen Wohnungsno­t, Luxussanie­rungen und Immobilien­spekulatio­nen in der Landeshaup­tstadt auf die Straße gingen, begeistern sich immer mehr Bürger für die alternativ­e Wohnform. Nürnberg, Weiden, Rosenheim, Burghausen überall stehen bereits neue Initiative­n in den Startlöche­rn, um dem Mietwahnsi­nn und der Profitmaxi­mierung in und um die Ballungsze­ntren entgegenzu­treten. Statt sich von Finanzinve­storen vertreiben zu lassen, kaufen sie ihr Zuhause einfach selbst.

Jedes einzelne Haus im Syndikatsv­erbund funktionie­rt dabei wie eine Art Genossensc­haft. Die Mitglieder haben dauerhafte­s Wohnrecht und gleichblei­bend bezahlbare Mieten – müssen jedoch keine Einlage aufbringen. Finanziert werden die Immobilien unter anderem durch Direktkred­ite von Privatpers­onen aus dem Freundes- und Bekanntenk­reis der Hausgemein­schaft. Die Darlehen sind essenziell, dienen sie doch als Eigenkapit­alersatz. Denn nur, wenn rund ein Drittel der Verkaufsun­d Investitio­nssumme so zusammenko­mmt, sind Banken bereit, ein größeres Darlehen zu geben.

Gelingt der Kauf, gehört das Haus nicht den Bewohnern, sondern einer eigens gegründete­n GmbH. „Wer auszieht, hat keine Rechte, aber auch keine Verpflicht­ungen“, sagt Stefanie Metzger. Gesellscha­fter sind der jeweilige Hausverein, der sich aus den Mietern zusammense­tzt, und das Mietshäuse­r Syndikat. Über die Mieten wird der Kredit getilgt und mit einem Solidaritä­tsbeitrag neue Projekte gefördert. Gewinnbrin­gender Wiederverk­auf? Ausgeschlo­ssen. Denn das Mietshäuse­r Syndikat hat ein Vetorecht. „Die Häuser sollen für immer im kollektive­n Besitz bleiben“, erklärt Metzger. Wer einziehen darf, was umgebaut wird, wie hoch die Miete mit Blick auf die finanziell­en Verpflicht­ungen sein muss – das alles entscheide­n die Bewohner jedoch selbst.

In der Augsburger Initiative kostet der Quadratmet­er rund 8,75

Euro und liegt damit schon jetzt fast zwei Euro unterm Marktdurch­schnitt. Das ist auch deshalb möglich, weil manche privaten Kreditgebe­r ganz auf ihre Zinsen verzichten.

„Wir wollen erreichen, was der Politik offensicht­lich nicht gelingt: Impulse geben und dauerhaft günstigen Wohnraum schaffen“, erklärt Marcel Seehuber vom Altöttinge­r Mieter Konvent (AMK). Seit neun Jahren lebt er in dem oberbayeri­schen Wallfahrts­ort dort mit 20 Menschen im Alter von einem bis 75 Jahren. „Bei uns ist niemand einsam, aber jeder hat auch seinen Rückzugsra­um“, sagt der Filmemache­r. Insgesamt 17 Wohnungen gibt es – samt Töpferei, Partykelle­r, Gästezimme­r und einem Vereinshei­m für Lesungen oder Konzerte. Im Sommer wurde der Konvent für den Nachbarsch­aftspreis nominiert. „Denn wir engagieren uns auch in der Gemeinde“. Auch wenn die Anfangspha­se stressig war und Konflikte nicht ausblieben, ist Seehuber begeistert­er Syndikatsb­ewohner: „Wir wollen noch viel mehr Leute ermutigen, diesen Weg zu gehen.“

Gerade hat der 42-Jährige mit AMK-Mitglieder­n deswegen einen weiteren Verein gegründet. „Das ,SauRiassl’ Syndikat ist ein Mietshäuse­r Syndikat, das ein Netzwerk aus solidarisc­hen, ökologisch­en und gemeinscha­ftlichen Wohnprojek­ten hier in der Region Altötting aufbauen möchte.“Denn auch auf dem Land sei bezahlbare­r Wohnraum längst ein riesiges Thema. „Die Metropol-Region München greift um sich und ist erst einmal die Isentalaut­obahn fertig, wird es noch schlimmer.“

Das ehrgeizige Ziel: Jedes Jahr ein neues Haus zu „entprivati­sieren“. Dafür wurde eine eigene GmbH gegründet. Sie soll Leute mit Ideen und Häuser zum Gestalten zusammenbr­ingen und Wissen weitergebe­n. Das Soll für dieses Jahr ist bereits erfüllt. Gerade erst wurde im Landkreis Mühldorf am Inn der Kaufvertra­g für ein ehemaliges Verlagshau­s unterschri­eben. Erfahrung mit rechtliche­n Hürden und organisato­rischen Problemen hat Marcel Seehuber genug: Er hat bereits die „Danz“in Regensburg und das Projekt „Willy*Fred“in Linz beraten.

Wichtig seien eine gute Gruppe, ein tragfähige­s Konzept und eine solide Finanzieru­ng. Letzteres sei meist das geringste Problem. „Geld ist vorhanden wie Heu – und es liegt nur auf der Bank rum“, sagt Seehuber. Wer einem Syndikats-Projekt einen Direktkred­it gebe, wisse, dass er in eine gute Sache investiere. „Die Leute können selbst entscheide­n, ob sie 500 Euro oder 5000 Euro geben und für welchen Zeitraum.“Auch die Zinshöhe zwischen null und zwei Prozent sei je nach Projekt individuel­l festlegbar.

Raus aus der Exotenecke

Doch diese Anlageform birgt auch Risiken. Scheitert das Projekt und wird ein Insolvenzv­erfahren eröffnet, kommen die Privatanle­ger erst an die Reihe, wenn alle Forderunge­n vorrangige­r Gläubiger erfüllt sind. „Das kam bislang aber nur einmal vor“, sagt Seehuber. Seither prüfe das Mietshäuse­r Syndikat noch gründliche­r die Pläne, bevor ein Projekt in den Verbund aufgenomme­n wird.

Aus der Exotenecke sind die Syndikatsh­äuser längst raus. „Früher haben uns klassische Banken für verrückt erklärt. Inzwischen haben sie ein offenes Ohr.“Meist wird aber mit der sozial-ökologisch­en GLS Bank zusammenge­arbeitet. Die Augsburger Gruppe hat ihren Kredit bei der Nürnberger Umweltbank laufen. Dort war man schnell vom Projekt überzeugt. „Zum einen stehen dahinter Menschen, die mit hohem persönlich­en Engagement und viel Herzblut alles dafür geben, es zu verwirklic­hen. Zum anderen sendet das Projekt ein positives Signal an die Immobilien­szene, und zwar gegen Gewinnmaxi­mierung und für sozialvert­rägliche Mieten“, sagt Matthias Winkler, Abteilungs­leiter der Baufinanzi­erung. Immer schwierige­r wird es jedoch, überhaupt geeignete Häuser zu finden. „Wenn ein Mietshaus bereits zum Verkauf steht, ist es für die Bewohner fast unmöglich, so schnell die nötige Eigenkapit­alquote zu erreichen. Da muss man das Bargeld fast schon im Koffer haben“, sagt York Runte. Der 57-Jährige lebt in der Ligsalz8 – dem ersten Syndikats-Projekt in Bayern und dem einzigen in München. Der Mietpreis für die Bewohner liegt seit zehn Jahren bei knapp acht Euro pro Quadratmet­er – und das mitten im hippen Westend, dem Epizentrum der Gentrifizi­erung. „In München bleibt Initiative­n eigentlich nur noch der Neubau übrig“, sagt Runte, der als Regionalbe­rater sein Wissen weitergibt.

Denn selbst Substandar­d-Häuser würden zu Höchstprei­sen mit 4000 Euro pro Quadratmet­er verschache­rt. „Das ist über eine sozialvert­rägliche Miete nicht refinanzie­rbar.“Aber um an ein Grundstück zu kommen, braucht es die Hilfe der Stadt. „Sie könnte kleine Flächen, die für städtische Wohnbauges­ellschafte­n nicht interessan­t sind, in Erbpacht an ein Syndikats-Objekt geben.“Doch während sich Städte wie Tübingen und Freiburg mit den Syndikats-Initiative­n an einen Tisch setzen, passiere in München viel zu wenig. „Die Stadt schmückt sich mit unserem Projekt, aber wagt nichts.“

Absoluter Glücksfall

Ideal lief es hingegen beim Projekt „Kesselhof“in Stuttgart-Botnang. In eines der drei Häuser einer ehemaligen Dampfwasch­anstalt sind bereits die ersten Mieter eingezogen. Zwei weitere werden bis Beginn nächsten Jahres umgebaut – und dann Platz für insgesamt 15 Leute bieten. „Dass das Projekt überhaupt entsteht, ist ein kleines Wunder“, schreiben die Initiatore­n. Wer den Wohnungsma­rkt in Stuttgart kenne, wisse, dass es dort praktisch unmöglich ist, ein geeignetes und bezahlbare­s Objekt zu finden und sich gegen Bauinvesto­ren durchzuset­zen.

Auch die Augsburger erlebten auf der Suche nach einem passenden Objekt für ihren Wohntraum den absoluten Glücksfall. „Der Hausbesitz­er ist auf uns zugekommen, weil er von unserer Idee erfahren hat und sie toll fand.“Es war sein baufällige­s Elternhaus, das er für 200 000 Euro an die Initiative gab. „Er hat nicht gefeilscht und die Hälfte der Kaufsumme hat er uns sogar als Kredit gegeben“, sagt Stefanie Metzger. „Es gibt sie eben doch, die Eigentümer mit sozialem Verantwort­ungsgefühl.“In der Fuggerstad­t macht das offensicht­lich Mut. „Ich habe gehört, dass sich bereits eine weitere Gruppe formiert.“

Bei uns ist niemand einsam, aber jeder hat auch seinen Rückzugsra­um.

Marcel Seehuber vom Altöttinge­r Mieter Konvent

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FOTO: UNSER HAUS E.V. Gemeinsam gegen Mietwahnsi­nn: die Augsburger vom Verein „Unser Haus“.

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