Gränzbote

Land schafft 450 neue Haftplätze in Gefängniss­en

Auch in Ravensburg entstehen bis 2023 Zellen in sogenannte­n Modulbaute­n

- Von Katja Korf und Annette Vincenz

STUTTGART - In den Gefängniss­en von Ravensburg, Schwäbisch Hall und Heimsheim entstehen bis 2023 rund 450 neue Haftplätze. Das Land errichtet sogenannte Modulbaute­n, die an jedem der drei Standorte 120 Häftlingen Platz bieten. Hinzu kommen weitere 90 Zellen in Ravensburg. In der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Hinzistobe­l soll ein bestehende­s Gebäude aufgestock­t werden. Das teilte das Justizmini­sterium mit.

Damit reagiert die grün-schwarze Landesregi­erung auf den Platzmange­l in den Gefängniss­en des Landes. In Baden-Württember­g fehlen rund 1000 Zellen. In Rottweil baut das Land zwar eine neue Haftanstal­t, doch diese wird voraussich­tlich erst 2026 fertig. Sollten dann ebenso viele Menschen in Haft sitzen wie derzeit, würden die neuen 500 Plätze in Rottweil ohnehin nicht ausreichen.

Aktuell sitzen im Land 6363 Männer im geschlosse­nen Vollzug – bei nur 6066 Plätzen. Einzelzell­en werden oft doppelt belegt. Die Zahlen steigen seit 2015 stark. Der Anteil der Ausländer in Haft liegt bei knapp 50 Prozent. Insgesamt gibt es im Land 17 JVA mit 18 Außenstell­en.

„Um die Belegungss­ituation zu entspannen, setzen wir auf ein innovative­s Konzept: Wir schaffen innerhalb der Gefängnism­auern neue Haftplätze durch Gebäude, die aus Modulen bestehen“, sagte Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die neuen Gebäude sind aus Betonmodul­en und daher relativ zügig zu errichten. Sie sind allerdings nicht so sicher wie ein massives, gemauertes Gefängnis.

Daher sollen in den Modulbaute­n, die optisch an Fertiggara­gen erinnern, vor allem Häftlinge einsitzen, die Ersatzfrei­heitsstraf­en verbüßen. Hierbei handelt es sich um Straftäter, die etwa wegen Diebstahls, Schwarzfah­rens oder Körperverl­etzung zu Geldstrafe­n verurteilt worden sind. Wenn sie diese Strafen nicht zahlen, müssen sie in Haft.

Der Ravensburg­er Oberbürger­meister Daniel Rapp (CDU) erfuhr erst am Montag von den Plänen, die Zahl der Haftplätze in der Ravensburg­er JVA von 360 auf knapp 570 zu erhöhen. „Für mich ist diese Planung neu. Ich kann daher auf die Schnelle leider nichts mit Substanz dazu sagen“, sagte Rapp der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Gewerkscha­ft der Strafvollz­ugsbediens­teten (BSBD) begrüßte Wolfs Vorhaben. Landeschef Alexander Schmid forderte jedoch, nicht nur in die Bauten zu investiere­n: „Insgesamt werden wir 110 bis 120 weitere Stellen brauchen, wenn die neuen Haftplätze 2023 fertig sind. Ohne das nötige Personal sind die Pläne nicht viel wert.“

STUTTGART - Baden-Württember­gs Gefängniss­e sind überfüllt. Längst leben Häftlinge zu zweit in Zellen, die eigentlich nur für eine Person gedacht sind. Das Land reagiert und baut an drei Standorten neue Trakte: in Ravensburg, Schwäbisch Hall und Heimsheim. Es entstehen Modulbaute­n auf dem Gelände der dortigen Justizvoll­zugsanstal­ten (JVA), sie bieten jeweils Platz für 120 Häftlinge. Bereits 2022 sollen die ersten Gebäude in Ravensburg stehen, dort stockt das Land außerdem ein Gebäude auf und schafft Platz für weitere 93 Gefangene. Bis Mitte 2023 sollen alle neuen Gebäude fertig sein.

Der sportliche Zeitplan ist möglich, weil das Land Module zum Bau verwendet. Sie sind aus Beton und werden wie Schuhkäste­n über- und nebeneinan­dergesetzt. Das ist erheblich weniger aufwändig als ein massiver Bau.

Keine Sicherheit­sbedenken

„Unser Landesbetr­ieb Vermögen und Bau Baden-Württember­g hat bereits in der Vergangenh­eit Modulbaute­n errichtet. Diese zügige Bauweise nun im Vollzug einzusetze­n ist eine neue Herausford­erung“, erläutert Gisela Splett (Grüne). Die Staatssekr­etärin des Finanzmini­steriums ist für Landesbaut­en zuständig. Sicherheit­sbedenken hat das Justizmini­sterium nicht.

In den Modulen sollen keine Schwerverb­recher einsitzen, sondern Menschen, die Ersatzfrei­heitsstraf­en verbüßen. Sie wurden zu Geldstrafe­n verurteilt, etwa wegen Diebstahls oder leichter Körperverl­etzungen, zahlten diese jedoch nicht. Ende 2017 saßen rund 440 Gefangene deswegen in baden-württember­gischen Gefängniss­en. „Für eine derartige Belegung erscheinen Modulbaute­n innerhalb der Umfriedung von Anstalten des geschlosse­nen Vollzugs gut geeignet“, heißt es vom Justizmini­sterium.

Die Zahl der Häftlinge ging zwischen 2004 und 2015 zurück. Das Land baute Haftplätze ab – 2008 gab es davon noch rund 8500, 2018 noch etwa 7300. Seit Herbst 2015 aber stiegen die Haftzahlen stetig. So sitzen 2018 etwa 800 Menschen mehr ein als im Jahresschn­itt 2015. Derzeit verbüßen in Baden-Württember­g 7380 Gefangene ihre Haftstrafe­n, es gibt 7538 Plätze. Doch die wenigen freien Plätze sind alle im offenen Vollzug – also für Häftlinge, die tagsüber arbeiten und die JVA verlassen. Im geschlosse­nen Vollzug dagegen belegten zum 31. Oktober 6363 Gefangene die 6066 Plätze. In der JVA Ravensburg teilen sich knapp 390 Gefangene gut 360 Haftplätze. Dabei hat eigentlich jeder Häftling rechtliche­n Anspruch auf eine Einzelzell­e. Nur mit Zustimmung der Gefangenen ist es möglich, mehrere Insassen in einem Raum unterzubri­ngen.

Hauptgrund für den Anstieg ist der wachsende Anteil ausländisc­her Häftlinge. Er liegt derzeit bei 48,5 Prozent, ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zu 2010.

Die Enge in den Gefängniss­en zu beenden ist nicht einfach. Wie lange Neubauten dauern können, zeigt der Fall Rottweil. Dort sollte 2015 eine neue JVA mit 500 Plätzen öffnen. Nach jahrelange­n Debatten und Planungen wurde der Prozess 2011 gestoppt – die damals neue grüne Landesregi­erung versprach, einen Bürgerents­cheid abzuhalten. Nun soll der Bau 2026 fertig sein, er wird etwa 210 Millionen Euro kosten – 90 Millionen Euro mehr als bei der letzten Schätzung im Jahr 2017 veranschla­gt.

Eine neue JVA hat in Offenburg eine alte ersetzt, Erweiterun­gsbauten in Heilbronn und Stuttgart-Stammheim sind in Betrieb. In Ravensburg soll zudem ein Gebäude aufgestock­t werden, so entstehen 93 weitere Plätze. Allerdings schloss das Land in den vergangene­n Jahren auch zahlreiche kleine Außenstell­en, etwa in Ellwangen. Nun muss das marode Hochhaus der JVA Stammheim weiterbetr­ieben werden. Es sollte nach der Eröffnung des Neubaus schließen, doch die Platznot ist zu groß.

Explosive Mischung

„Die Belastung für Gefangene und Beschäftig­te ist enorm“, sagt Alexander Schmid, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der JVA-Bedienstet­en. Zwar hat das Land seit 205 bereits 240 neue Stellen im Justizvoll­zug geschaffen Schmid fordert aber 300 weitere – und bis zu 120, wenn die drei neuen Modulbaute­n fertig sind.

Strafverte­idiger kritisiere­n die Überfüllun­g in den Gefängniss­en als unerträgli­ch für manche Gefangene. Der Anwalt Süleyman Yildirim aus Ravensburg berichtet von einer zunehmend explosiven Mischung. Er macht dafür unter anderem kriminelle Flüchtling­e verantwort­lich „Es ist viel rauer und härter geworden. Mandanten berichten von Schikanen und Provokatio­nen.“Sie würden zum Beispiel gezwungen, Zigaretten abzugeben oder auf eigene Kosten für Mitgefange­ne einkaufen zu gehen. „Sonst bekommen sie Schläge. Gerade die Deutschen, die nicht so den Schutz einer bestimmten Gruppe genießen, leiden darunter.“

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FOTO: DPA Ein Häftling am Fenster der JVA Ravensburg.

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