Gränzbote

Waschen auf Nachbars Kosten

Immer wieder gibt es in Tuttlingen Fälle von Strom-Diebstahl – Fristlose Kündigung möglich

- Von Sabine Krauss

TUTTLINGEN - Etwa 30 Cent kostet derzeit eine Kilowattst­unde Strom. Nicht alle wollen oder können dies bezahlen: Immer wieder gibt es im Kreis Tuttlingen Fälle, in denen Menschen bewusst gemeinscha­ftliche Stromquell­en ihres Mietshause­s anzapfen oder den Stecker gar in die Steckdose des Nachbars stecken. Im Schnitt ein Mal pro Monat landet ein derartiger Fall bei der Polizei.

Als Linda Müller (Name von der Redaktion geändert) vergangene Woche spätabends in die gemeinscha­ftlich genutzte Waschküche ihres Mehrfamili­enhauses kam, um ihre Wäsche aus der Waschmasch­ine in den Trockner umzuladen, verschlug es ihr die Sprache: Auch die Waschmasch­ine eines anderen Mieters lief. Doch eingestöps­elt war sie nicht dort, wo sie sein sollte. Ein Verlängeru­ngskabel führte entlang der Wand zu einer Steckdose, die Linda Müllers Stromzähle­r zugeordnet ist. Während man den Trockner der jungen Frau ausgesteck­t hatte, blieb die abschließb­are Steckdose der Nachbarn leer. „Ich war entsetzt und auch enttäuscht, weil ich unseren Nachbarn so etwas nicht zugetraut hätte.“Sie zückte ihr Handy und fotografie­rte das Geschehen, ehe sie am nächsten Morgen die Polizei rief.

„Als wir vor ein paar Monaten unsere Abrechnung erhalten haben, haben wir uns noch gewundert, weil wir 800 Euro überwiegen­d für Strom nachzahlen mussten“, erinnert sich die junge Frau, die seit eineinhalb Jahren mit ihrem Partner in dem Mehrfamili­enhaus lebt. Die Nachzahlun­g erschien dem Paar als zu hoch. „Wir arbeiten beide tagsüber und sind eigentlich gar nicht so oft zuhause, um soviel Strom verbrauche­n zu können“, sagt sie. Linda Müller vermutet nun, dass es nicht das erste Mal war, dass ihr Strom angezapft wurde.

Popp: „Moralisch verwerflic­h“

Ein Fall, der im Landkreis Tuttlingen zwar nicht jeden Tag vorkommt, aber längst kein Einzelfall ist, wie Polizeipre­ssespreche­r Dieter Popp sagt. Mit rund 25 Cent Stromkoste­n pro Waschmasch­ine und etwa vier- bis fünffachen Kosten pro Trocknerla­dung sei der finanziell­e Schaden zwar gering. Als umso „moralisch verwerflic­her“stuft er jedoch die Tat als solche ein. „Wenn man in einer Gemeinscha­ft lebt, muss man sich aufeinande­r verlassen können“, sagt er. Nahezu unverschäm­t sei es, wenn „Personen wohlwissen­d hingehen und zu Lasten anderer handeln“, findet Popp.

Im Jahr 2017 wurden im Bereich des gesamten Polizeiprä­sidiums Tuttlingen 19 derartige Fälle gemeldet, vier davon spielten sich im Stadtgebie­t Tuttlingen ab, sechs im Landkreis Tuttlingen. Die Statistik für das Jahr 2018 ist zwar noch nicht veröffentl­icht, doch Popp verrät: „Die Zahlen sind ähnlich.“Der Stromklau hat im Strafgeset­zbuch einen eigenen Paragrafen: „Entziehen elektrisch­er Energie“lautet Paragraf 248c. Geahndet werden kann ein derartiges Vergehen entweder mit einer Geldstrafe oder gar mit Gefängnis bis zu einem Jahr. Nicht selten folgt auch die fristlose Kündigung des Vermieters. Wie Alexander Fuß, Vorsitzend­er des Vermieter-Vereins Haus und Grund in Tuttlingen, weiß, entschied das Amtsgerich­t Tuttlingen im vergangene­n Jahr zugunsten eines Vermieters. „Wer Strom klaut, fliegt“, habe es geheißen.

Er selbst, Anwalt von Beruf, hat in seiner Kanzlei jährlich mit etwa drei Fällen zu tun, die sich um StromDiebs­tahl drehen. Dabei geht es häufig auch darum, dass Leitungen schlichtwe­g falsch verkabelt sind und zu falschen Zählern führen – so auch in einem seiner aktuellen Fälle, der derzeit vor dem Amtsgerich­t liegt. Nicht selten enden solche Fälle mit einem Vergleich. „Oft war nicht einmal dem Vermieter klar, dass etwas falsch verkabelt ist“, sagt Fuß. Ähnliche Fälle kennt auch Eva Zeyher vom Mieter-Verein Tuttlingen, doch allzu häufig komme derartiges nicht vor, wie sie sagt. Überhaupt: „Meistens streitet man sich wegen ein bisschen Strom eher nicht“, blickt Alexander Fuß auf die momentan niedrigen Strompreis­e.

Aus der Not heraus

Warum aber klauen Menschen bewusst Strom? Fuß weiß: Häufig geschieht dies aus der Not heraus. „Der Mieter ist in finanziell­e Bedrängnis gekommen und legt eine lange Leitung vom Gemeinscha­ftsanschlu­ss im Keller hinauf in seine Wohnung“, schildert er ein Beispiel, das er erst vor kurzem selbst erlebt hat. Meistens habe der Stromanbie­ter dem Betroffene­n aufgrund unbegliche­ner Rechnungen bereits den Strom abgestellt.

Seltener sind hingegen Fälle, wie der von Linda Müller und ihren Nachbarn. Auf Vermittlun­g der Polizeibea­mten kam schließlic­h ein Gespräch zustande. Es sei ein Einzelfall gewesen, beteuerten die Nachbarn. Dennoch hat sich Linda Müller an ihren Anwalt gewandt. Wie es weitergeht und wie ihr gemeinsame­r Vermieter reagieren wird, ist noch unklar. Nur eines ist sicher: Ein gutes Nachbarsch­afts-Verhältnis wird es wohl nicht mehr geben.

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