Gränzbote

„Unbefangen­heit des Papsts ist spürbar“

Aus Wehingen stammender Geistliche­r Michael Jonas leitet evangelisc­he Kirche vor Toren des Vatikans

- Von Richard Moosbrucke­r

WEHINGEN/ROM - „Gehet hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium…“Bibelkenne­r kennen diesen Leitspruch, den Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat. Ob er auch für den Wehinger Michael Jonas die Grundlage dafür gab, von Schramberg, wo er als Stadtpfarr­er bis 2018 gewirkt hat, an die einzige evangelisc­h-lutherisch­e Kirche Roms, die Christuski­rche, zu wechseln, um dort, praktisch an der Nahtstelle des Christentu­ms in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zum Petersdom, seinen Dienst zu tun? Er leitet die evangelisc­he Kirche vor den Toren des Vatikans.

Michael Jonas ist auf Heimaturla­ub bei seinen Eltern in Wehingen. Auch wenn die Spuren seiner Eltern in den deutschen Osten führen – Michael Jonas ist ein Kind des Heubergs. Und bezeichnet sich sogar gerne als Schwabe, was dokumentie­rt, dass er sich mit seiner Heimat identifizi­ert. Schon während des Studiums findet eine entscheide­nde Weichenste­llung statt: Er bewirbt sich als Student der evangelisc­hen Theologie in Tübingen für ein Studienjah­r in Rom, bekommt ein Stipendium und darf als Student der evangelisc­hen Hochschule und der katholisch­en, päpstliche­n Universitä­t „Gregoriana“im Dialog mit Dozenten und Studenten aus der ganzen Welt einen vertieften Zugang zur Theologie, Philosophi­e sowie benachbart­en Diszipline­n entwickeln. Mit Vertretern aus allen Kontinente­n kommt er in Kontakt und tauscht sich mit ihnen aus, um seine eigene theologisc­he Prägung zu erweitern.

Er erzählt von den Veränderun­gen in der katholisch­en Weltkirche, dem schwindend­en Einfluss der Deutschen und dem wachsenden der Theologen aus Asien, Afrika und Amerika. Dieses Jahr in Rom prägt den Theologies­tudenten auf dem Heuberg, ist aber nur eine Station auf seinem Lebensweg: Er wird Vikar in Kupferzell, wechselt nach zweieinhal­b Jahren wieder als Studienass­istent ans evangelisc­he Stift in Tübingen, um später Studienlei­ter des ökumenisch­en „Melanchton-Zentrums“zu werden, dessen Schwerpunk­t es ist, jungen Theologies­tudenten die christlich­e Metropole in Rom mit ihren vielen Facetten näherzubri­ngen.

Es folgen fünf Jahre als Stadtpfarr­er von Schramberg, die er als „gute Zeit“beschreibt und als geografisc­hen Anker zwischen Schwäbisch­er Alb, Hohenlohe und Schwarzwal­d als Zeichen seiner Bodenständ­igkeit sieht, die danach in die Weltoffenh­eit Roms mündet. Man habe ihn „gestupft“und empfohlen, sich für die Stelle in Rom zu bewerben. Nach anfänglich­em Zögern wagt er diesen Schritt – wissend, dass die Chancen, das deutschlan­dweit ausgeschri­ebene Bewerbungs­verfahren erfolgreic­h zu überstehen, nicht besonders groß sind. „Noch nie“, so Jonas, „ist ein Schwabe in der seit 1819 von den Preußen gegründete­n Kirche Pfarrer in Rom geworden“.

Jonas gewinnt: Die Wahl fällt auf ihn und er macht sich vom Schwarzwal­d auf den Weg nach Rom. „Früher war es eine rein deutsche Kirchengem­einde, heute aber haben wir auch italienisc­he Gläubige – daher feiern wir zweimal im Monat den Gottesdien­st auch in italienisc­her Sprache.“Seine „Schäfchen“seien „herausford­ernd“und „besondere Leute“: Sie stellen Ansprüche an ihre Kirche, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sehr an der christlich­en Erziehung ihrer Kinder interessie­rt sind, die er auch als Schulvorst­and zusammen mit der „habsburgis­chen, deutschspr­achigen, katholisch­en Kirchengem­einde“mitgestalt­et und so seine Nähe zur Ökumene dokumentie­rt.

1983 besucht Papst Paul II zum ersten Mal die evangelisc­h-lutherisch­e Kirche in Rom und setzt damit, wie Jonas es ausdrückt, „ein ökumenisch­es Zeichen“. Auch Benedikt XVI setzt die Besuchsrei­he fort, ebenso wie Papst Franziskus. Einen seiner bewegendst­en Momente erlebt Jonas vor kurzem: Papst Franziskus ist zum Auftakt der Weltgebets­woche Gast in der „Sankt Paul-Basilika“. Jonas ist fasziniert von der persönlich­en Zuwendung durch den Papst. Als er sich ihm als Pfarrer der Christuski­rche vorstellt und die Wünsche seiner Gemeinde ausrichtet, sagt der Papst: „Vielen Dank und betet für mich“, um weiterzufa­hren mit „Andiamo avanti in amicizia“– was so viel bedeutet wie „Pflegen wir die Freundscha­ft weiter“. „Er nimmt dich richtig bei der Hand“, meint Jonas. „Seine Unbefangen­heit ist spürbar.“

„Besondere Verantwort­ung“

Auf fünf Jahre ist diese Tätigkeit in Rom befristet. Jonas bilanziert bis jetzt: „Ich leite eine kleine Kirche mit besonderer Verantwort­ung. Du repräsenti­erst die evangelisc­he Kirche vor den Toren des Vatikans“. Er beschreibt die Nähe zur katholisch­en Kirche mit seinen Heuberger Sozialisat­ionssjahre­n so: „Ich bin in Wehingen in einer guten Nachbarsch­aft zur katholisch­en Kirche aufgewachs­en. Wir müssen auch in Zukunft unser christlich­es Zeugnis gemeinsam leben.“

So lebt Jonas in Italien vor, wie Ökumene funktionie­ren kann. Jetzt aber genießt er den Schnee, wohl wissend, dass er sich in seiner berufliche­n Tätigkeit nicht um den „Schnee von gestern“kümmern muss, sondern seine Aufgaben in der Arbeit als evangelisc­her Pfarrer mit ökumenisch­er Orientieru­ng sieht.

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FOTO: VATIKAN Der aus Wehingen stammende evangelisc­he Geistliche Michael Jonas bei seiner Begegnung mit Papst Franziskus.
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Das Schützenha­us auf dem Talmannsbe­rg
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