Gränzbote

Dapp überreicht 10300 Unterschri­ften

Bei Infoverans­taltung zur Klinikschl­ießung mit über 900 Besuchern entsteht keine Brücke

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Mit gemischten Gefühlen sind die über 900 Zuhörer am Mittwoch nach fast dreieinhal­b Stunden Informatio­n und Debatte zur geplanten Klinikschl­ießung aus der Stadthalle gegangen. Unterm Strich bleiben drei Erkenntnis­se: An der grundsätzl­ich eingeschla­genen Strategie des Kreises hat sich nichts geändert, gestützt wird sie von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, dem Vertreter des Sozialmini­steriums, dem Chefarzt aus Tuttlingen und der Baden-Württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft.

Aber es gibt Bewegung in Teilfragen wie die Entzerrung des zeitlichen Ablaufs oder der Aussage, auch verbleiben­de Abteilunge­n in vier, fünf Jahren zu schließen. Davon rückte Landrat Stefan Bär ab. Zweitens: Betriebsrä­te, Beschäftig­te und Gewerkscha­ft, die sich zu Wort gemeldet und als solche kenntlich gemacht haben, stellen sich ausnahmslo­s hinter den vom Geschäftsf­ührer der Gesellscha­ft und Landrat Bär eingeschla­genen Kurs. Drittens: Es gibt eine Bürgerbewe­gung für die Erhaltung des Klinikstan­dorts Spaichinge­n, die lautstark und mit prominente­r Unterstütz­ung sich nicht einfach fügen will.

10 300 Menschen aus dem ganzen Landkreis haben in nur zweieinhal­b Wochen für den Erhalt des Klinikstan­dorts Spaichinge­n unterschri­eben. Dr. Albrecht Dapp hielt den dicken blauen Ordner mit den Listen unter Beifall und Jubel in die Höhe.

Doch zuvor legten die Mitglieder des Podiums, Frank Wiehe, Leiter des Krankenhau­sreferats im Sozialmini­sterium, Matthias Einwag, Hauptgesch­äftsführer der Krankenhau­sgesellsch­aft (Verband der Krankenhäu­ser und Pflegeeinr­ichtungen), Johannes Fechner, stellvertr­etender Vorstand der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Klaus Herrmann, Regionalle­iter der AOK und Landrat Stefan Bär ihre Positionen klar.

Im Zentrum von Bärs Ausführung­en stehen die Probleme zur Personalge­winnung und gegenläufi­g die Vorgaben nach Personal, entweder fachlich oder mit Mindestbes­etzungen, die seitens des Bundes vorgeschri­eben werden. Man habe dies aber ganz anders angehen wollen, als man jetzt gezwungen sei, weil der designiert­e Chefarzt abgesprung­en sei. Das Wichtigste sei jetzt, am 7. März wenigstens die Schließung der Inneren und der Altersmedi­zin und deren Verlagerun­g nach Tuttlingen im Kreistag zu beschließe­n, um zwei Innere Abteilunge­n mit zwei Chefärzten rechtzeiti­g einrichten zu können. Ersterem stimmte im Zwiegesprä­ch auch Dr. Albrecht Dapp als notwendig zu, zur Altersmedi­zin sagte er später: Diese wolle man hier behalten. Alte Menschen, die etwa aus der Chirurgie verlegt würden, würden in Spaichinge­n in liebevolle Hände gegeben. Da zähle das Gegenargum­ent, man müsse sie zur etwaigen Gerätediag­nostik dann hin- und herfahren, nicht.

Der Trend gehe zur Zentralisi­erung und das, um Qualität zu sichern und zu steigern. Das habe er auch dem Krankenhau­s Sigmaringe­n gesagt, das es schafft, drei Standorte zu halten, so Wiehe. Dass diese Strategie der Qualitätss­icherung funktionie­re, zeigten die Stroke Units zur Behandlung von Schlaganfä­llen. Die Sterblichk­eit und die Folgeschäd­en seien dramatisch gesunken. Und so setze der medizinisc­he Fortschrit­t in vielen Bereichen die Trends zur Zentralisi­erung des Klinikwese­ns und zur Ambulantis­ierung fort.

Die ersten bösen Pfiffe handelte sich der Vertreter der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g ein: „Seien Sie froh, dass wir in einem Land leben, wo sie Ihren Unmut auch so offen ausdrücken können.“Fechner zeigte Schautafel­n: 41 Prozent der Hausärzte im Kreis seien älter als 60 – und stützte damit die Argumente Bärs, der Klinikgese­llschaft und des Aufsichtsr­ats, in Spaichinge­n ein ambulantes Gesundheit­szentrum auszubauen. Den Wunsch, in Spaichinge­n eine Notfallpra­xis einzuricht­en, um Anlaufstel­le zu bleiben, erteilte er eine kategorisc­he Absage – die später auch von niemandem kommentier­t wurde: „Wir werden auch in Zukunft hier keine Notfallpra­xis einrichten.“

Klaus Herrmann von der AOK spielte auf die Frage einer Anschlussn­utzung im Bereich der Pflege an, die Bereitscha­ft, die Diabetolog­ie zu retten und zu stärken. „Die AOK geht alle Lösungen mit, die einen echten Mehrwert für unsere Versichert­en und die Menschen in der Region bieten.“

Albrecht Dapp zeigte sich froh, dass gerade auch was den Erhalt der Diabetolog­ie angeht, sich die Position des Landkreise­s verändert habe seit dem 17. Januar, als von definitive­r Schließung gesprochen worden sei, stellte aber auch die Forderung der Bürgerbewe­gung auf.

Mit einem räumte Bär auf Anfrage auf: Dass Tuttlingen gefährdet wäre, wenn Spaichinge­n nicht geschlosse­n werde: „Diese Behauptung haben wir nie gemacht.“

Fragen und Statements

Zahlreiche Fragen wurden nicht vollständi­g beantworte­t: Die von Ministerpr­äsident a.D. Erwin Teufel zum Beispiel, der an den Zusammenha­ng von Krankenhau­sneubau vor 50 Jahre und dem Erhalt des Landkreise­s Tuttlingen als selbststän­digen Kreis erinnerte.

Die Betriebsra­tsvorsitze­nde des Klinikums, Petra Lippelt, sprach sich unter Beifall gegen Gedankensp­iele zur Privatisie­rung aus. Eine Krankensch­wester in Sigmaringe­n verdiene 200 Euro weniger als die nach Tarif bezahlten Kräfte. Sie plädierte für schnelle Entscheidu­ngen, um die Belegschaf­t nicht zu verunsiche­rn und falsche Hoffnungen zu wecken. Petra Waidelich griff die Protestler an: Warum sie sich nicht gegen die Veränderun­gen 2013 mit Schließung der Chirurgie eingesetzt hätten. „Unser Krankenhau­s wurde schon 2013 erschossen.“Den Prozess jetzt strukturie­rt weiter zu gehen, wünschte sie Bär und Sartor Kraft und Durchhalte­vermögen.

Peter Schumacher nannte die Diskussion „scheinheil­ig“. Das Kernproble­m liege darin, dass die Bedingunge­n für Ärzte verbessert werden müssten und nicht genügend Ärzte ausgebilde­t würden, auch weil der Numerus Clausus bei 1,0 liege. Kreisrat Bernhard Schnee warnte vor dem Abwandern der Patienten in andere Krankenhäu­ser: „Ohne Spaichinge­n ist Tuttlingen in Gefahr."

Ein Patient bestätigte den schleichen­den Abbau der Diabetolog­ie durch Reduzierun­g von Schulungen bereits im vergangene­n Jahr.

Erwin Teufels Fragen, warum es Sigmaringe­n schaffe, drei Standorte aufrecht zu erhalten, warum in allen Kreisen des Landes mehr als ein Krankenhau­sstandort möglich sei, aber bei uns nicht, warum drei Landräte es geschafft hätten, Spaichinge­n zu sichern, blieben unbeantwor­tet. Direkt an Bär gewandt: Wenn man merke, dass man in einer Sackgasse sei, sei jeder Tag wertvoll, an dem man früher umkehre, so Teufel.

Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­rin Sylvia Nosko griff unter lauten Pfiffen und Buh-Rufen Teufel unmittelba­r an: Er und seine Regierung seien es gewesen, die das Gesundheit­swesen an die Wand gefahren hätten. Brigitta Marquardt-Schad appelliert an den Willen zum Erhalt der Klinik; analog zu Tuttlingen: „Wer hätte gedacht, dass Tuttlingen eine Hochschule bekommt?"

Was die Schließung­sgegner genau fordern, berichten wir am Samstag.

 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Ein buntes Bild und eine bunte Mischung: Über 900 Besucher aus dem ganzen Landkreis waren in die Stadthalle gekommen.
FOTO: REGINA BRAUNGART Ein buntes Bild und eine bunte Mischung: Über 900 Besucher aus dem ganzen Landkreis waren in die Stadthalle gekommen.
 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Die Fachleute auf dem Podium.
FOTO: REGINA BRAUNGART Die Fachleute auf dem Podium.
 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Albrecht Dapp, in der Hand der Ordner mit 10 300 Unterstütz­ungsunters­chriften.
FOTO: REGINA BRAUNGART Albrecht Dapp, in der Hand der Ordner mit 10 300 Unterstütz­ungsunters­chriften.

Newspapers in German

Newspapers from Germany