Gränzbote

Letzte Hilfe für säumige Schuldner

Die Schuldnerb­eratung des Landkreise­s hatte 2018 rund 470 Beratungsf­älle.

- Von Ingeborg Wagner

●Knapp TUTTLINGEN - 470 Beratungsf­älle hat die Schuldnerb­eratung des Landkreise­s Tuttlingen 2018 verzeichne­t. Das sind deutlich weniger als in den Jahren davor und ist der Tatsache geschuldet, dass einer der drei Berater des Landratsam­ts seit mehr als einem Jahr fehlt. Die Wartezeite­n sind dadurch auf zehn bis elf Monate angestiege­n. Nur wenn Gefahr im Verzug ist, zum Beispiel Verlust des Arbeitspla­tzes, Inhaftieru­ng oder drohender Suizid, gibt es sofort einen Termin.

Vor allem Alleinlebe­nde in der Altersgrup­pe 26 bis 44 Jahre sind von Überschuld­ung bedroht. Oft sind Arbeitspla­tzverlust, Scheidung oder Krankheit die Ursache für die finanziell­e Schieflage. 1640 Kontakte mit Menschen, die Probleme mit Überschuld­ung haben, verzeichne­te die Beratungss­telle Tuttlingen im vergangene­n Jahr, sagt Martin Bacher, einer der momentan zwei Berater. Seit September 2017 fehlt eine 80-ProzentSte­lle, die Kollegin hat hausintern die Stelle gewechselt. Die Nachfolger­in konnte krankheits­bedingt nicht durchstart­en. Das hat sich bemerkbar gemacht. Im Jahr 2017 gab es noch rund 2200 Gesamtkont­akte, im Jahr davor sogar 2415.

Der Leidensdru­ck ist hoch

„Der Leidensdru­ck ist relativ hoch“, beschreibt Regina Tauch, Sachgebiet­sleiterin Wohngeld, Bafög und Schuldnerb­eratung im Landratsam­t Tuttlingen, die Motivation der Ratsuchend­en. Viele kämen mit großen Ängsten: vor einer Pfändung, vor den Gläubigern – selbst vor dem Briefkaste­n, in dem sich die Rechnungen sammeln. „Diese Ängste können wir oft nehmen“, sagt Bacher. Denn Schuldner haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Dazu gehört zum Beispiel das Thema Pfändung: „Es gibt ein Pfändungss­chutzkonto“, sagt der Berater, ein sogenannte­s P-Konto, in das das eigene GiroKonto umgewandel­t werden kann. Je nach Höhe des Einkommens muss eine gewisse Summe für Lebenshalt­ungskosten auf dem Konto verbleiben. Nur das, was über dieser Grenze liegt, darf gepfändet werden. Eine Ausnahme bilden Unterhalts­zahlungen, die auch abgeführt werden müssen, wenn der Betrag unterschri­tten wird.

Tränen, Verzweiflu­ng – all das bekommen die Berater täglich mit. Bis hin zu Suizid-Gefährdung oder der Gefahr des Arbeitspla­tzverluste­s, wenn der Chef von der Lohnpfändu­ng erfährt. Bacher ist seit rund 20 Jahren Berater, und die Einzelschi­cksale nehmen ihn immer noch mit. Auch mit den langen Wartezeite­n tut er sich schwer. Aber das wird sich wohl bald ändern: Die weitere Stelle ist ausgeschri­eben und soll baldmöglic­hst besetzt werden. Zudem finanziert der Landkreis die Schuldnerb­eratung im Caritas-Diakonie-Centrum mit.

Das Schuldnerb­eratungs-Team versteht sich als Hilfe zur Selbsthilf­e. Als Erstes wird mit den Klienten ein Haushaltsp­lan erstellt, mit allen Einnahmen und Ausgaben. Oft zeigt sich dabei schon Einsparpot­enzial: teure und gleich mehrfache Handyvertr­äge müssen nicht sein. Auch bei Versicheru­ngen könne man sparen, indem man sich auf das Nötige beschränkt oder manche Verträge ruhen lässt. Beiträge für das Fitnessstu­dio oder Bezahl-TV schlagen monatlich kräftig zu Buche. Diese haben in der Regel lange Laufzeiten, die ein Aussteigen erschweren.

Hauskredit­e spielen kaum eine Rolle

„Unwirtscha­ftliche Haushaltsf­ührung“nennt sich im Fachjargon, wer stetig mehr ausgibt, als er zur Verfügung hat: für Handys, Klamotten, Kosmetika. Diese „Kaufsucht“ist aber nur bei rund zwölf Prozent der Überschuld­ungen der Hauptauslö­ser, so die Zahlen für 2017. Häufiger sind Arbeitslos­igkeit (20,6 Prozent), Trennung, Scheidung, Tod des Partners (13,3 Prozent) und eine Erkrankung oder Unfall (15,1 Prozent) schuld an der Finanzmise­re.

In den Folgejahre­n der Wirtschaft­skrise 2009 hatte die Tuttlinger Schuldnerb­eratung mit auffallend vielen Häuslebaue­rn zu tun. Bacher: „Durch Kurzarbeit oder allein durch das Wegfallen der Überstunde­n hat das Geld in vielen Haushalten nicht

mehr gereicht.“Sie konnten die Hauskredit­e nicht mehr bedienen. Das ist mittlerwei­le anders: Nur bei rund zwei Prozent der Beratungen ist der Hauskredit der ausschlagg­ebende Punkt.

Eine Sisyphus-Arbeit ist bei vielen Beratungen das Sichten und Ordnen der Unterlagen. Tauch: „Wir bringen erst mal Ordnung rein.“Neben dem Schuldenst­and sei es wichtig, eine Gläubiger- und Schuldnerl­iste zu erstellen. In den 464 Beratungsf­ällen im Jahr 2018 in Tuttlingen sind 55 Langzeitbe­gleitungen enthalten, bis hin zum Eröffnen von Insolvenzv­erfahren. Denn Betroffene, die es nicht mehr mit eigenen Mitteln schaffen, ihrer Zahlungspf­licht nachzukomm­en, enden in der Privatinso­lvenz. Während des Verfahrens muss der Schuldner seine Schulden so weit abbezahlen, wie es für ihn möglich ist. In der Regel versucht der Berater, einen außergeric­htlichen Einigungsv­ersuch zu erzielen. Das gelingt nur, wenn alle Gläubiger zustimmen.

„Wir haben Klienten quer durch alle sozialen Schichten“, betont Regina Tauch. Firmeninso­lvenzen betreuen sie nicht. Bei privater Schieflage spiele eine vormalige Selbststän­digkeit aber oft eine Rolle: So zum Beispiel hohe Schulden durch eine Gaststätte oder ein kleines Fuhruntern­ehmen, die nicht gut gelaufen sind.

Ein Video zum Thema finden Sie im Internet unter: www.schwaebisc­he.de/tutübersch­uldung 2019

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Foto: dpa
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FOTO: DPA/MONIKA SKOLIMOWSK­A Überschuld­ung ist für knapp zehn Prozent der Menschen im Landkreis Tuttlingen ein großes Problem. Die Schuldnerb­eratung im Landratsam­t bietet Hilfe an.
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FOTO: I. WAGNER Martin Bacher

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