Gränzbote

63 000 Euro für den guten Zweck

Vereine bekommen jedes Jahr viel Geld durch Verfahrens­einstellun­gen.

- Von Anja Schuster ANZEIGE

TUTTLINGEN - Wer hin und wieder in einem Gerichtssa­al sitzt, hört regelmäßig, dass ein Verfahren gegen eine Geldauflag­e eingestell­t wird oder, dass bei einer Bewährung noch eine Geldbuße fällig wird. Dieses Geld fließt in der Regel nicht in die Staatskass­e, sondern kommt gemeinnütz­igen Einrichtun­gen zugute.

Knapp 63 000 Euro, das ist die Summe, die 2018 im Bereich des Amtsbezirk­s Tuttlingen durch Geldauflag­en zusammen kam. Laut Thomas Straub, seit zehn Jahren Direktor des Tuttlinger Amtsgerich­ts, ist das ein vergleichb­arer Wert für andere Jahre. Aber er sagt auch: „Ob diese Summe auch tatsächlic­h geflossen ist, ist unklar.“Denn es komme vor, dass Auflagen nicht bezahlt werden. Dies werde natürlich vom Gericht geahndet, sei aber in der Statistik nicht nachzuvoll­ziehen.

Zu Geldauflag­en kommt es, wenn ein Verfahren nach Paragraf 153a der Strafproze­ssordnung eingestell­t wird. Das sei möglich, wenn ein Angeklagte­r noch nie verurteilt wurde und kein allzu hohes öffentlich­es Interesse an der Strafverfo­lgung bestehe, weil das Vergehen geringfügi­g sei, so Straub. Als Beispiel nennt er eine fahrlässig­e Körperverl­etzung im Straßenver­kehr, sprich bei einem Unfall, oder unerlaubte­s Entfernen vom Unfallort, wenn sich der Schuldige im Nachgang selbst bei der Polizei meldet.

Die Höhe der Geldauflag­e orientiert sich dabei am Grad der Strafe, mit der im Falle einer Verurteilu­ng zu rechnen wäre. Sie liegt laut Straub in der Regel etwas darunter. Aber er betont: „Niemand kann sich freikaufen.“Doch so bestehe die Möglichkei­t, dass es wegen eines einmaligen Fehlers nicht zu einer Verurteilu­ng kommt.

Denn: Wird ein Verfahren eingestell­t, taucht das in keiner Akte auf, lediglich bei der Staatsanwa­ltschaft wird es registrier­t. Warum? Straub nennt ein Beispiel: Wird ein Verfahren wegen Ladendiebs­tahl eingestell­t und der Betroffene nur wenige Monate später wieder erwischt, weiß die Staatsanwa­ltschaft, dass das nicht das erste Mal war, und das nicht nochmal eingestell­t werden kann.

Eine andere Möglichkei­t, wie es zu Geldzahlun­gen kommen kann, sind Bewährungs­auflagen. Werde jemand zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt, „steht das nur auf dem Papier“, sei aber für den Betroffene­n nicht spürbar, so Straub. Daher werde manchmal noch eine Arbeitsauf­lage oder Geldzahlun­g verhängt.

2018 lagen die Höhen der einzelnen Geldauflag­en zwischen 150 und 7200 Euro, in der Summe knapp 63 000 Euro. Zum Vergleich: In Baden-Württember­g kamen 2017 auf diesem Weg insgesamt rund 31 Millionen Euro zusammen, wie ein Sprecher des Justizmini­steriums auf Nachfrage unserer Zeitung mitteilte.

Die Gelder fließen an gemeinnütz­ige Vereine und Organisati­onen, die beim Amtsgerich­t bitten, auf die Lister der Empfänger aufgenomme­n zu werden. „Wir prüfen aber nicht nach, ob sie auch gemeinnütz­ig sind“, sagt Straub. Das liege zumeist auf der

Thomas Straub, Direktor Amtsgerich­t Tuttlingen

Hand. Wohin konkret das Geld fließt, entschiede­t der Richter oder der Staatsanwa­lt, wenn das Ermittlung­sverfahren eingestell­t wird, bevor es zu einer Verhandlun­g kommt.

2018 ging ein Großteil der Gelder an die Kinder-, Jugend-, Familienun­d Altenhilfe (rund 14 000 Euro). Auch der Kinderschu­tzbund Tuttlingen bekommt Geld. Dort ist man froh über die Zuwendunge­n, auch wenn man nie wisse, wie hoch diese seien, aber das sei ja bei anderen Spenden ähnlich, so die beiden Vorsitzend­en Irmgard Rieger und Hans-Peter Seute in einem früheren Gespräch.

Aber auch justiznahe Organisati­onen wie der Bewährungs­hilfeverei­n oder die Straffälli­genhilfe werden laut Straub gerne berücksich­tigt. So auch die Fachstelle Sucht, die für die Justiz kostenfrei „Auflagenku­rse“anbieten, wie Leiter Marcus Abel sagt. „Wir erhoffen uns daher schon über die Geldbußen ein gewisses Entgegenko­mmen.“

„Niemand kann sich freikaufen.“

 ?? FOTO: JENS WOLF ??
FOTO: JENS WOLF
 ?? FOTO: SCHUSTER ?? Thomas Straub
FOTO: SCHUSTER Thomas Straub

Newspapers in German

Newspapers from Germany