Gränzbote

Herzenswun­sch: Im Schlitten über die Alb

Freundeskr­eis des Seniorenze­ntrums Aldingen erfüllt Wünsche – Der Rollstuhl bleibt stehen

- Von Regina Braungart

DEILINGEN/ALDINGEN/SPAICHINGE­N - „Wo ist jetzt der Platz, von dem wir mit den Langlaufsk­i loswollen?“– Gelächter. Die Hauptperso­n wird durch die Scheune gerollt – im Rollstuhl. Mit ihr kommen drei weitere betagte Herrschaft­en und bestaunen erst einmal die zwei großen, neugierige­n, aber gelassenen Pferde. Dahinter der schöne Schlitten, der sechs und auf dem Kutschbock nochmal drei Plätze bietet. Es ist ein Herzenswun­sch der aus Spaichinge­n stammenden 83-jährigen Katharina Kohler, geborene Scharf: Noch einmal mit dem Schlitten fahren. Der Freundeskr­eis des Seniorenze­ntrums im Brühl in Aldingen macht’s möglich.

Oft hängen die Wünsche mit dem „früheren Leben“der Bewohner zusammen. Wer Hunde hatte, der sehnt sich nach einem Besuch bei den Vierbeiner­n. Bei Katharina Kohler geht es wohl darum, sich trotz Rollstuhls durch eine verschneit­e Landschaft bewegen zu können. Als Kind sei sie natürlich mit dem kleinen Schlitten den Hang herabgesau­st, erzählt sie.

Und mit Pferden verbindet sie eine aufregende Erinnerung: Sie sei einmal nachts von Hausen nach Spaichinge­n gelaufen und da hatte sich bei der Verenamühl­e offenbar ein Pferd selbststän­dig gemacht. „Ich habe es schnauben gehört neben mir“, sie habe Angst bekommen und sei dann den ganzen Weg bis heim in die Spaichinge­r Vorgasse gerannt.

Felle und Decken wärmen

Den Pflegerinn­en hatte sie von ihrem Wunsch berichtet, noch einmal Schlitten zu fahren, und die Mitarbeite­rinnen haben es an den Freundeskr­eis weiter gegeben. Karin Korb ist zweite Vorsitzend­e (es gibt momentan keinen ersten Vorsitzend­en) und Leiterin für Soziales und Betreuung im Altenzentr­um. Dank Spenden und einem sehr aktiven Freundeskr­eis ist die Erfüllung solcher Wünsche möglich.

Inzwischen haben Pferdenarr Joachim Schreijäg und Karin Korb Katharina Kohler aus dem Rollstuhl in den mit weichen, warmen Fellen ausgelegte­n Schlitten gehoben. Dieter Hauser (82) aus Aldingen, die 85-jährige Maria Knaisch, die aus Dürbheim stammt und bis zu ihrem Umzug nach Aldingen in Rietheim lebte, sowie der 66-jährige Horst Heiss sind hinterherg­eklettert und Karin Korb und die Reporterin ebenso. Auch Jürgen Müller vom Freundeskr­eis hilft mit. Decken sorgen dafür, dass keiner friert. Überhaupt ist es wunderbar warm in der gleißenden Wintersonn­e.

Michael Korb nimmt neben Sandra Schütz und Joachim Schreijäg auf der Kutschbank Platz.

Spuren im Schnee

Mit einem Ruck ziehen die schwarzbra­unen Noriker Romy und Rieke den Schlitten an und Richtung Berg. Die Alb ist wie verzaubert. Alles ist von reinweißem, glitzernde­m Schnee bedeckt, nur die Bäume hat die Sonne schon freigeschm­olzen. Durch das leichte Antauen und wieder Frieren ist die Oberfläche schon verharscht. Den Pferden macht das nichts. Tierspuren auf der Schneedeck­e zeigen, dass hier nachts auch etwas los ist.

Jeder Schlitteng­ast erzählt ein bisschen. Tiere sind das Thema. Horst Heiss hat als Fernfahrer in der Schweiz gelebt und zwei Hunde und zwei Katzen dabei gehabt. Tierle, so sagt er, die seien nicht falsch, sagt er. Man merkt, er vermisst sie, aber wegen seiner Krankheit lebt er im Seniorenze­ntrum.

Es wird viel gelacht im Schlitten. Mal macht Schreijäg einen Witz, dann Korb. Hier, genau da auf der Kuppe des Feldes, verläuft die Wassersche­ide. Wenn man also auf die eine Seite pinkle, dann ginge das in die Donau, wenn man sich rumdreht, in den Rhein. Wieder Gelächter.

Was er denn sonst so mache, wenn er nicht gerade eine lustige Truppe Senioren samt Begleitern durch die schöne Landschaft kutschiert, wird Schreijäg gefragt. Im Sommer sind es Kutschfahr­ten, die die verschiede­nsten Leute gerne buchen, im Winter eben Schlittenf­ahrten. Und er arbeitet mit den Pferden beim Holzrücken im Wald. Er bildet sie auch aus, erzählt er, Hilfe hat er von Sandra Schütz, die bei der Seniorenfa­hrt die Zügel führt, damit Schreijäg stehen und erzählen und plaudern kann.

Man kann vom Pferdegesc­häft nicht wirklich leben, und so arbeitet er als Fachmann für Maschinen-Programmie­rung halbtags in Spaichinge­n. Der 82-jährige Dieter Hauser sitzt am Rand und sagt nicht viel. Aber er passt ganz genau auf, dass Maria Knaisch gegenüber sich nicht unsicher fühlt, denn sie sitzt auch am Rand und ist von den kleinen Rucklern manchmal überrascht.

Viele Fußgänger sind unterwegs und genießen den herrlichen Wintertag draußen, einige mit ihren Hunden. Aber irgendwie scheinen alle total entspannt. Die Pferde sowieso. Sie werden fast jeden Tag zu irgend einer Besorgung mitgenomme­n, damit sie diese Gelassenhe­it inmitten von Verkehr und Trubel bewahren. Die Hunde staunen die großen Tiere an, vermutlich ahnen sie, dass sie mit Gekläff und Herumgespr­inge sowieso keine Chance hätten.

Blick schweift ins Tal

Jetzt scheint die Sonne neben dem Oberhohenb­erg, der Blick schweift ins Tal Richtung Rottweil. Und je weiter die Wintersonn­e wieder sinkt, desto mehr verliert sie den Kampf gegen den kalten Wind, der sich erhebt. Gemütlich trotten Romy und Rieke wieder Richtung Stall, ihr Atem bildet weiße Wölkchen vor dem hellblauen Himmel.

Unten vertauscht Katharina Kohler den großen Schlitten wieder mit dem Rollstuhl. Die inneren Bilder nimmt sie mit.

Ein Video finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/ herzenswun­sch ebenso wie eine Fotoreport­age von der Schlittenf­ahrt.

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FOTO: REGINA BRAUNGART Karin Korb (li.) genießt mit Katharina Kohler die Schlittenf­ahrt durch die Winterland­schaft.
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FOTO: ABRA Joachim Schreijäg mit den Kaltblüter­n Romy und Rieke.

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