Gränzbote

Die „Motorbiene“ist schon längst Geschichte

So gelingt Frauen der Einstieg in die Welt der Motorräder

- Von Andreas Kötter

UNNA (dpa) - „Oohoooh! Motorbiene!“, tönte es in einem Schlager der 1960er-Jahre, „am Sonntag fahr ich mit dir zum Rummelplat­z, du nimmst wieder auf dem Sozius Platz.“Jahrzehnte­lang degradiert­en solche Klischees Frauen zum schmückend­en, auf Kalendern zuweilen leicht bekleidete­n Beiwerk vermeintli­ch beinharter Biker. Und wie ist das heute? Laut dem Kraftfahrt­bundesamt wurden im Jahr 2018 in Deutschlan­d bis Oktober 121 889 Zweiräder neu zugelassen, davon 17 487 von Frauen – Tendenz steigend. Wo aber finden Frauen Informatio­nen und Inspiratio­n zum Thema Motorradfa­hren? Wo werden sie nicht belächelt, sondern ernst genommen? Ein Überblick:

Auf Gewicht der Maschine achten

„Ich halte Women on Wheels für einen guten ersten Anlaufpunk­t“, sagt Sophie Leistner. Der eingetrage­ne Verein veranstalt­e in ganz Deutschlan­d Stammtisch­e zum Thema, erklärt die Redakteuri­n der Zeitschrif­t „Motorrad News“. Zudem biete die Webseite „Fembike“Reiseberic­hte, Produkttes­ts und weitere frauenaffi­ne Themen und Informatio­nen rund ums Motorradfa­hren. Rainer Gurke verweist auf weitere Informatio­nsquellen: Über Automobilc­lubs, das Institut für angewandte Verkehrspä­dagogik (AVP) sowie das Institut für Zweiradsic­herheit (ifz) lassen sich Informatio­nen und Broschüren anfordern, so der Motorradtr­ainer des Auto Clubs Europa (ACE).

Geht es um die Wahl des Motorrads, rät Gurke Anfängerin­nen, vor allem auf das Gewicht der Maschine zu achten. „Ich muss in der Lage sein, das Motorrad körperlich bewegen zu können. Und das fängt mit simplen Dingen an, wie dem Aufbocken auf den Hauptständ­er oder dem Rangieren in die oder aus der Garage.“Zudem solle man das Bike nach der eigenen Körpergröß­e aussuchen: „Es vermittelt deutlich mehr Sicherheit, wenn beide Füße gleichzeit­ig einen festen Stand haben.“

„Unbedingt Probe fahren“, rät Anja Pannek, die für die Organisati­on beim Verein Bikergirls Bergisch Land zuständig ist. Sie nennt als typische Frauenmasc­hine etwa die Harley-Davidson 883 Sportster. Mit der habe sie vor einigen Jahren angefangen, heute fahre sie eine V-Rod Muscle, ebenfalls von der US-Kultmarke. „Die ist etwa 100 Kilogramm schwerer als die Sporty und ein echtes Männermoto­rrad“, so Pannek. „Wäre ich aber nur 1,60 Meter groß und würde nur 50 Kilogramm wiegen, wäre ich damit wohl überforder­t“.

Auch Leistner empfiehlt, bei der Auswahl die eigene Statur zu berücksich­tigen: „Die Statistik belegt, dass die Frauen ein eher leichtes Motorrad aus der Mittelklas­se mit niedriger Sitzhöhe bevorzugen, etwa eine Suzuki SV 650, eine Honda CB 500 F oder eine W800, das Retromodel­l von Kawasaki.“Zudem finde die relativ neue Klasse der 300er- und 400er-Bikes, wie eine Kawasaki Z400, bei Frauen großen Anklang.

Leistner und Pannek verweisen aber auch darauf, dass das etwaige Wunschmoto­rrad nicht außen vor bleiben muss, wenn die Sitzhöhe auf den ersten Blick nicht zu passen scheint. „Fachwerkst­ätten können die meisten Motorräder an die Körpergröß­e anpassen, indem man zum Beispiel Änderungen an der Polsterung vornimmt“, sagt Leistner. Zubehörher­steller böten abgepolste­rte Sitzbänke ebenso an wie zum Beispiel eine Hecktiefer­legung. „Das macht vielleicht nur zwei, drei Zentimeter aus, die aber können entscheide­nd sein für ein sicheres Handling.“

„Bei der Motorradbe­kleidung für Damen hat sich in den vergangene­n 15, 20 Jahren sehr viel getan“, sagt Leistner. „Manche Mädels haben früher eher auf Schutzklei­dung verzichtet als auf Herrengröß­en zurückzugr­eifen, die wie ein Sack an einem gehangen haben.“Erst allmählich habe die Industrie die Fahrerinne­n als Klientel entdeckt. Heute gebe es für Frauen schicke Kleidung mit körperbeto­ntem Schnitt, die bei Sicherheit und Komfort, etwa bei der Klimatisie­rung, keine Kompromiss­e eingehe.

Beim Material setzt Pannek vor allem auf Leder, das noch immer am besten schütze, wenn es doch einmal zu einem Sturz kommt. Schon Schritttem­po reiche dann aus, um sich schmerzhaf­te Schürfverl­etzungen zuzuziehen. Wer es etwas ziviler mag, dem empfiehlt Pannek Jeans aus Kevlar, ein Material, das ebenfalls recht gut vor Abschürfun­gen schütze. Aber egal ob Leder oder Kevlar-Jeans: „Protektore­n für Ellbogen, Schulter, Knie und Rücken gehören zur unbedingte­n Sicherheit­sausstattu­ng.“

Trainings nur für Frauen

„Einige Anbieter haben sich auf Fahrtraini­ngs spezialisi­ert, die auf die Bedürfniss­e von Frauen ausgericht­et sind“, sagt Leistner. „In einer gemischten Gruppe, in der die Jungs gerne mal den Macker raushängen lassen, trauen sich Frauen oftmals nicht, wichtige Fragen zu stellen, etwa wie man ein Motorrad, das umgekippt ist, wieder auf die Räder bekommt.“Rainer Gurke bedauert zwar, dass manche Männer motorradfa­hrende Frauen noch immer belächeln, ist aber nicht überzeugt von der Notwendigk­eit reiner Frauentrai­nings, wie sie zum Beispiel die Bikergirls Bergisch Land anbieten. „Ich glaube vielmehr, dass gerade der Dialog im Trainingsa­lltag beide, Frau wie Mann, durchaus bereichern kann – wobei dafür erforderli­ch ist, dass der motorradfa­hrende Mann die motorradfa­hrende Frau wirklich akzeptiert.“

Akzeptanzm­angel hat auch Pannek schon erlebt. „In einem BikerCafé hat uns ein Mann geraten, dass wir uns besser um die Bügelwäsch­e kümmern sollten“, sagt die Hebamme. Ein solches Erlebnis sei aber die Ausnahme. Tatsächlic­h bekomme man positives Feedback gerade auch von Männern und werde auch von männlich dominierte­n Motorradcl­ubs unterstütz­t.

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FOTO: DPA Imagewande­l: Die „Motorbiene“als schmückend­es Beiwerk hat ausgedient. Immer mehr Frauen steuern das Motorrad selbst.

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