Einmal EU-Alltag und zurück
Robert Menasses „Die Hauptstadt“als unterhaltsame Satire am Theater Konstanz
KONSTANZ - Neun Tage vor der Europa-Wahl präsentierte das Konstanzer Theater im Rahmen des Bodenseefestivals eine Bühnenfassung von Robert Menasses Bestseller „Die Hauptstadt“. Inszeniert hat sie Mark Zurmühle, Schauspieldirektor vor Ort. Dass der in Luxemburg geborene Musiker Francesco Tristano als Artist in Residence des Festivals mitwirkt, stellt einen weiteren Bezug zu dessen Benelux-Thematik her.
Nach seinem Erscheinen im Herbst 2017 wurde Menasses „Die Hauptstadt“als erster großer Europa-Roman gefeiert. Der österreichische Autor erhielt den Deutschen Buchpreis. Die tragikomische, komplex verschachtelte Handlung spielt unter Beamten in Brüssel. Unter diesen ist die Generaldirektion Kultur als Deko-Abteilung verpönt. Die frustrierte Aufsteigerin Fenia Xenopoulou fühlt sich dort auf dem Abstellgleis geparkt und möchte versetzt werden. Zunächst aber soll sie das ramponierte Image der EU aufpolieren.
Ein Big Jubilee Project muss her, doch Fenia fällt nichts dazu ein. Ihr Mitarbeiter Martin Susman kommt auf die Idee, die Parole „Nie wieder Auschwitz“als Katalysator und Gründungsmythos einer postnationalen europäischen Republik in Szene zu setzen. Menasse hat hier seine eigene idealistische Utopie einer Abschaffung der Nationen sarkastisch zugespitzt – und lässt das Unterfangen grotesk scheitern. Flankiert wird das Geschehen von einem mysteriösen Mord und am Ende von einem Terroranschlag.
Der alltägliche Wahnsinn des Brüsseler Bürokratenzirkus wird köstlich aufs Korn genommen. In Reflection Groups palavert man wichtigtuerisch. Und dazwischen kreuzen sich die Wege Fenias, Martins und weiterer Protagonisten in einem Puzzle verschränkter Szenen. Private Techtelmechtel und Erinnerungen an individuelle Vorgeschichten fließen ein. Der Holocaust-Überlebende David de Vriend, der in einem Altersheim von einer Pflegerin getriezt wird, soll als Zeitzeuge und Ehrengast fungieren. Und dann ist da noch ein frei laufendes Schwein.
Abfolge von Miniszenen
Zurmühle hat aus Menasses Roman eine mit Pause fast dreistündige Folge von Miniszenen destilliert. Die Schauspieler schlüpfen in verschiedene, mitunter rasant wechselnde Rollen. Das Stück beginnt auf leerer Bühne (Ausstattung: Eleonore Bircher). Aus dichtem Nebel (nichts für empfindliche Lungen) tritt Peter Cieslinski als alter David. Später genügen einige Stühle und wenige Requisiten. Ein Kellner schenkt Champagner ein, Chips werden gemampft, Konferenzen oder Schäferstündchen angedeutet.
Johanna Link lebt als Fenia Xenopoulou und resolute Pflegerin ihr ganzes Talent für exaltierte Typen aus. Dan Glazer als depressiver Martin, Georg Melich als kaltschnäuziger Frigge, Sebastian Haase als katholischer Dunkelmann Oswiecki und Ingo Biermann als schrulliger Professor Erhart ergänzen das Ensemble. Virtuos bewältigen sie die oft mitten im Satz von einem Darsteller zum andern wandernden Texte brillant.
Der Beitrag von Francesco Tristano, der links unter der Bühne an Keyboard, Laptop und Effektgeräten sitzt, beschränkt sich auf sparsame leise Klänge und Rhythmen für wenige Momente. Von Bühnenmusik im herkömmlichen Sinn kann bei einer derart homöopathischen Dosis keine Rede sein. Ist dieser Minimalismus von Zurmühle gewollt? Mehr wäre jedenfalls an manchen Stellen dem unterhaltsamen Stück dienlich.
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