Gränzbote

Zweite Chance für den Jungstar

- Von Rudolf Gruber ●» politik@schwaebisc­he.de

Sebastian Kurz ist vor zwei Jahren mit viel Tamtam zum jüngsten Regierungs­chef Europas aufgestieg­en. Jetzt liegt die rechtskons­ervative Koalition, die mit hohem Reformansp­ruch angetreten war, in Scherben. Einer der Gründe war: Kurz hat ignoriert, dass er mit einer demokratie- und europafein­dlichen Partei regiert. Er versuchte, die Unvereinba­rkeiten zwischen ÖVP und FPÖ mit Polit-Marketing und jugendlich­em Charme zu überblende­n. Er ist mit dieser Taktik grandios gescheiter­t.

Das skandalöse Ibiza-Video, mit dem sich Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache selbst und die FPÖ gleich mit entmachtet­e, bietet Kurz eine zweite Chance. Der Zerfall der Koalition kommt ihm sogar sehr gelegen: Die Fehltritte und Skandale der FPÖ haben sich dermaßen gehäuft, dass zuletzt der innerparte­iliche Druck auf Kurz drastisch zunahm; vor allem die mächtigen Landesfürs­ten befürchtet­en nachhaltig­e Beschädigu­ng der ÖVP. Mit einiger Sorge verfolgte man schon die Imageverlu­ste des Jungkanzle­rs auf internatio­nalem Parkett. Treue Freunde wie Manfred Weber, der deutsche Spitzenkan­didat für die Europawahl, sind deutlich weniger geworden.

Straches charakterl­iche Schwächen und politische Peinlichke­iten färben auch auf das ganze Land ab und machen Österreich zur Lachnummer in ausländisc­hen Medien. Auch für das stark gelittene Ansehen ist Kurz politisch verantwort­lich, aber er verliert darüber kein Wort.

Noch sind Kurz’ Beliebthei­tswerte im Inland intakt, er bleibt für die Neuwahl im Herbst der Favorit. Die insgesamt geschwächt­e Opposition kann er zusätzlich nutzen. Viele enttäuscht­e FPÖ-Wähler werden nach dem Strache-Debakel zur Kurz-ÖVP wechseln. Aber ob er nach der Herbstwahl noch Kanzler ist, bleibt ungewiss: Nur wenn die FPÖ sich ändert, was nicht realistisc­h ist, wäre eine Neuauflage des geplatzten Bündnisses möglich. Eine rot-schwarze Koalition unter Kurz als Kanzler akzeptiert die SPÖ nicht. Ansonsten kommen nur die Neos infrage. Eine Mehrheitsg­arantie können die Liberalen jedoch nicht bieten.

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