Zweite Chance für den Jungstar
Sebastian Kurz ist vor zwei Jahren mit viel Tamtam zum jüngsten Regierungschef Europas aufgestiegen. Jetzt liegt die rechtskonservative Koalition, die mit hohem Reformanspruch angetreten war, in Scherben. Einer der Gründe war: Kurz hat ignoriert, dass er mit einer demokratie- und europafeindlichen Partei regiert. Er versuchte, die Unvereinbarkeiten zwischen ÖVP und FPÖ mit Polit-Marketing und jugendlichem Charme zu überblenden. Er ist mit dieser Taktik grandios gescheitert.
Das skandalöse Ibiza-Video, mit dem sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache selbst und die FPÖ gleich mit entmachtete, bietet Kurz eine zweite Chance. Der Zerfall der Koalition kommt ihm sogar sehr gelegen: Die Fehltritte und Skandale der FPÖ haben sich dermaßen gehäuft, dass zuletzt der innerparteiliche Druck auf Kurz drastisch zunahm; vor allem die mächtigen Landesfürsten befürchteten nachhaltige Beschädigung der ÖVP. Mit einiger Sorge verfolgte man schon die Imageverluste des Jungkanzlers auf internationalem Parkett. Treue Freunde wie Manfred Weber, der deutsche Spitzenkandidat für die Europawahl, sind deutlich weniger geworden.
Straches charakterliche Schwächen und politische Peinlichkeiten färben auch auf das ganze Land ab und machen Österreich zur Lachnummer in ausländischen Medien. Auch für das stark gelittene Ansehen ist Kurz politisch verantwortlich, aber er verliert darüber kein Wort.
Noch sind Kurz’ Beliebtheitswerte im Inland intakt, er bleibt für die Neuwahl im Herbst der Favorit. Die insgesamt geschwächte Opposition kann er zusätzlich nutzen. Viele enttäuschte FPÖ-Wähler werden nach dem Strache-Debakel zur Kurz-ÖVP wechseln. Aber ob er nach der Herbstwahl noch Kanzler ist, bleibt ungewiss: Nur wenn die FPÖ sich ändert, was nicht realistisch ist, wäre eine Neuauflage des geplatzten Bündnisses möglich. Eine rot-schwarze Koalition unter Kurz als Kanzler akzeptiert die SPÖ nicht. Ansonsten kommen nur die Neos infrage. Eine Mehrheitsgarantie können die Liberalen jedoch nicht bieten.