Exoten stören das Gleichgewicht im Bodensee
Seit 60 Jahren steht der Trinkwasserspeicher unter Beobachtung – Mikroplastik spielt geringere Rolle als gedacht
LINDAU - Der Grund des Bodensees ist wie ein Geschichtsbuch: Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 ist in ihm ebenso gespeichert wie der Hitzesommer im vergangenen Jahr. Lesen können dieses Buch Seenforscher, die mehrmals im Monat Proben von Wasser und Sediment nehmen. Sorge machen ihnen zurzeit exotische Tierarten, allen voran der Stichling. Der kleine Fisch hat sich in den vergangenen Jahren extrem schnell ausgebreitet. Warum, das weiß keiner.
„Das bereitet uns große Bauchschmerzen“, sagte Erwin Lohner, Regierungspräsident von BayerischSchwaben, am Montagvormittag. Gemeinsam mit dem baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) und Vertretern aus Österreich und der Schweiz ist er nach Lindau gekommen, um den 60. Geburtstag der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) zu feiern. Trotz rauem Seegang ging es aufs Wasser, denn die Politiker wollten sich die Arbeit der Wissenschaftler auf dem Forschungsschiff „Kormoran“aus der Nähe ansehen.
Zu den drängendsten Themen gehört der Stichling. Bereits vor 50 Jahren ist der kleine Exot mit den Stacheln auf dem Rücken im Bodensee heimisch geworden, war lange aber nicht weiter auffällig. Seit 2013 verbreitet er sich plötzlich explosionsartig: Um die 90 Prozent der Bodenseefische sind mittlerweile Stichlinge – zum Ärger der Bodenseefischer. Denn der Stichling klaut den Felchen die Nahrung und frisst deren Brut. Damit ist er ein Grund dafür, warum die Fangerträge im vergangenen Jahr auf ein Rekord-Tief gerutscht sind.
Neben dem Stichling gibt es noch andere Faktoren, die das empfindliche Ökosystem des Bodensees ins Ungleichgewicht bringen. Zum Beispiel die Quagga-Muschel, ebenfalls eine Zuwanderin, die irgendwann einmal irgendwie in den Bodensee gelangt ist und nun ihren Verwandten den Platz auf dem Grund des Sees streitig macht. „Diese Zuwanderer werden zu einer gewaltigen Belastung“, sagte Umweltminister Untersteller.
Dazu zähle auch der Klimawandel, dessen Auswirkungen sich auch am Bodensee immer stärker zeigen. Lange Trockenperioden wie im vergangenen Sommer führen zu Rekord-Niedrigwasserständen. Das Wasser zirkuliert weniger und tankt dadurch weniger Sauerstoff.
Phosphorgehalt bleibt Streitpunkt
Trotzdem: Mit der aktuellen Nährstoffzusammensetzung des Bodensees sind die Forscher zufrieden, wie Harald Hetzenauer vom Institut für Seenforschung erklärte. „Der Bodensee ist derzeit in einem guten, nährstoffarmen Gehalt, wie es für diesen Alpensee typisch ist.“Ausschlaggebend ist der Phosphorwert, der derzeit dank gründlicher Kläranlagen wieder auf dem Stand der 1950er-Jahre sei. Zwischenzeitlich war dieser Wert in die Höhe geschnellt. Die Bodenseefischer bemängeln den niedrigen Phosphorgehalt des Bodensees regelmäßig. Sie sind davon überzeugt, dass neben dem Stichling auch die Nährstoffarmut des Wassers ein Grund dafür ist, dass ihre Felchen im See verhungern.
Dass der Phosphorgehalt wieder erhöht wird, sei aber ausgeschlossen, betonte Minister Untersteller: „Ich werde nicht dafür sorgen, dass sich der Phosphorgehalt im See wieder erhöht.“Europäisches Umweltrecht lasse dies auch nicht zu. Denn immerhin ist der Bodensee Trinkwasserspeicher für Millionen von Menschen, und die IBKF hat sich dessen Reinhaltung auf die Fahnen geschrieben – neben der Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt und der laufenden Überwachung.
Zweimal pro Monat fahren die Forscher auf dem „Kormoran“auf den See, um Proben zu nehmen. „Der Bodensee hat eine ungestörte Sedimentation“, erklärt Hetzenauer vom Institut für Seenforschung. „Wenn man einen Kern entnimmt, kann man in der Geschichte des Sees zurückblättern.“So findet man im Sediment von 1986 etwa einen erhöhten Caesiumwert, das Sediment vom Hitzesommer 2018 ist hell und scharfkantig.
Neuere Wasserproben enthalten auch Mikroplastik. „Das ist mittlerweile eine zivilisatorische Grundlast“, sagt Hetzenauer. Immerhin: „Es ist weniger als bisher vermutet.“
In einem Video zeigen die Forscher, wie sie Proben aus dem Bodensee entnehmen: www.schwaebische.de/ bodenseeforschung