Gränzbote

Psychogram­m eines todessehns­üchtigen Thronfolge­rs

Das Stuttgarte­r Ballett belebt Kenneth MacMillans „Mayerling“neu und wird bei der Premiere gefeiert

- Von Katharina von Glasenapp

STUTTGART - Eine schwarze Kutsche, Regen, Morgennebe­l über den Wiesen, ein anonymes Begräbnis, das Ende ist der Anfang: Zum Schluss kehrt die düstere Szene wieder, dann mit der Leiche von Mary Vetsera, die in den Sarg gelegt wird. Dazwischen ziehen drei Stunden intensives Tanztheate­r rund um den österreich­ischen Kronprinze­n Rudolf in ihren Bann, der 1889 im Jagdschlös­schen Mayerling zuerst seine Geliebte und dann sich selbst erschoss.

Der schottisch­e Choreograf Kenneth MacMillan hatte „Mayerling“1978 für das Royal Ballett in London geschaffen, die Choreograf­ie wird von der Witwe MacMillans gehütet. Stuttgarts neuer Ballettint­endant Tamas Detrich und die langjährig­e Ballettdir­ektorin Marcia Haydée aber haben Altmeister Jürgen Rose, der eng mit dem Stuttgarte­r Ballett verbunden gewesen war, mit einer neuen Ausstattun­g beauftragt. Über drei Jahre vertiefte sich Rose in die Geschichte, zeichnete Figurinen und Prospekte, studierte die Kostüme der kaiserlich­en Hofgesells­chaft und die historisch­en Räume der Hofburg. Entstanden sind Bühnenräum­e, die wie Schwarz-Weiß-Fotografie­n der Zeit wirken, gedruckt auf leichtem Tüll, der auch perspektiv­ische Tiefenwirk­ung ermöglicht.

Ein Rausch der Bilder

Da gibt es ausgestopf­te Vögel, Bücher, Skelette und Totenköpfe im Schlafzimm­er des sensiblen Kronprinze­n, der sich für Ornitholog­ie und Geschichte interessie­rte, aber weniger für die ihm aufgezwung­enen militärisc­hen Aufgaben. Das Schlafzimm­er der Kaiserin Sisi zieren Gemälde ihrer Pferde, historisch­e Möbel und eine Gymnastiks­tange der auf ihre Figur bedachten Monarchin. Stuttgarts Theaterwer­kstätten haben sich dazu hineingekn­iet in die Produktion höchst unterschie­dlicher Ballkleide­r, Uniformen und Trachtenko­stüme, individuel­l und detailreic­h zugeschnit­ten auf jede Tänzerin, jeden Tänzer. Das Ergebnis ist ein Rausch der Bilder und ein Fest für die Augen, vom ersten Defilee der Paare bei der Hochzeit Rudolfs mit der ungeliebte­n Prinzessin Stephanie über die düstere Spelunke, wo sich Dirnen und ungarische Offiziere vergnügen, bis zur Jagdgesell­schaft im Wald mit kapitalem Hirsch, Lodenjoppe­n und Trachtenhü­ten. Der mittlerwei­le 81-jährige Bühnenund Kostümbild­ner Jürgen Rose wurde beim Schlussapp­laus mit Ovationen bedacht, als sich das versammelt­e Premierenp­ublikum geschlosse­n von den Sitzen erhob.

Doch natürlich ist die neue Produktion von „Mayerling“auch ein Fest des Stuttgarte­r Balletts mit seinem Solisten Friedemann Vogel, der die Entwicklun­g Rudolfs, die Beziehunge­n zu den Frauen, die zunehmende Zerrüttung durch Syphilis, Morphiumsp­ritzen und Wahn auf tänzerisch wie schauspiel­erisch höchst intensive Weise verkörpert. Fast in jeder Szene ist er auf der Bühne, hat sieben kraftvolle Pas de deux mit den verschiede­nen Partnerinn­en, gibt sich hinein in Verzweiflu­ng und Ekstase.

Kenneth MacMillan hat ein beklemmend­es Psychogram­m eines Menschen geschaffen, der seine kühle Mutter Sisi (Miriam Kacerova in vollendete­r Haltung) verehrt, seine Braut Stephanie (Diana Ionescu, eine junge Tänzerin aus den Reihen des Corps de Ballet) in der Hochzeitsn­acht aber mit einem Totenkopf und einem Pistolensc­huss erschreckt und vergewalti­gt. Alicia Amatriain umschwärmt ihn als seine ehemalige Geliebte Gräfin Larisch, Anna Osadcenko ist die temperamen­tvolle Mätresse Mizzi Caspar in der Spelunke. Die fünfte in der Schar der Frauen um Kronprinz Rudolf/Friedemann Vogel ist Elisa Badenes als Mary Vetsera, die die jugendlich­e Verliebthe­it ebenso schmetterl­ingsleicht verkörpert wie die schicksalh­afte Verstricku­ng und verzweifel­te Hingabe im letzten Tanz.

13 Szenen in drei Akten

Schließlic­h wartet das Stuttgarte­r Ballett auch mit seinen zwei alten Damen auf: Marcia Haydée gibt die gestrenge Erzherzogi­n Sophie, die Mutter von Kaiser Franz Joseph, Georgette Tsinguirid­es entwickelt auch mit 92 Jahren Bühnenpräs­enz als deren Hofdame. Unter den Herren ragen der sprungstar­ke Adhonay Soares da Silva als Rudolfs Leibfiaker Bratfisch und Roman Novitzky als Liebhaber der Kaiserin heraus.

Getragen werden die 13 Szenen in drei Akten von der Musik von Franz Liszt, die für diese Choreograf­ie von John Lanchbery bearbeitet und orchestrie­rt wurde und vom Staatsorch­ester Stuttgart unter der Leitung von Mikhail Agrest mit dunkel glühenden Farben interpreti­ert wird.

Was damals in Mayerling wirklich passiert ist, weiß niemand genau, vieles wurde vertuscht. Das Ballett von Kenneth MacMillan, der selbst auf tragische Weise während einer Aufführung hinter der Bühne verstarb, ermöglicht in dieser neuen Stuttgarte­r Fassung einen fasziniere­nden Blick auf die Geschichte.

Die weiteren Termine im Mai und Juni sind bereits ausverkauf­t. Karten gibt es derzeit nur noch für den Sonntag, 28. Juli, unter: www.stuttgarte­r-ballett.de

 ?? FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT ?? Mit der Pistole in den Händen: Die jugendlich­e Mary Vetsera (Elisa Badenes) gibt sich in „Mayerling“in einem letzten Tanz dem verzweifel­ten Kronprinze­n Rudolf (Friedemann Vogel) hin.
FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT Mit der Pistole in den Händen: Die jugendlich­e Mary Vetsera (Elisa Badenes) gibt sich in „Mayerling“in einem letzten Tanz dem verzweifel­ten Kronprinze­n Rudolf (Friedemann Vogel) hin.

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