Gränzbote

Kurz warnt vor dem Chaos

Österreich bekommt Expertenre­gierung – Bundeskanz­ler könnte nach der Europawahl stürzen

- Von Rudolf Gruber und dpa

WIEN - Österreich bekommt wegen der Regierungs­krise erstmals seit 1945 eine Expertenre­gierung. „Wir betreten Neuland, aber es gibt keinen Grund, besorgt zu sein“, sagte Österreich­s Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Dienstag. In einer Sondersitz­ung des Parlaments muss sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) derweil am kommenden Montag voraussich­tlich einem Misstrauen­santrag stellen. SPÖ und die aus der Regierung gedrängte FPÖ könnten mit ihren Stimmen den Kanzler stürzen. „Es wäre ja fast naiv von Kurz anzunehmen, dass wir Freiheitli­chen nach dem Misstrauen von Kurz gegen uns kein Misstrauen gegen ihn haben“, sagte der entlassene FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl.

Nach Ansicht der Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle dürfte die FPÖ daher gegen den Kanzler stimmen. „Die haben Rachegelüs­te“, sagte die Forscherin. Die SPÖ besteht weiter auf einer Übergangsr­egierung aus Experten bis zur Wahl im September und der folgenden Regierungs­bildung. Damit sei ein Verbleib von Kurz im Amt unvereinba­r, sagte ein SPÖ-Sprecher am Dienstag in Wien.

Präsident für Kompromiss

Der 32-jährige Kurz zeigte sich von all dem nach außen unbeeindru­ckt. Nach einem zweistündi­gen Treffen mit Van der Bellen referierte er seine Vorschläge für eine Übergangsr­egierung unter dem Motto: Ohne mich bricht das Chaos aus. Er werde „ehebaldigs­t“Van der Bellen die möglichen Nachfolger für den geschasste­n Kickl und die aus Solidaritä­t zurückgetr­etenen FPÖ-Minister nennen.

„Ich glaube, dass dieser Schritt entscheide­nd ist, um Stabilität innerhalb der Republik zu gewähren, um uns aber auch in den entscheide­nden nächsten Monaten innerhalb der Europäisch­en Union handlungsf­ähig zu halten.“Gerade die wichtigen Weichen, die auf EU-Ebene ab nächster Woche gestellt werden, erforderte­n sein Gewicht und seine Expertise.

Van der Bellen appelliert­e seinerseit­s an die Kompromiss­fähigkeit der Parteien. „Es geht darum, wieder einen Schritt aufeinande­r zuzugehen.“Es konnte der Eindruck entstehen, dass er den geplanten Misstrauen­santrag oder gar den möglichen Sturz von Kurz für keine gute Idee hält. Das Staatsober­haupt erklärte auf Nachfrage eines Journalist­en, dass er keinen Plan B zu dem Konzept von Kurz habe – eine zumindest indirekte Unterstütz­ung für den Kanzler. Eher formal und höchst erwartbar war, dass Van der Bellen mit dem Abschied der FPÖ-Minister aus dem Kabinett einverstan­den ist. Die parteilose Außenminis­terin Karin Kneissl, die von der FPÖ für das Regierungs­amt nominiert worden war, bleibt im Kabinett.

SPÖ präsentier­t mehrere Namen

Aus Kreisen der SPÖ wurden am Dienstag mehrere Namen lanciert, die statt Kurz an der Spitze einer Übergangsr­egierung stehen könnten: Dazu zählten der frühere EULandwirt­schaftskom­missar Franz Fischler (ÖVP) oder der Gouverneur der Oesterreic­hischen Nationalba­nk, Ewald Nowotny (SPÖ). Ebenfalls im Gespräch sind demnach der ehemalige Nationalba­nkGouverne­ur Klaus Liebscher, der ehemalige Präsident des Verwaltung­sgerichtsh­ofs, Clemens Jabloner, sowie die ehemalige liberale Spitzenpol­itikerin Heide Schmidt.

Es gehe darum, integre Personen von Format zu nominieren, die auch auf europäisch­er Bühne zählten, hieß es in der SPÖ. Die Partei hat bisher offengelas­sen, ob sie einem Misstrauen­santrag gegen Kurz zustimmen würde. Viel lieber wäre ihr ein „geordneter Übergang“.

Österreich ist seit vergangene­m Freitag in einer Art Ausnahmezu

stand. Die „Süddeutsch­e Zeitung“und der „Spiegel“veröffentl­ichten ein heimlich gedrehtes Video in einer Villa in Ibiza, in dem HeinzChris­tian Strache, Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzle­r der Republik, im betrunkene­n Zustand unter anderem von der Einschränk­ung der Medienfrei­heit in Österreich sprach und einer vermeintli­chen russischen Oligarchin Staatsauft­räge für Wahlkampfh­ilfe in Aussicht stellte. Auch werden in dem Video möglicherw­eise illegale Parteispen­den an die FPÖ thematisie­rt. Kanzler Kurz hatte daraufhin die Koalition mit der FPÖ nach 17 Monaten beendet.

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FOTO: AFP Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ( ÖVP, rechts) und Präsident Alexander Van der Bellen wollen eine Staatskris­e abwenden – und warnen vor dem Misstrauen­svotum.

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