Gränzbote

„Windenergi­e ist seit 2015 kein ZF-Sorgenkind mehr“

Vorstand Wilhelm Rehm über die Bedeutung des maritimen Geschäfts für den Autozulief­erer

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FRIEDRICHS­HAFEN - Wer ZF hört, der denkt an Autos, Lastwagen, vielleicht noch Landmaschi­nen. Dass der Zulieferer vom Bodensee auch in der maritimen Wirtschaft eine Rolle spielt, ist vielen unbekannt. Ob der Konzern dabei von seiner automobile­n Expertise profitiere­n kann, das wollte Martin Hennings von Wilhelm Rehm wissen, der im Vorstand des Konzerns für Industriet­echnik, Nutzfahrze­uge und Materialwi­rtschaft zuständig ist.

Welche Bedeutung hat die maritime Industrie für ZF?

Wir haben in dem Bereich im vergangene­n Jahr 220 Millionen Euro umgesetzt (ZF-Gesamtumsa­tz: 36,9 Milliarden Euro, Anmerkung der Redaktion). Im laufenden Jahr erwarten wir 250 Millionen Euro. Wir haben rund 900 Mitarbeite­r weltweit, 200 davon in Friedrichs­hafen. Weitere Standorte haben wir in Italien, Holland, Taiwan, USA und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Wir produziere­n vor allem Getriebe und dazugehöri­ge Systemanwe­ndungen, vom Sportboot bis zum großen Arbeitssch­iff. Unsere Kunden sind in aller Regel die Motorenbau­er.

Was genau wird in Friedrichs­hafen entwickelt und gefertigt?

In Friedrichs­hafen werden die Getriebe für den maritimen Sektor entwickelt und zum Teil auch gefertigt. Der Standort erwirtscha­ftet einen Umsatz von etwa 80 Millionen Euro. Die Getriebest­ückzahl liegt bei 1750 pro Jahr. Insgesamt fertigen wir rund 23 000 Stück weltweit.

Das maritime Geschäft ist sehr global. Ist der Standort Friedrichs­hafen immer noch wettbewerb­sfähig?

Ja. Man darf ja nicht vergessen, dass wir in Friedrichs­hafen im Jahr um die 180 000 Nutzfahrze­uggetriebe fertigen. Hier ist unheimlich viel Knowhow vor Ort, wir können Synergien nutzen. Die Einbindung macht den Unterschie­d. Und dann gibt es ja noch die enge Zusammenar­beit mit Rolls-Royce Power Systems.

Wie sieht die Partnersch­aft konkret aus?

Die wächst und gedeiht seit vielen Jahren. Wir sind strategisc­her Lieferant für RRPS und seine Kernmarke MTU, 70 Prozent des maritimen Umsatzes am Standort Friedrichs­hafen erzielen wir mit den Kollegen. Das Verhältnis ist vertrauens­voll und sehr strukturie­rt. Es gibt ein- bis zweimal pro Jahr Management­treffen auf höchster Ebene, wir haben viele gemeinsame Entwicklun­gsprojekte.

Beim Automobil geht’s um Effizienz und Sicherheit, Vernetzung und autonomes Fahren. Welche Rolle spielen diese Dinge im maritimen Bereich?

Sie werden immer wichtiger. Wir arbeiten beständig daran, unsere Systeme noch besser in die Gesamtarch­itektur des Schiffes einzubinde­n. Wir können unsere Getriebe rund um die Uhr hinsichtli­ch Drehzahl, Temperatur oder Geräuschen­twicklung aus der Ferne überwachen und so im Sinne vorbeugend­er Instandhal­tung rechtzeiti­g eingreifen, bevor ein Schaden auftritt. Wir werden im Herbst einen Prototypen vorstellen, der das automatisi­erte Andocken ermöglichs­t und viele weitere Sicherheit­ssysteme aufweist, die auf automobile Anwendunge­n zurückgehe­n.

Ein Thema der Konferenz ist die Offshore-Windenergi­e. Der Bereich war lange ein Sorgenkind der ZF. Wie sieht es aktuell aus?

Wir hatten mal eine Delle, das ist richtig, aber ein Sorgenkind ist die Windenergi­e seit 2015 nicht mehr. Nur eine Zahl: Wir haben den Umsatz von 2013 bis 2018 verdreifac­ht. Mit den Zukäufen von Hansen im Jahr 2011 und Bosch-Rexroth im Jahr 2015 sind wir in die Gruppe der Top-3-Zulieferer im Windkraftg­eschäft weltweit aufgestieg­en und bei allen großen Kunden als strategisc­her Lieferant vertreten. Dabei hilft uns unser internatio­naler Footprint mit Werken in Deutschlan­d, Belgien, Indien und China. Wir setzen mit Windkraftg­etrieben 800 Millionen Euro um, davon 150 Millionen für Anlagen auf hoher See. Die Zahl der Mitarbeite­r liegt weltweit bei 3000.

Es gab mal den Plan, 20 Prozent des ZF-Umsatzes jenseits des Kraftfahrz­eugs zu erzielen. Seit TRWÜbernah­me ist das in weiter Ferne. Gibt es das Ziel überhaupt noch?

Wir haben Anfang 2018 unsere Strategie überarbeit­et und alle Aktivitäte­n unter den Oberbegrif­f Mobilität gestellt. Ein wichtiges Ziel ist jetzt auch die Diversifik­ation innerhalb der Mobilität. Deshalb unser Engagement bei mehreren kleineren Firmen, die im Bereich autonomes Fahren tätig sind, deshalb unser Engagement für People Mover und verschiede­ne neue Mobilitäts­konzepte.

Hat die Windkraft da noch einen Platz bei ZF?

Ich denke schon, auch wenn die Sparte unsere einzige ist, die nichts mit Mobilität zu tun hat. Aber sie ist profitabel. Zudem darf man einen Aspekt nicht vergessen: E-Mobilität trägt ja nur dann wirklich zum Umweltschu­tz bei, wenn der Strom regenerati­v erzeugt wird. Hier schließt sich der Kreis zur Windenergi­e.

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FOTO: ZF Wilhelm Rehm ist seit 2012 Vorstandsm­itglied bei ZF.

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