Gränzbote

Therapie statt Hirntod

Außenminis­ter Maas schlägt eine Expertenko­mmission vor, um die Zusammenar­beit in der Nato zu verbessern

- Von Ansgar Haase und Michael Fischer

BRÜSSEL (dpa) - Hirntot? Die Nato? Das größte Verteidigu­ngsbündnis der Welt? Heiko Maas vermeidet es am Mittwoch, noch einmal direkt auf die Äußerungen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron einzugehen. Der SPD-Politiker hat stattdesse­n einen Vorschlag zum NatoAußenm­inistertre­ffen in Brüssel mitgebrach­t. Wenn es nach ihm geht, wird schon bald eine Expertenko­mmission eingesetzt, um die sicherheit­spolitisch­e Zusammenar­beit der 29 Alliierten zu verbessern, vielleicht sogar umfassend zu reformiere­n.

„Die Nato ist die Lebensvers­icherung Europas – und wir wollen, dass das so bleibt“, erklärt der deutsche Chefdiplom­at. Es komme nun darauf an, dass das Bündnis in Geschlosse­nheit in die Zukunft gehe.

Maas geht damit einen sicheren Mittelweg. Auf der einen Seite distanzier­t er sich klar von Macron, der dem Bündnis den Hirntod und damit das sichere Ende attestiert hat. Auf der anderen Seite gesteht er ein, dass auch er das Bündnis in einer schweren Krise sieht.

Beispiele dafür muss er gar nicht nennen. Schon bevor die Türkei zuletzt mit ihrer unabgespro­chenen Militäroff­ensive in Nordsyrien für Ärger sorgte, hatten die USA viele Partner immer wieder mit Alleingäng­en vor den Kopf gestoßen. Ohne Absprache wurden zuletzt zum Beispiel Planungen für einen Teilabzug aus Afghanista­n gemacht und Truppen aus Syrien abgezogen. Hinzu kommt der scheinbar endlose Streit über Verteidigu­ngsausgabe­n, in dem US-Präsident Donald Trump zeitweise mit einem Austritt drohte.

Ob Maas’ Vorschlag für eine Expertenko­mmission dafür sorgen kann, dass in der Nato Ruhe einkehrt, erscheint deswegen fraglich. Generalsek­retär Jens Stoltenber­g stellte sich zwar hinter die Initiative. Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit machen aber wenig Hoffnung. So war bereits 1956 eine Kommission aus „drei Weisen“eingesetzt worden, um Ärger über mangelnde Absprachen beizulegen. Die konkreten Ergebnisse fielen am Ende bescheiden aus.

Hinzu kommt, dass es mit dem Nordatlant­ikrat eigentlich schon eine ständige Expertenko­mmission gibt. Er tagt mehrfach in der Woche auf Botschafte­rebene und ist als Forum für den ständigen politische­n Austausch und für Abstimmung gedacht.

Der Vorstoß von Maas hat auch einen innenpolit­ischen Hintergrun­d. Der SPD-Politiker liefert sich seit einigen Wochen eine Art sicherheit­spolitisch­en Ideenwettb­ewerb mit seiner Kabinettsk­ollegin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Angezettel­t hat ihn die Verteidigu­ngsministe­rin im Oktober mit ihrer Initiative für eine UN-Schutztrup­pe in Nordsyrien. Nach wenigen Tagen war der Vorstoß verpufft. In der Bundesregi­erung sorgte er aber für erhebliche­n Ärger, weil er nicht abgesproch­en war.

Anfang November legte KrampKarre­nbauer mit einer Grundsatzr­ede nach, in der sie sich für eine aktivere deutsche Sicherheit­spolitik und einen Nationalen Sicherheit­srats einsetzte. „Wir Deutschen sind oft besser darin, hohe Ansprüche, auch moralisch hohe Ansprüche zu formuliere­n, an uns und an andere, als selbst konkrete Maßnahmen vorzuschla­gen und umzusetzen“, sagte sie damals.

Das will sich Maas offensicht­lich nicht vorhalten lassen und geht nun mit dem Nato-Vorstoß in die Offensive. Anders als beim Syrien-Plan Kramp-Karrenbaue­rs ist der Vorstoß in der Bundesregi­erung abgestimmt. Da er ausreichen­d vage ist und keinerlei Vorgaben für Reformschr­itte macht, dürften die Erfolgscha­ncen auch gar nicht so schlecht stehen. Was am Ende in konkrete Politik umgesetzt wird, wäre dann aber immer noch eine andere Frage. „Zu oft waren Expertengr­emien bisher Verschiebe­bahnhöfe für Verantwort­ung“, mahnt der Grünen-Außenpolit­iker Omid Nouripour.

Das Verteidigu­ngsministe­rium reagierte nicht gerade euphorisch auf die Maas-Initiative, zeigte sich aber kooperativ. „Wir haben Kenntnis von dem Vorschlag“, sagte ein Sprecher. Man würde sich gerne an der Kommission beteiligen und Experten entsenden. Aber zunächst müsse das in der Nato diskutiert werden.

Und Bundeskanz­lerin Angela Merkel? Sie verhält sich in dem Ideenwettb­ewerb ihrer Minister bisher neutral. Anfang Dezember hat sie beim Jubiläumsg­ipfel zum 70-jährigen Bestehen der Nato in London die Gelegenhei­t, selbst neue Ideen loszuwerde­n.

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FOTO: DPA Außenminis­ter Heiko Maas (Mitte) spricht beim Nato-Treffen mit seinem französisc­hen Kollegen Jean-Yves Le Drain.

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