So kam der Große Braune in die Welt
Die Karlsruher Landesausstellung ermittelt den kulturellen Mehrwert der Osmanenkriege
KARLSRUHE - Das größte Ausstellungsstück braucht einen eigenen Saal: das Blaue Zelt mit seinen 28 Quadratmetern Grundfläche und fünf Metern Raumhöhe. Es hat, daher der Name, einen blauen Grund, der einen blühenden Garten darstellt. Die Kuppel inszeniert den Nachthimmel.
Dieses Prachtstück ist zugleich das Highlight im Karlsruher Schloss. Der polnische König Johann III. Sobieski hat es erbeutet, 1683 vor Wien, in jener Schlacht, in der seine Armee eine Niederlage für das Habsburgerreich gerade noch abgewendet hat. So triumphierte der Kaiser über den Sultan, Wien blieb katholisch und trank Kaffee. Und weil der vielen Wienern zu bitter war, kippten sie Sahne hinein. Die „Melange“, der „Kleine“und der „Große Braune“sind also das, was man einen Mehrwert aus der Begegnung von Kulturen nennen kann.
Das Badische Landesmuseum, das es nun seit 100 Jahren gibt, hat seinen Grundbestand aus der „Türkenbeute“, die der „Türkenlouis“aus dem „Türkenkrieg“mitbrachte. Ludwig Wilhelm (1655-1707), der Markgraf von Baden-Baden, war Feldherr des Kaisers, Oberbefehlshaber an der Osmanischen Front. Seine Biografie ist eine Addition von Schlachten und Belagerungen.
Zum Jubiläum hat man sich in Karlsruhe zwei Dinge vorgenommen: Die Ausstellung „Kaiser und Sultan“knüpft an die Ursprünge des Museums an. Aber entwirft eine neue Geschichtserzählung. Die erklärt die Kontrahenten zu Nachbarn. Und den Krieg zum Kulturaustausch.
So zeigt sie auch das Blaue Zelt nicht als Trophäe oder Symbol für einen Wendepunkt in den Osmanenkriegen. Sie ordnet vielmehr ihre Schaustücke in deren kulturelle Zusammenhänge ein, in diesem Fall in eine nomadische Tradition. Und wie die meisten Exponate hat es einen militärischen Hintergrund. Die Ausstellung zeigt reichlich Säbel, Dolch und Schießgewehr. Sie zeigt sie, um auf die Kunstfertigkeit des osmanischen Handwerks hinzuweisen. Oder auf die Konversion von Waffen zu Herrschaftszeichen. Eine Abteilung von Streitkolben, dazu gedacht, wie mit einem Baseballschläger gegnerische Schädel einzuschlagen, ist aufmarschiert, um die Verwandlung in ein Statussymbol zu demonstrieren, so fein, so klein, dass es niemand tötet.
Aber eigentlich will die Ausstellung weg davon, die Geschichte von Morgen- und Abendland als Kampf der Kulturen zu erzählen. Die neue Perspektive, die sie erprobt, nimmt nicht den Konflikt, sondern den Austausch in den Blick.
Ausstellungen des Badischen Landesmuseums hatten schon öfter den Reiz, mit der Präsentation auch eine Theorie zu testen. Die neue von der Verflechtung der Kulturen kommt aus der Wirtschaftsgeschichte und hat gezeigt, wie etwa der Handel mit Zucker oder Baumwolle die Kulturen vernetzt hat. Es ist interessant zu verfolgen, wie die Ausstellung das Konzept kultureller Verflechtung aus der Wirtschaftsgeschichte auf die Kunstgeschichte überträgt. Ein Effekt ist, dass der Mehrwert meist bemüht, manchmal banal wirkt.
Einige Stationen folgen aber auch dem bewährten aufklärenden Muster der „Orientalismus“-Debatte: Westliche Vorstellungen werden korrigiert, indem man die Exponate im Funktionszusammenhang der fremden Kultur beschreibt. So geschieht das etwa im Ausstellungsteil über die osmanische Elitetruppe der Janitscharen. Kuratorin Schoole Mustafawy widmet ihnen einen Beitrag im Katalog, der auf solche Zusammenhänge hinweist. Etwa auf die Funktion als Schutztruppe des Sultans, die zugleich dessen größte Gefährdung war. Oder ihre Ausbildung, die eine rigide Umerziehung darstellt. Und auf die militärischen Ränge, die sich (auch hier: nomadisches Erbe) an den Zuständigkeiten in der Küche orientierten: Der „Oberste Wasserkocher“entsprach einem Leutnant.
Die Ausstellung nimmt jene Regionen in den Blick, aus der die „Türkenbeute“in Karlsruhe stammt und in denen die Grenze zwischen Habsburgerund Osmanenreich im 17. und 18. Jahrhundert hin- und her geschoben wurde. Normalerweise tituliert man diese Länder als Mitteleuropa: die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Siebenbürgen, die WestUkraine, Serbien und Kroatien. In der Ausstellung wird daraus „Europas Mitte“. Das klingt fast nach Donald Rumsfeld, dem US-Verteidigungsminister, der 2003 einen solchen Europabegriff lancierte, um eine Allianz der Willigen für neue Kreuzzüge zu schmieden.
Ähnlich speziell ist im Vorwort des Katalogs die Gleichsetzung des (multikulturellen wie multikonfessionellen) osmanischen Reiches mit der heutigen (nationalstaatlichen) Türkei. Das ist, als würde man das
Habsburgerreich mit Österreich identifizieren.
Die Ausstellung hat ein weiteres Anliegen. Sie will den Ansatz der kulturellen Verflechtung für aktuelle politische Diskurse dienstbar machen. „In Zeiten zunehmender Flucht- und Migrationsströme und eines spürbaren Rechtsrucks ist es das Gebot der Stunde“, schreibt Kuratorin Schoole Mustafawy, „den Mehrwert plurikultureller Gesellschaften selbst vergangener Epochen herauszuarbeiten“.