„Wenn das Cello mit den Wölfen heult“
Die neue Professorin Anna Lena Schmid steht erstmals in der Musikhochschule auf der Bühne
TROSSINGEN – Anna Lena Schmid, neue Professorin für digitale Perfomance und Ensemble am Landeszentrum der Hochschule, gab am Dienstagabend ihr Antrittskonzert unter dem Titel „cello/multiples“.
Mit der Programmauswahl machte die Cellistin klar, welchen Weg sie für Studierende und Zuhörer im Auge hat: weg vom herkömmlichen Musikgenuss, hin zur elektronisch dominierten Moderne. Wer Schmid bisher nur als Mitglied des umjubelten Frauenquartetts „Salut Salon“kannte, war verblüfft. Dabei fing der Abend mit der „Courante“des aus Spanien stammenden Komponisten Pedro Gonzáles Fernández noch ganz harmlos an: Schmid gab sich als „die mit dem Cello tanzt“und wirbelte das Instrument am Gängelband über die Bühne, schleuderte es im Kreis und nahm es schließlich auf die Schulter. Die Saiten spielten keine Rolle, zu hören gab es Elektronik, durch die „fetzenhaft Zitate aus den Bachsuiten für Cello solo geistern“, wie es im Programmheft hieß.
Für das Solostück „Dissociated Press - Input 2“des Regensburgers Leopold Hurt nahm Schmid ein anders Cello zur Hand und entlockte ihm Geräusche, die man von dem Abkömmling der höfischen Viola da braccio absolut nicht gewohnt ist. „Durch die Tieferstimmung mehrerer Saiten klingt das Cello rauh, knurrig und düster“informierte die Professorin in der Beschreibung der ebenfalls 2019 komponierten „Wolfsgesänge“, dem Auszug aus einem Projekt der 39-jährigen Oldenburgerin Sarah Nemtsov. „Es haucht in mikrotonal gestimmten Flageolets und heult mit den Wölfen“, geht die Ankündigung weiter. Das Instrument fiepte, krächzte unter der ungewohnten Bogenführung und winselte angsterfüllt. Dabei passen Streichinstrumente doch gar nicht in Isegrims Beuteschema.
Zu einem ebenso bedrohlichen Klangspektrum kamen bei „Red“, einem Musikvideo von Sarah Nemtsov, noch ausgesprochen unangenehme Bilder hinzu: Da tummelten sich Blutegel auf bloßer Haut, wurde Narbengewebe im XXL-Format gezeigt, eine Hand griff in eine blutende Wunde – nein, es war wohl doch nur Matsch aus roten Beeren. Angsteinflößende Szenen zeigten Nemtsov, als sie mutterseelenallein gefährliche Gebiete durchschritt: eine Tiefgarage, eine düstere Unterführung, eine Fabrikruine. Schmids Cello klang dazu wie das Kratzen von Fingernägeln auf Glas, ließ Sirenenklänge ertönen und wimmerte. Welch eine Steilvorlage für einen massiven Albtraum.
Für zwei weitere Stücke hatte Schmid Leopold Hurt persönlich eingeladen, der sie beim „ertrunkenden Rap“auf der elektronischen Altzither, bei Hurts Eigenkomposition „Aggregat“auf einer Basszither begleitete.
Zum Finale, drei der „Karaoke Etudes“des Griechen Yannis Kyriakides, hatte Schmid vier Studierende, Mitglieder des Open Source Ensembles, eingeladen. Alle Musiker starrten gebannt auf die Leinwand, wo neben Textpassagen auch bunte Punkte mit Notationshinweisen und reglementierende Linien auftauchten. Als Dirigentenersatz, sozusagen. Sicher eine nette Spielerei, aber ob damit Konzertsäle zu füllen sind, wird die Zukunft zeigen. Das Publikum im Saal der Hochschule war zahlreich, der Applaus jedoch eher verhalten.