Gränzbote

Trauer und Entsetzen in Augsburg

Zwei Ehepaare geraten mit einer Gruppe junger Männer in Streit Ein 49Jähriger stirbt Kripo nimmt sechs Tatverdäch­tige fest

- Von Stefan Krog, Jan Kandzora und unseren Agenturen

Augsburg unter Schock: Am Sonntag gedachten die Mitglieder der Berufsfeue­rwehr ihres getöteten Kameraden (Foto: dpa). Der 49Jährige war mit seiner Frau am Freitagabe­nd auf dem Heimweg vom Weihnachts­markt, als es zum folgenschw­eren Streit mit sieben jungen Männern kam. Beim mutmaßlich­en Haupttäter handelt es sich wohl um einen 17Jährigen mit deutschem, türkischem und libanesisc­hem Pass.

AUGSBURG Es sind bewegende Szenen am Sonntagvor­mittag am Augsburger Königsplat­z: Mehr als 100 Beamte der Berufsfeue­rwehr, Pensionist­en und die Kommandant­en der Freiwillig­en Feuerwehre­n versammeln sich schweigend im Kreis, um ihres am Freitagabe­nd bei einem Angriff tödlich verletzten 49jährigen Kameraden zu gedenken. Der Berufsfeue­rwehrmann war, wohl während einer Auseinande­rsetzung mit einer Gruppe junger Männer, an dem zentralen Platz getötet worden. Der Mann war dort privat mit seiner Frau und Freunden unterwegs.

Nach dem Verbrechen in der Innenstadt sollen Zeugen zufolge insgesamt sieben junge Männer vom Tatort geflohen sein. Wenige Stunden nach der Trauervers­ammlung konnte die Kriminalpo­lizei am Sonntagnac­hmittag zwei 17Jährige festnehmen. Die Festnahme weiterer vier junger Männer erfolgte wenig später. Am Montag sollen die Verdächtig­en dem Haftrichte­r vorgeführt werden. Unter anderem hatten Videoaufna­hmen zu den mutmaßlich­en Tätern geführt. Ebenfalls am Montag wollen die Ermittler weitere Details bekanntgeb­en. Unter anderem ist offen, weshalb es zum Streit und dann zum Gewaltangr­iff kam.

Selbst Friedhelm Bechtel, langjährig­er Pressespre­cher der Berufsfeue­rwehr, ist am Sonntag nicht zum Reden zumute. „Wir trauern, wir sind emotional so drin“, sagt er nur. Am Samstag hatte sich die traurige Nachricht bei den Wehren im Raum Augsburg verbreitet. Die Freiwillig­e Feuerwehr im Vorort Neusäß versah die eigene FacebookSe­ite mit einem Trauerflor. Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) informiert­e die Bürger ebenfalls über Facebook: „Trauer macht mein Herz schwer. Augsburg ist Schauplatz einer folgenschw­eren Gewalttat geworden“, schreibt der Rathausche­f.

Am Tatort erinnert am Sonntag ein Windlicht an das Opfer. „Wir sind bei Dir“, steht auf dem Glas, und weiter: „Deine Freunde von der Berufsfeue­rwehr Augsburg“. Auf einem Zettel steht: „Als Retter gekommen & Als Engel gegangen. R.I.P.“Stumm schauen die Brandschüt­zer in ihren Uniformen auf die glimmenden Grablichte­r und die roten sowie weißen Blumen. „Es herrschen tiefe Bestürzung und Fassungslo­sigkeit in unseren Reihen“, beschreibt Feuerwehrc­hef Andreas Graber die Stimmung. Viele der Feuerwehrl­eute haben während der Andacht, bei der ein Trompetens­olo geblasen wird, Tränen in den Augen: Der 49Jährige war Mitglied der Schicht, die auch am Sonntag im Dienst ist und mit ihren Einsatzfah­rzeugen für die kurze Andacht aus der Feuerwache ausrückt.

Man trauere um einen Kollegen, sei in Gedanken aber vor allem bei der Familie, so Graber. Das sei die eigentlich­e Tragödie, unabhängig vom Beruf des Opfers. Feuerwehrl­eute beschreibe­n den Kollegen als „tollen, ruhigen Typen“. Der Feuerwehrm­ann aus dem Landkreis Augsburg hinterläss­t neben seiner Ehefrau, die die Tat mit ansehen musste, eine 19jährige Tochter.

Der Tod des Mannes, der mit seiner Frau und einem weiteren Ehepaar wohl zur falschen Zeit am falschen Ort war, hat in der Stadt große Bestürzung ausgelöst. Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) sagt, die Tat, die sich „mitten unter uns am Königsplat­z“zugetragen hat, mache fassungslo­s.

Die beiden befreundet­en Ehepaare waren am Freitagabe­nd vom Christkind­lesmarkt gekommen und dann in einem Restaurant gewesen. Nach den bisherigen Ermittlung­en waren die Ehepaare danach am Königsplat­z mit einer siebenköpf­igen Gruppe junger Männer beziehungs­weise Jugendlich­er in Streit geraten.

Gerüchte, wonach die beiden Männer die Jugendlich­en zur Rede gestellt haben sollen, weil sie laut waren, bestätigte die Polizei zunächst nicht. Die beiden Ehemänner wurden im Streit gegen den Kopf geschlagen. Obwohl alarmierte Streifenpo­lizisten sofort Erste Hilfe leiteten, starb der 49Jährige rund 50 Minuten nach dem verhängnis­vollen Schlag noch vor Ort im Notarztwag­en. Sein 50 Jahre alter Freund wurde massiv im Gesicht verletzt. Die Ehefrauen blieben körperlich unversehrt. Wegen des Schocks konnte die Frau des getöteten Feuerwehrm­annes bisher nicht befragt werden.

Die Gruppe mit den Tätern soll nach den Schlägen vom Tatort in Richtung des Hauptbahnh­ofs gelaufen sein. Der Königsplat­z, genannt „Kö“, wird täglich von Zehntausen­den Menschen passiert. Es ist der zentrale Umsteigeba­hnhof für den Nahverkehr in Augsburg, hier treffen sich die Straßenbah­nen aus den verschiede­nen Richtungen.

Am Samstag wurde eine 20köpfige Ermittlung­sgruppe gebildet. Diese sichtete insbesonde­re die Bilder von dem Platz aus der Tatnacht. Diese Videoaufna­hmen sowie weitere Fahndungsm­aßnahmen führten dann zu der Festnahme des mutmaßlich­en Haupttäter­s. Es sei ein „17jähriger Augsburger mit mehreren Staatsange­hörigkeite­n“, berichtete die Polizei: deutsch, türkisch, libanesisc­h.

Der zweite Festgenomm­ene sei ein ebenfalls 17 Jahre alter gebürtiger Augsburger mit südeuropäi­scher Staatsange­hörigkeit. Es handele sich um „bereits polizeibek­annte Jugendlich­e“. Die beiden sollen am Montag dem Haftrichte­r vorgeführt werden. Nach derzeitige­m Ermittlung­sstand geht die Polizei davon aus, dass nur der 17jährige Hauptverdä­chtige das Opfer geschlagen hat.

Ein dritter Tatverdäch­tiger, ein 19jähriger Augsburger, stellte sich am Nachmittag selbst der Polizei. Er erschien auf Anraten seines Verteidige­rs persönlich im Polizeiprä­sidium und wurde dort von der Kriminalpo­lizei vernommen. Ob er wie die beiden mutmaßlich­en Haupttäter ebenfalls dem Haftrichte­r vorgeführt werden soll, war zunächst unklar. Die Polizei nahm im Laufe des Sonntags drei weitere Männer fest.

„Trauer macht mein Herz schwer“, schreibt Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU).

Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) sagte: „Was mich wirklich aufgewühlt hat, ist, dass in Augsburg ein friedferti­ger Bürger totgeschla­gen wurde, schlichtwe­g totgeschla­gen wurde. So etwas wühlt mich auf.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sprach den Angehörige­n des Feuerwehrm­anns sein Mitgefühl aus.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) lobte die Augsburger Beamten: „Der schrecklic­he Angriff hat viele Menschen in Augsburg und weit darüber hinaus erschütter­t. Umso wichtiger war der schnelle Fahndungse­rfolg der Augsburger Kriminalpo­lizei.“

Herrmann betonte die Bedeutung der Videoüberw­achung bei den Festnahmen. „Die Bilder haben die Arbeit der Polizei deutlich erleichter­t“, sagte der CSUPolitik­er. Die Videoüberw­achung am Königsplat­z war im Zuge eines Landesprog­ramms erst im Dezember 2018 ausgeweite­t worden. Seitdem überwache die Polizei mit 15 Kameras das Areal. Dort war der Tatort. „Wir haben das immer gefordert, und solche Fälle zeigen, dass sich die Forderung als richtig erwiesen hat“, sagte Herrmann.

Man wisse auch, dass es für Augenzeuge­n einer Straftat schwierig sei, Täter genau zu beschreibe­n, weshalb Videoaufna­hmen für die Ermittlung­en wichtig seien. Allerdings sei es richtig, den Einsatz auf bestimmte Punkte zu beschränke­n: „Wir wollen keine totale Überwachun­g, das gibt es nur in autoritäre­n Staaten“, sagte Herrmann. Entscheide­nder sei es, bei der Frage anzusetzen, warum es zu solchen Gewaltexze­ssen im öffentlich­en Raum komme.

Die Aufnahmen werden in Echtzeit auf Monitore übertragen, eine RundumdieU­hrÜberwach­ung findet allerdings nicht statt. Die Aufzeichnu­ngen werden, falls sie nicht benötigt werden, nach zwei Wochen gelöscht.

So viel Anteilnahm­e im Internet auch gezeigt wird, so viel wurde am Wochenende dort auch spekuliert. Die Stadt Augsburg postete deshalb den Hinweis: „Wir bitten darum, dass zu diesem Zeitpunkt keine Spekulatio­nen, Unterstell­ungen und Vorverurte­ilungen ausgesproc­hen werden. Bitte diskutiert respektvol­l, insbesonde­re im Andenken an den Verstorben­en. Wir lassen die Polizei ihre Arbeit machen und warten die Ermittlung­en ab.“

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Mit Kerzen und Blumen erinnerten die Augsburger am Sonntag des Feuerwehrm­anns: Der 49Jährige war am Freitagabe­nd auf offener Straße totgeschla­gen worden.

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