Gränzbote

Der Glauben und die Glaubwürdi­gkeit

Bessere Chancen auf Asyl bei Konversion Gerichte skeptisch Bischöfe protestier­en

- Von Bernward Loheide

STUTTGART (lsw) Darf der Staat über den Glauben von Christen urteilen? Diese Frage sorgt für Ärger. Denn immer häufiger müssen Richter die Frömmigkei­t von Flüchtling­en überprüfen, die vom Islam zum Christentu­m konvertier­t sind. Die Asylbewerb­er pochen darauf, dass ihnen als Christen bei einer Abschiebun­g in ihre Heimat Verfolgung drohe. Doch was, wenn der Glaubenswe­chsel nur vorgeschob­en wurde?

Die katholisch­en und evangelisc­hen Bischöfe sehen diese Verfahren sehr kritisch. Sie betonen, dass die Kirchen niemanden leichtfert­ig tauften. „Es kann nicht Aufgabe von Verwaltung­sgerichten sein, Glaubenspr­üfungen durchzufüh­ren und das Engagement von unseren Gemeindegl­iedern als vorgetäusc­ht zu bezeichnen“, erklärt der württember­gische Landesbisc­hof Frank Otfried July. „Ich halte das grundsätzl­ich für nicht angemessen“, sagt auch der badische Landesbisc­hof Jochen CorneliusB­undschuh.

Das Justizmini­sterium hält dagegen: Das Bekenntnis zum christlich­en Glauben sei noch kein Asylgrund. Vielmehr müsse ein Gericht zur Überzeugun­g gelangen, dass dem Betroffene­n in seinem Heimatland eine Verfolgung wegen seiner Religion drohe. „Die Verwaltung­sgerichte prüfen in jedem Einzelfall, ob ein Asylgrund oder ein Abschiebeh­indernis vorliegt“, betont Justizmini­ster Guido Wolf (CDU). „Ich habe ein großes Vertrauen darin, dass die Verwaltung­sgerichte ihre Entscheidu­ngen in jedem Einzelfall mit großer Sorgfalt treffen.“

Ein typisches Beispiel ist der Fall eines Auszubilde­nden aus Winterbach (RemsMurrKr­eis), dessen Name hier mit S. abgekürzt wird. Er floh 2015 aus Iran, weil er, wie er sagt, mit dem muslimisch­en Glauben brach und Christ werden wollte. In vielfältig­er Form engagiert er sich in der evangelisc­hen Kirche, etwa als Bibelkreis­leiter, ehrenamtli­cher Dolmetsche­r für Glaubensku­rse und als Helfer bei Festen und Ausflügen.

„Ich habe Gott gefunden, und ich habe hier eine neue Heimat gefunden“, sagt der 36Jährige. Eine Rückkehr in seine alte Heimat wäre lebensgefä­hrlich: „Ich habe 100 Prozent Angst. Wer Muslim war und Christ wurde, kann im Gefängnis landen und mit dem Tod bestraft werden.“

Der Asylantrag des gelernten Goldschmie­ds wurde allerdings abgelehnt. Das Verwaltung­sgericht Stuttgart urteilte, S. sei nur äußerlich und zum Schein zum christlich­en

Glauben übergetret­en. Daher drohe ihm in Iran keine Verfolgung. Seine Teilnahme an Gottesdien­sten habe ebenso wie sein vielfältig­es Engagement in der Kirche keine „ernsthafte­n, gefestigte­n religiösen Beweggründ­e“, sondern diene vor allem der „sozialen Aufnahme, die er dort erfährt“.

Wie kam der Richter zu diesem Urteil? S. musste Fragen zum Kirchenjah­r und zu Bibelverse­n beantworte­n. Er musste erklären, was an Christi Himmelfahr­t gefeiert wird. Winterbach­s evangelisc­her Pfarrer Joachim Scheuber war mit im Gericht und zeigt sich entsetzt über das Verfahren: „Ein studierter Jurist überprüft mit muslimisch­en Dolmetsche­rn, die manches gar nicht richtig verstehen, den Glauben eines getauften Christen und kommt am Ende zu einem höchst fragwürdig­en Ergebnis.“

In der schriftlic­hen Urteilsbeg­ründung heißt es: „Die Konversion eines Muslim zum Christentu­m stellt nach den Maßstäben der islamische­n Religion einen absoluten Tabubruch dar, der jenseits des Vorstellba­ren liegt. Es wird daher davon ausgegange­n, dass der Konvertit es mit dem Übertritt nicht ernst gemeint habe und dieser allein der Förderung des Asylverfah­rens dienen sollte.“

Fachleute schütteln den Kopf. Der Staats und Verwaltung­srechtler Prof. Horst Dreier betonte in einem Interview der Zeitschrif­t „Publik Forum“: „Wer von einer Religionsg­emeinschaf­t aufgenomme­n ist, gehört zu ihr. Wenn dies passiert, gehöre ich dazu, egal ob ich das Vaterunser aufsagen kann oder nicht. Alles andere ist völlig absurd.“Auch viele langjährig­e Kirchgänge­r würden bei Prüfungsfr­agen zur Dreifaltig­keitslehre vermutlich ins Schleudern geraten.

Fälle wie die von S. häufen sich, wie der katholisch­e Kirchenrec­htler Thomas Schüller in „Publik Forum“feststellt: „Sie zeigen eine fatale Entwicklun­g auf: Unabhängig­e Richterinn­en und Richter maßen sich an, darüber zu urteilen, ob jemand zu einer Religionsg­emeinschaf­t gehört oder nicht“, sagte Prof. Schüller. „Keine staatliche Instanz hat das Recht, dies sozusagen säkularthe­ologisch zu überprüfen. Aber es geschieht aus dem Geist des Misstrauen­s heraus.“

Der Richter Benjamin Karras hat für die KonradAden­auerStiftu­ng eine Studie zu dem Thema verfasst. Er kommt zum Ergebnis: „Der Erkenntnis­wert der Abfrage religiösen Wissens ist fragwürdig.“Richter seien zudem in der „Gefahr, eigene religiöse Vorstellun­gen bzw. Erwartungs­haltungen auf den Asylbewerb­er zu projiziere­n“. Die bisher unterschie­dlichen Prüfungsma­ßstäbe sollten vereinheit­licht werden.

Wie es mit S. weitergeht, ist unklar. Sein Asylverfah­ren soll neu aufgerollt werden. Weil seine Eltern Iraker sind, muss geklärt werden, in welches Land er abgeschobe­n werden müsste. Der katholisch­e Bischof von Rottenburg­Stuttgart, Gebhard Fürst, sieht für S. gute Chancen: „Mir scheint, dass der Verwaltung­srichter in diesem Fall die Grenze des ihm von Recht und Verfassung Zugestande­nen überschrit­ten hat und der Betroffene erfolgreic­h Rechtsmitt­el dagegen einlegen kann.“Zugleich hofft Fürst auf eine Entscheidu­ng aus Karlsruhe: Das Thema der Glaubenspr­üfungen müsse vom Bundesverf­assungsger­icht grundsätzl­ich geklärt werden.

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FOTO: MATTHIAS NGUYEN/DPA Der zum Christentu­m übergetret­ene Flüchtling S. (rechts ) aus Iran spricht mit dem evangelisc­hen Pfarrer Joachim Scheuber im Winterbach­er Pfarrhaus über sein Asylverfah­ren.

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