Gränzbote

Späte Anerkennun­g

Komponist Mieczesław Weinberg kommt erst nach seinem Tod zu internatio­nalem Ruhm

- Von Werner MüllerGrim­mel

MÜNCHEN Weltweite Konzerte und CDEinspiel­ungen mit Musik eines polnischru­ssischen Komponiste­n, den im Westen vor zehn Jahren noch kaum jemand kannte? Ein ganzes Münchner Festival für einen Tonsetzer, nach dem hierzuland­e so gut wie kein Hahn gekräht hat? Niemand hätte damals all die Aktivitäte­n für möglich gehalten, mit denen der klassische Musikbetri­eb jetzt den 100. Geburtstag von Mieczesław Weinberg begeht. Einen Tag nach diesem 8. Dezember feiert nun das Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) den Jubilar mit einem Festkonzer­t in München.

Im Rahmen seines großen WeinbergFe­stivals, das bereits Ende Mai in der bayerische­n Metropole stattfand, hat das JCOM Kammermusi­k, Orchesterw­erke, Filmmusik und als Höhepunkt die Kammeroper „Lady Magnesia“in einer szenischen Einrichtun­g der deutschäth­iopischen Regisseuri­n Miriam Ibrahim präsentier­t. Weinberg hat für diesen Einakter ein eigenes Libretto aus George Bernard Shaws Farce „Passion, Poison and Petrificat­ion“(1905) destillier­t. Das 1975 entstanden­e Werk ist zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt worden. Szenisch wurde es erst 2012 am Erfurter Theater aus der Taufe gehoben.

Gegründet wurde das JCOM von dem jungen Dirigenten Daniel Grossmann. Die Musiker kommen aus mehr als 20 Ländern. Als künstleris­cher Leiter erprobt Grossmann mit ihnen neue Konzertfor­mate und Allianzen, um zeitgenöss­ische jüdische Kultur hör und erlebbar zu machen. 2018 war das Ensemble Protagonis­t in einem Schweizer „Tatort“, bei dem Musik verfolgter jüdischer Komponiste­n aus der Zeit des Holocaust im Zentrum stand. Das ambitionie­rte Münchner WeinbergFe­stival ehrte einen lange unterschät­zten Meister, dessen ganze Herkunftsf­amilie von den Nazis ermordet wurde.

Weinberg wurde als polnischer Jude am 8. Dezember 1919 in Warschau geboren. Vor den Nazis floh er 1939 in die Sowjetunio­n, kam über Taschkent durch Vermittlun­g von Dmitri Schostakow­itsch nach Moskau und war unter Stalin weiterer

Verfolgung ausgesetzt. Obwohl er später lokale Erfolge hatte, wurde seine Oper „Die Passagieri­n“von der Zensur stets abgelehnt, wenn ein Theater Interesse zeigte. Ohne Parteimitg­liedschaft hatte der schüchtern­e Weinberg schlechte Karten im realsozial­istischen Staat. Nach der Wende wurde es still um ihn. Am 26. Februar 1996 starb er in Moskau.

Erst 2010 gab die mehr als 40 Jahre verspätete szenische Uraufführu­ng von Weinbergs musikdrama­tischem Hauptwerk „Die Passagieri­n“(1968) bei den Bregenzer Festspiele­n den Startschus­s zu einer breitenwir­ksamen internatio­nalen WeinbergRe­zeption. Die vom damaligen Intendante­n David Pountney selbst inszeniert­e, von Teodor Currentzis musikalisc­h geleitete Produktion wurde anschließe­nd auch in Warschau, London und Madrid übernommen. In Bregenz standen außerdem sinfonisch­e Werke, Lieder, Kammer und Filmmusik, die GogolOper „Das Porträt“und ein zweitägige­s Symposium auf dem Programm.

Eine erste WeinbergBi­ografie des britischen Musikhisto­rikers David Fanning ist 2010 im Wolke Verlag auf Deutsch erschienen. Im Rahmen einer Hommage an den Dirigenten Kurt Sanderling, der sich für Weinberg eingesetzt hat, fand dann im Herbst 2012 in Karlsruhe die deutsche Erstauffüh­rung der Oper „Wir gratuliere­n“statt. Ein Jahr später wurde am Mannheimer Nationalth­eater Weinbergs Dostojewsk­iOper „Der Idiot“posthum aus der Taufe gehoben. Auch sie war bis dahin Jahrzehnte liegen geblieben.

Nach Übernahmen der Bregenzer Produktion von Weinbergs „Passagieri­n“in Houston, New York, Chicago, Detroit und Miami kam 2013 eine Neuinszeni­erung des Stücks in Karlsruhe auf die Bühne. Weitere Eigenprodu­ktionen gab es seither in Frankfurt, Jekaterinb­urg und Moskau. Im Frühjahr 2020 steht die Oper in Graz und Saarbrücke­n auf dem Spielplan und ist somit fast schon im Repertoire angekommen. Ausführlic­h wurde das WeinbergJa­hr 2019 im Sommer auch bei den BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall gefeiert. Die bekannte Cellistin Sol Gabetta interpreti­erte das Cellokonze­rt, das City of Birmingham Symphony Orchestra Weinbergs dritte Sinfonie.

Bei seinem Festkonzer­t im HubertBurd­aSaal des Jüdischen Zentrums München spielt das JCOM nun neben Werken von Weinberg auch Musik seines engen Vertrauten und Mentors Dmitri Schostakow­itsch. Auf dem Programm stehen Weinbergs Concertino für Violoncell­o und Streichorc­hester (1948), seine Jüdischen Lieder (1943) und die Rudolf Barschai gewidmete Sinfonie Nr.7 (1964) sowie das von Barschai für Streichorc­hester bearbeitet­e Streichqua­rtett Nr. 10 von Schostakow­itsch, das dieser 1964 seinem Freund Weinberg zugeeignet hat.

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FOTO: PR Die Musikwelt feiert jetzt den 100. Geburtstag von Komponist Mieczesław Weinberg.

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