Allgäuer Marionetten
Wie die Traditionsbrauerei Farny Strohmänner für ihre Geschäfte nutzt
RAVENSBURG 20 Minuten hätte das Opfer noch zu leben gehabt, wären nicht schnell Nachbarn zu Hilfe geeilt. Der Angreifer hatte seinen ehemaligen Geschäftspartner, einen in Ravensburg und Wangen im Allgäu tätigen Gastronomen, bereits ein Jahr zuvor wegen Betrugs und Veruntreuung von Steuergeldern angezeigt. Doch die Staatsanwaltschaft Ravensburg stellte das Verfahren ein. Im Dezember 2018 griff der Mann zur Selbstjustiz. 21mal stach er auf den ehemaligen Kompagnon ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Inzwischen ist er wegen versuchten Mordes zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Die Bluttat, die Gastwirte, Kneipenbesitzer und Cafébetreiber in Oberschwaben und dem Allgäu aufgewühlt hat, hängt zusammen mit den geschäftlichen Winkelzügen eines weit über die Grenzen des Allgäus hinaus bekannten Unternehmens: der Brauerei Farny aus Kißlegg. Seit 1833 stellt das Unternehmen mit seinen heute rund 60 Mitarbeitern Bier her, 20 Millionen Flaschen pro Jahr. Farny nennt sich selbst Erfinderin des Kristallweizens. Auch abgesehen davon ist das Unternehmen keine gewöhnliche Brauerei. Es gehört der gemeinnützigen OskarundElisabethFarnyStiftung, die Bildung, Kirche, Tradition und Bedürftige fördert. Offenbar auch finanziert durch mitunter fragwürdige Geschäftsbeziehungen, wie bei dem Strafprozess gegen den Messerstecher vor dem Ravensburger Landgericht im Sommer 2019 herauskam. Denn dort offenbarte der später wegen versuchten Mordes verurteilte Messerstecher: Er habe niemals als Geschäftsführer einer FarnyGaststätte gearbeitet, sondern lediglich seine Gaststättenkonzession dafür zur Verfügung gestellt.
Wangen im Allgäu ist eine pittoreske Stadt. Mitten in der Altstadt liegt ein Traditionslokal mit angeschlossenem Hotelbetrieb. Große Holztische prägen den lichten Gastraum, ein Kachelofen und Gemälde an den Wänden sorgen für eine wohlige Atmosphäre. Auf der Speisekarte stehen Zwiebelrostbraten und Rumpsteak. Für Brauereien, die nicht nur mit dem Verkauf von Bier, sondern auch mit dem Verpachten von Gaststätten ihr Geld verdienen, ein lohnendes Objekt. Eigentlich. Doch die Brauerei Farny, die das Traditionslokal 2009 übernahm, fand einfach keinen Pächter.
Hintergrund ist die Tatsache, dass Brauereien nicht nur die Gasträume vermieten, sondern in der Regel den Wirten auch die Küchen und Lokalausstattung stellen. Im Gegenzug bezahlen die Pächter überhöhte Bierpreise, die ihre Gewinnmargen erheblich schmälern. Was dazu führt, dass manche Wirte Teile ihrer Einnahmen nicht versteuern oder Lohnkosten schwarz abrechnen. In mehreren europäischen Ländern, die nicht manipulierbare Registrierkassen in der Gastronomie einführten, stieg nach Einschätzung von Branchenexperten kurz danach das Plus bei der Umsatzsteuer um 20 Prozent. Die Beträge, die niemals in eine Kasse eingetippt werden, sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Der Bundesvorsitzende der Deutschen SteuerGewerkschaft, Thomas Eigenthaler, nennt die Gastronomie eine „steuerliche Hochrisikobranche“. Ein „erheblicher Teil“des Gesamtschadens, der dem Staat durch Steuerhinterziehung entstehe, entfalle auf die Gastronomie. Dabei stehen vor allem Pächter „unter wirtschaftlichem Druck, weil die Brauereien durch Lieferverträge und durch Pachtverträge großen ökonomischen Druck ausüben“, wie Eigenthaler im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“erläutert.
Die OskarundElisabethFarnyStiftung, Eigentümerin der Brauerei Farny, fand 2010 trotz verzweifelter Suche für das attraktive Objekt in der Wangener Altstadt keinen Pächter. Keiner wollte sich in die Abhängigkeit des Allgäuer Unternehmens begeben. Die Stiftung wandte sich in ihrer Verzweiflung an einen Gastronomen, das spätere Opfer des Mordversuchs, der zu dieser Zeit wegen des Hinterziehens von Steuergeldern kurz vor seiner Verurteilung stand. Dadurch hatte er auch seine Gaststättenkonzession verloren. Diesen Anwerbeversuch hat ein Ravensburger Jurist gegenüber der Kriminalpolizei Konstanz schriftlich bezeugt.
Da für die Brauereien aber nur Geld sprudelt, wenn Bier sprudelt, initiierte der FarnyBrauereichef ein ganz eigenes Geschäftsmodell: Der Steuerhinterzieher sollte die Wangener Gaststätte übernehmen, aber getarnt durch einen Strohmann als Konzessionsgeber – der spätere Messerstecher. Das belegen Dokumente, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen. Nur durch die Finanzierung der Strohmannkonstellation und die Finanzierung der Lokalausstattung durch Farny konnte der hoch verschuldete Steuerbetrüger überhaupt wieder ins Gastrogewerbe einsteigen.
Als Strohmann hatte der vermeintliche Geschäftsführer nichts zu sagen. Er unterschrieb zwar ihm vorgelegte Verträge, aber weder den FarnyBrauereichef noch den Vorstand der FarnyStiftung, den ehemaligen Wangener Oberbürgermeister Jörg Leist, hat er nach eigener Aussage jemals getroffen, sagte er vor der Kriminalpolizei und vor Gericht.
Im Lauf der Zeit kam es zwischen dem Konzessionsgeber und dem Steuerhinterzieher zu Streitigkeiten. Meist ging es ums Geld. Und wer das Sagen hat. Denn der Strohmann wollte als offizieller Geschäftsführer des Wangener Lokals irgendwann plötzlich mitreden. Zudem bekam er nicht den ihm versprochenen Lohn. Der Mann fühlte sich missbraucht und gedemütigt. „Er ist ein chronischer Lügner und Betrüger“, sagte er über den Kompagnon vor Gericht. „Ich wollte seine Betrügereien aufdecken.“Im Dezember 2017 zeigte er seinen Geschäftspartner bei der Ravensburger Staatsanwaltschaft wegen Untreue und Betrugs an.
Doch nichts geschah. Die Staatsanwaltschaft verfolgte den Fall nicht konsequent. Dabei war das spätere Opfer einschlägig vorbestraft: Er war nicht nur 2011 wegen Veruntreuung, Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrugs im Rahmen seines gastronomischen Geschäftsgebarens in Ravensburg zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, sondern erneut drei Jahre später in Memmingen wegen ähnlicher Delikte. Dort hatte er eine Diskothek und eine weitere Gaststätte betrieben – ebenfalls mit einem Strohmann als Geschäftsführer. Oder mehreren. Der verurteilte Messerstecher war jedenfalls einer von ihnen. Ähnlich funktioniert bis dato das Geschäftsmodell bei einem weiteren Wangener Hotel, das ebenfalls Farny gehört und seit 2017 an den verurteilten Steuerhinterzieher verpachtet ist. Dieses Konstrukt besteht laut Handelsregister bis heute.
Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Ravensburg wurde nach der Anzeige des späteren Messerstechers ein Verfahren eingeleitet, es ermittelte das Polizeirevier Wangen. Kurze Zeit später sei das Verfahren eingestellt worden, weil sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben habe.
„Mir hat's gereicht“, sagt ein Ravensburger Anwalt, der von den faulen Geschäften Wind bekam und im November 2017 aus eigener Initiative ebenfalls Anzeige wegen Vollstreckungsvereitelung und Steuerhinterziehung gegen den Gastronomen erhoben hatte. Doch auch diese Anzeige hatte bis heute keine Konsequenzen: Die Prüfung läuft. Der Anwalt hatte bereits im Februar desselben Jahres alle Beiräte der FarnyStiftung über die StrohmannMachenschaften informiert. Und zudem den badenwürttembergischen Justizminister Guido Wolf um das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses gebeten, weil er so eine Erklärung für das zögerliche Vorgehen der Ravensburger Staatsanwaltschaft erzwingen wollte. Auch diese Dokumente liegen der „Schwäbischen Zeitung“vor.
Der für Wirtschaftskriminalität zuständige Beamte beim Polizeipräsidium Konstanz, der schon 2012 wegen des Verdachts einer Strohmanngesellschaft gegen das spätere Opfer des Mordversuchs ermittelt hatte, versicherte im Sommer 2019 vor Gericht, er habe bis dahin niemals von der Anzeige gegen das spätere Opfer bei der Ravensburger Staatsanwaltschaft erfahren: „Ich hatte von den Vorgängen 0,0 Prozent Kenntnis.“Ein Ermittlungsauftrag der Staatsanwaltschaft Ravensburg erging nie, sagte der Kripobeamte vor Gericht.
Der „Schwäbischen Zeitung“sagte die Behörde, die im November 2017 gestellte Anzeige werde noch immer „geprüft“. Das heißt: Die Ermittlungen laufen noch. Der Chef der FarnyBrauerei weist gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“alle Anschuldigungen des Ravensburger Rechtsanwalts zurück. Auf eine schriftliche Anfrage gibt es als Reaktion nur eine knappe EMail. Zitat: „Grundsätzlich stellen wir klar, dass die uns bislang bekannten Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren.“
Der 54jährige ExStrohmann wurde im Juli 2019 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Verfahren gegen ihn vor dem Landgericht Ravensburg bescheinigte ihm der psychiatrische Gutachter eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur. Er habe sich vom späteren Opfer missbraucht und gedemütigt gefühlt. Sein Hass richtete sich niemals gegen die, die dieses Konstrukt eingefädelt hatten, bei dem er anfangs willentlich mitgemacht hatte. Sondern allein gegen seinen ehemaligen Kompagnon.
Der Mann sitzt inzwischen im Gefängnis. An seiner Stelle ist seit August 2017 ein neuer Geschäftsführer für das Wangener Traditionslokal eingetragen. Das Strohmanngeschäft läuft offenbar weiter. Der neue Geschäftsführer gab vor Gericht an, von Beruf Masseur zu sein.