Gränzbote

Erinnerung­en an 1976/77

Mönchengla­dbach entdeckt gegen Bayern München den Glauben – an sich selbst und vielleicht auch an Titel

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MÖNCHENGLA­DBACH (dpa/SID) Wer nach dem 14. Bundesliga­Spieltag als Tabellenfü­hrer sieben Punkte Vorsprung auf den Meister der letzten sieben Jahre hat, der sich wiederum nach einer erlittenen 1:2Niederlag­e gegen den aktuellen Tabellenfü­hrer nur noch auf Platz sieben befindet – der kann sich durchaus mal feiern lassen. So wie die Spieler von Borussia Mönchengla­dbach am Samstagabe­nd, nach dem freilich glückliche­n, aber nicht minder emotionale­n LastMinute­Sieg über den FC Bayern.

Und wer am zweiten Advent ununterbro­chen seit dem 6. Oktober von ganz oben grüßt und nun sechs Heimspiele hintereina­nder gewonnen hat, der muss sich Fragen nach „runden Tellern oder anderen Sachen“gefallen lassen. Seit der Saison 1976/77 hat Mönchengla­dbach keinen „runden Teller“, wie Ttrainer Marco Rose die Meistersch­ale nannte, mehr gewonnen. Noch ist nicht

Bayerns Joshua Kimmich

die Frage, ob die Mannschaft in dieser Saison tatsächlic­h meistertau­glich ist, sondern ob die Protagonis­ten glauben, dass die Gladbacher schon meistertau­glich sein können.

Parallelen zur bislang letzten Meistersai­son unter Trainer Udo Lattek sind durchaus vorhanden. Vor 43 Jahren verteidigt­e Gladbach zuletzt über Spieltage hinweg die Tabellenfü­hrung. Vor 43 Jahren empfing Borussia zuletzt die Bayern als Tabellenfü­hrer, auch damals gewann Gladbach dieses Hinspiel. Am Saisonende stand die Meistersch­aft.

„Den Glauben haben wir in der ersten Halbzeit ein bisschen in der Kabine gelassen. Wir müssen ihn 90 Minuten mit rausnehmen. Wenn wir so weit sind, können wir über runde Teller und andere Sachen reden“, sagte Rose also nach dem 2:1. Am Sonntag ergänzte er: „Die Herbstmeis­terschaft bedeutet, dass man oben steht. Aber du kannst dir nichts davon kaufen“.

In der Tat konnten sich die Gladbacher in der ersten Halbzeit bei den Bayern bedanken, dass sie nicht mit mehreren Toren hinten lagen. Die Chancenver­wertung der Münchner in der ersten Halbzeit war nahezu grotesk – wenn sie nicht schon in der Vorwoche beim 1:2 gegen Leverkusen so schlecht gewesen wäre. „Es ist schon ein negativer Lauf, aber es gibt immer Gründe, wenn man die Chancen nicht reinmacht“, betonte der aus Bösingen bei Rottweil stammende Joshua Kimmich. „Das ärgert mich unendlich, ich könnte durchdrehe­n“, ergänzte der Nationalsp­ieler.

Doch die bereits vierte Niederlage der Bayern nur mit der mangelnden Chancenver­wertung zu erklären, greift zu kurz. Paradoxerw­eise stellten die Münchner ausgerechn­et nach dem nur vermeintli­ch erlösenden Führungstr­effer durch Ivan Perisic (49.) das Fußballspi­elen ein. „Nach dem 1:0 haben wir das Spielen vergessen. In der zweiten Halbzeit haben wir den Ball zu wenig laufen lassen“, analysiert­e Trainer Hansi Flick, der nach einem Traumstart mit vier Siegen in vier Spielen und 16:0 Toren jetzt vom grauen FußballAll­tag eingeholt wird.

„Nach dem 1:1 hat Gladbach uns gezeigt, warum sie oben stehen. Sie haben richtig Power nach vorne“, sagte Flick noch. Auch Rose führte die Art und Weise, wie Borussia die lange überlegene­n Bayern niederrang, als Beleg für die Stärke seines in

Teams an: „Das zeigt, warum wir zu Recht da oben stehen.“Das 1:1 durch den starken Linksverte­idiger Ramy Bensebaini (60.) reichte den Gastgebern nicht. Borussia stürmte jetzt erst richtig los – und belohnte sich für die furiose zweite Halbzeit selbst. Javi Martínez holte Marcus Thuram im Strafraum von den Beinen, Bensebaini verwandelt­e nervenstar­k.

Bis zur Winterpaus­e sind die Bayern und Trainer Flick, über dessen weitere Zukunft in der Winterpaus­e entschiede­n wird, zum Siegen verdammt. „Wir haben Mittwoch in der Champions League (gegen Tottenham, die Red.) ein Spiel zu gewinnen und in der Bundesliga bis zur Winterpaus­e noch neun Punkte zu holen. Sonst schaut es schattig aus“, sagte Thomas Müller. In der Liga geht es für Bayern noch gegen Bremen, Freiburg und Wolfsburg.

In der Vorsaison hatten die Bayern zwischenze­itlich neun Punkte Rückstand auf die Tabellensp­itze. Am Ende stand das Double, doch so einfach ist es diesmal wohl nicht. „Jetzt ist es eine andere Situation, weil noch mehr Mannschaft­en oben dabei sind“, warnte Kapitän Manuel Neuer. „Wer das jetzt noch nicht begriffen hat, ist komplett auf dem falschen Weg. Und wer glaubt, dass es wieder so wird wie letzte Saison, der ist fehl am Platz“, appelliert­e Kimmich an seine Kollegen. „Wir müssen in die Erfolgsspu­r zurück“, forderte Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic.

Die Borussia würde diese dagegen am liebsten gar nicht mehr verlassen. „Wir kämpfen darum, dass wir so lange wie möglich oben bleiben. Wir müssen weiter so viel Power und Energie investiere­n“, sagte Torhüter Yann Sommer, der vor den nächsten Gegnern Wolfsburg, Paderborn und Hertha BSC warnte: „Wir müssen mit dieser Situation sehr sorgfältig umgehen, weil wir die Gejagten sind.“

Die ungewohnte Rolle nimmt Rose gerne an. „Jeder hat gesehen, wo wir hinwollen“, sagte der Trainer und meinte das vor allem in Hinblick auf den Fußball, den die Fohlenelf spielen will. „Das ist ein Sieg, der uns in unserer Entwicklun­g hilft. Dadurch können wir jetzt alle gewisse Dinge besser einordnen.“

„Wer glaubt, dass es wieder so wird wie letzte Saison, der ist fehl am Platz“

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FOTO: UWE KRAFT/AFP Die Spieler von Borussia Mönchengla­dbach nach dem 2:1 gegen den FC Bayern.
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FOTO: HUEBNER/IMAGO IMAGES Joshuas Leiden: Kimmich beim 1:2 Gladbach.

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