Ein Zeichen an die Welt
Mit ihrer Botschaft gegen Rassismus zeigen die Profis, dass sie mehr als unterhalten können
FRANKFURT (SID/sz) - Sie brachen bewusst die Regeln, nahmen billigend eine Strafe in Kauf, ohne Rücksicht auf einen sportlichen Rückschlag – und taten damit genau das Richtige: Nach ihrem viel beachteten Aufschrei gegen Rassismus und Polizeigewalt erhielten Weston McKennie, Jadon Sancho und die anderen Protest-Fußballer (fast) ausnahmslos Zuspruch – in der Bundesliga und über Grenzen hinweg. „Wenn man sich öffentlich gegen Rassismus stellt“, lobte Borussia Mönchengladbachs Trainer Marco Rose, „dann ist das schwer in Ordnung“.
Sein Stürmer Marcus Thuram hatte mit einem Kniefall ebenfalls Solidarität demonstriert, dies jedoch etwas verborgener als die Kollegen getan. Schalkes McKennie sowie die Dortmunder Jadon Sancho und Achraf Hakimi trugen ihre unmissverständliche Forderung schließlich am Arm und auf der Brust: „Justice for George!“war da zu lesen, also Gerechtigkeit für den durch polizeiliche Gewalt verstorbenen US-Bürger George Floyd. „Ich würde mir wünschen, dass die Spieler häufiger solche Verantwortung übernehmen. Denn wir alle wissen, was für eine Wirkung sie haben“, sagte Bayern
Münchens Vorstandsmitglied Oliver Kahn bei Sky90. Der Tenor der Schlagzeilen über die Aktionen war weltweit gleich, sie wurden als richtiges Signal und Antwort auf die verstörenden Bilder aus den USA aufgenommen. Gleichzeitig zeigten die Profis, dass es abseits der in der Branche weit verbreiteten BlingBling-Attitüde auch politisch zugehen kann. Die Kicker sind eben nicht nur für die Unterhaltung zuständig, lassen ein paar
Phrasen erklingen und verschwinden wieder. Die Bundesliga kann durchaus politisch – und das von der Basis und nicht aufdiktiert von oben.
Und standen die Fußballer weltweit nicht allein. So nutzten auch Superstars anderer Sportarten ihre Reichweite: „Ich stehe zu denen, die auf den tief verwurzelten Rassismus und die Gewalt gegen farbige Menschen in unserem Land aufmerksam machen“, sagte Basketball-Ikone Michael Jordan. Formel-1-Champion Lewis Hamilton geißelte indes die Zurückhaltung zahlreicher Kollegen, schrieb: „Ihr, die schweigt, ich sehe euch. Einige von euch sind die größten Stars, und doch bleibt ihr inmitten der Ungerechtigkeit still.“
Doch war es ausgerechnet der Fußball-Weltverband, der eine klare Positionierung vermied, obwohl er eigenen Angaben zufolge doch unermüdlich gegen Rassismus kämpft. Bei einem Tweet über die besten Scorer in Europas Top-Ligen tauschte die FIFA das Bild mit Sanchos Botschaft kurz nach der Veröffentlichung durch ein neutrales.
Vermutlich auch deshalb, weil die Aktionen eigentlich gegen das Regelwerk verstoßen. Die Ausrüstung oder die Unterwäsche der Spieler dürfen schließlich „keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen“. Anton Nachreiner, der Vorsitzende des Kontrollausschusses des DFB, teilte daher bereits mit, „sich im Laufe der nächsten Tage dieser Angelegenheit annehmen und den Sachverhalt prüfen“zu wollen.
DFB-Vizepräsident Rainer Koch bemühte sich am Montag, die Wogen zu glätten und verwies auf die grundsätzliche Aufgabe des Kontrollausschusses, „die Einhaltung der Satzung und Ordnungen des DFB zu überwachen und bei Verstößen den Sachverhalt zu überprüfen.“DFBPräsident Fritz Keller zeigte grundsätzliches Verständnis. Moralisch könne er die Aktionen „absolut verstehen. Was in den USA passiert ist, kann niemanden kalt lassen.“Ohnehin gilt das Narrativ vom unpolitischen Sport schon lange nicht mehr.
„Wenn der Kontrollausschuss dagegen ermittelt, dann muss man sich fragen, ob wir noch die gleichen Werte haben“, sagte Geschäftsführer Oliver Ruhnert von Gladbachs Gegner Union Berlin: „Es geht um ein globales Thema: dem Nein zu Rassismus.“Kahn munterte die Spieler derweil zu weiteren Botschaften auf. „Natürlich ist das eine Situation, die nicht erlaubt ist“, sagte der ehemalige Torhüter: „Trotzdem denke ich, die Spieler sollten ruhig mündig sein. Sie sollten ihre Meinungen zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen auch kundtun.“Die Gladbacher bezeichneten Thurams Kniefall als „besonderen Moment im BorussiaPark“. Wohl wahr – und wahrscheinlich weit über das Stadion hinaus.
„Trotzdem denke ich, die Spieler sollten ruhig mündig sein.“
Oliver Kahn