Doppelter Einsatz
Die EZB stockt ihr Corona-Notkaufprogramm für Anleihen um 600 Milliarden auf knapp 1,4 Billionen Euro auf
FRANKFURT - Wem die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) zu Beginn ihrer Amtszeit zu zögerlich erschien, dürfte spätestens jetzt eines Besseren belehrt sein. Denn Christine Lagarde hat am Donnerstag die Entscheidung des EZB-Rates verkündet und erklärt, das Anleihekaufprogramm gegen die CoronaKrise um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro aufzustocken.
Das „Pandemic Emergency Purchase Programme“– kurz PEPP – hatte die Notenbank am 18. März auf den Weg gebracht. Bislang lag der Umfang bei bis zu 750 Milliarden Euro, das Programm sollte mindestens bis Jahresende laufen. Nun steigt dessen Umfang also noch einmal beträchtlich und die Laufzeit verlängert sich ebenfalls – bis mindestens Mitte nächsten Jahres, wenn nötig, auch darüber hinaus. Zusammen mit den bereits bestehenden geldpolitischen Stimulationsmaßnahmen, werde das Programm die Finanzierungsbedingungen in der Wirtschaft der Eurozone verbessern, unterstrich Lagarde. So solle der Kreditfluss zu Haushalten und Firmen in Gang gehalten werden.
Denn der Ausblick ist düster: Um 8,7 Prozent, so schätzen die Währungshüter, wird die Wirtschaft im Euroraum in diesem Jahr schrumpfen. Noch im März war die EZB von einem Wachstum von 0,8 Prozent ausgegangen. Lagarde sprach von einem beispiellosen Konjunktureinbruch. Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste und eine außergewöhnlich hohe Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung hätten zu einem deutlich Rückgang von Konsumausgaben und Investitionen
geführt. Immerhin: Nach Einschätzung der Ökonomen in den EZB-Türmen in Frankfurt wiesen Indikatoren für den Mai schon auf eine Phase der Bodenbildung hin. Dementsprechend erwartet die EZB, dass es in der zweiten Jahreshälfte wirtschaftlich wieder aufwärts geht. Im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum der 19 Staaten dann kräftig um 5,2 Prozent zulegen. Im Jahr 2022 erwartet die EZB 3,3 Prozent Wachstum. Allerdings hänge die Entwicklung vor allem von der Dauer und dem Erfolg der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ab, sagte Lagarde.
Jedenfalls hat der Konjunktureinbruch bereits dazu geführt, dass die Inflation deutlich gefallen ist. Die Preissteigerung im Euroraum lag im Mai gegenüber dem Vorjahr nur noch bei 0,1 Prozent. Ziel der EZB ist Preisstabilität
– und die sieht sie bei knapp zwei Prozent gegeben. Aus diesem Grund flutet die EZB mit Nullzinsen, Anleihekäufen und anderen Instrumenten wie speziellen Krediten für Banken die Märkte wie nie zuvor. Lagarde wiederholte mehrmals in der Pressekonferenz, ihr Ziel sei es, auf den Inflationspfad von vor der Corona-Krise zurückfinden zu wollen. Im Februar lag die Inflation in der Eurozone noch bei 1,2 Prozent.
Durch die Anleihekäufe senkt die Notenbank auch das allgemeine Zinsniveau, sodass die Schuldenaufnahme für Haushalte, Unternehmen und Staaten günstig bleibt. Dabei hat sie offenbar auch das Problem der hohen Staatsverschuldung in Ländern wie Italien im Blick. „Die niedrigen Zinsen helfen den Ländern enorm“, sagte der Chefvolkswirt der DZ Bank Stefan Bielmeier. „Und das ist ja auch das Ziel: Die Kosten für die Schulden der Länder niedrig zu halten, um ihnen Spielraum zu geben, die Konjunktur zu unterstützen.“
Allerdings – und das ist die Kehrseite der Krisenpolitik der Währungshüter – kommt die Europäische Zentralbank damit in den Verdacht, gezielt Staatsfinanzierung zu betreiben. Und das ist ihr eigentlich verboten – eine Zwickmühle. „Das wird aus meiner Sicht Staatsfinanzierung sein und das darf die EZB eigentlich nicht. Andererseits muss die EZB das machen, um in dieser außergewöhnlichen Krise tatsächlich Ländern wie Italien auch helfen zu können“, sagt Bielmeier.
Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang Mai das ab 2015 laufende und ebenfalls milliardenschwere Anleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) als mindestens begründungsbedürftig eingestuft, was die Verhältnismäßigkeit angeht. In dieser Frage hofft Christine Lagarde auf eine gute Lösung für alle Seiten, stellte aber auch unmissverständlich klar: „Die EZB unterliegt der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs.“Eine Lösung dürfe keinesfalls die Unabhängigkeit der EZB kompromittieren, die Vorrangstellung von EURecht oder die Entscheidung des EuGH.