Lebensmittel werden wohl billiger
Viele Händler wollen Vorteile an Kunden weitergeben – Debatte um Dauer der Steuersenkung
BERLIN (dpa) - Angesichts der geplanten Senkung der Mehrwertsteuer hat der Lebensmittelhandel niedrigere Kosten für Verbraucher angekündigt. Ketten und Discounter wollen zum großen Teil die Kunden von den steuerlichen Vorteilen profitieren lassen. „Insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel plant, die Preisvorteile an die Kunden weiterzugeben“, sagte die Handelsexpertin Jessica Distler von der Beratung Boston Consulting Group (BCG). „Aufgrund des beständig hohen Wettbewerbs in der Branche können Konsumenten hier sicherlich mit positiven Auswirkungen rechnen.“
„In der aktuellen Situation kommt es mehr denn je darauf an, die Verbraucher zu entlasten und das Konsumklima in Deutschland zu stärken“, teilte Edeka am Freitag mit. Vorstandschef Markus Mosa begrüßte die Maßnahme der Regierung als „deutlichen Konjunkturimpuls“für alle Bürger. Auch die EdekaTochter Netto Marken-Discount möchte die Steuervorteile „vollumfänglich“an die Kunden weitergeben. Der nahezu namensgleiche Konkurrent Netto will von Juli an „viele unserer Produkte deutlich im Preis senken“. Ähnlich äußerten sich andere Unternehmen. „Wir werden uns dieser Aufgabe stellen – und werden das auch an die Kunden weitergeben“, sagte ein Sprecher der Supermarktkette Rewe. Die Discounter Aldi Nord und Süd teilten der „Lebensmittelzeitung“zufolge mit, die Mehrwertsteuersenkung werde „in Form von günstigeren Preisen“weitergegeben. Lidl und die Tochter Kaufland planen dies ebenfalls.
Handelsexperten haben aber Zweifel, ob auch andere Branchen mitgehen. Zurückhaltend äußerte sich am Freitag der Konzern Ceconomy, Mutter der Elektronikketten Media Markt und Saturn. Ceconomy wolle bei der Umsetzung der geplanten Mehrwertsteuersenkung „verantwortungsbewusst und im Sinne der gesamtwirtschaftlichen Ziele des Programms handeln“, berichtete die „Lebensmittelzeitung“. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, wies zudem darauf hin, dass die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer für den Handel auch Nachteile mit sich bringen könne. Anders als bei der Senkung sei es bei einer Wiedererhöhung viel schwieriger, dies an den Kunden weiterzugeben, da es an Akzeptanz fehlen könne.
In der Großen Koalition wird derweil weiterhin darüber diskutiert, ob die Absenkung möglicherweise doch verlängert werden könne. Dies, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag mehrfach bekräftigt hatte, die Mehrwertsteuerregelung solle nur temporär für sechs Monate gelten. Zuvor hatte sich die schwarz-rote Koalition darauf geeinigt, die Mehrwertsteuersätze zu senken – von 19 auf 16 Prozent und von 7 auf 5 Prozent. Gelten sollen die neuen Sätze lediglich vom 1. Juli bis 31. Dezember. Das soll die durch die Corona-Krise in Mitleidenschaft gezogene Konjunktur ankurbeln.
MÜNCHEN - So oft Markus Söder auch dementiert hat, der nächste Kanzlerkandidat der Union werden zu wollen, so hartnäckig halten sich die Gerüchte, dass der CSU-Chef am Ende doch noch nach Berlin wechseln könnte. Beobachter meinen jedenfalls festgestellt zu haben, dass die Dementis zuletzt nicht mehr ganz so kategorisch ausfielen wie zuvor. Ralf Müller hat den Politikwissenschaftler und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter befragt, wie die Chancen auf einen dritten Kanzlerkandidaten der CSU stehen.
Herr Professor Oberreuter, Spekulationen nehmen derzeit an Fahrt auf, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder doch UnionsKanzlerkandidat werden möchte. Man schließt das aus etwas weicheren Dementis und Urlaubsplänen im hohen Norden. Ist da was dran?
Ich würde es nicht an weichen Dementis und an Urlaubsplänen festmachen, sondern an den Karrierehöhepunkten eines jeden führungskräftigen Politikers. Wenn eine Chance auf eine Kanzlerkandidatur auf so einen Menschen zukommt, wird er, wenn er auch nur im Geringsten eine Chance sieht, nicht davonlaufen. Es hat bisher zwei bayerische Kanzlerkandidaten gegeben. Beide haben lange Zeit jede Absicht, für dieses Amt zur Verfügung zu stehen, dementiert. Sie haben die Situation sich immer erst so zuspitzen lassen, dass sie kaum mehr fliehen konnten. Bei Strauß war das ein bisschen anders als bei Stoiber. Jedenfalls ist die Aussage „Mein Platz ist in München“eine wohlfeile These, aber ohne jede Zukunftsrelevanz.
Unter anderem auch ein ehemaliger CSU-Kanzlerkandidat hat Söder von einer Kanzlerkandidatur abgeraten. Was würden Sie dem CSU-Chef raten?
Entscheidend ist die Situation in der CDU. Wenn der CSU-Vorsitzende sagt, ohne uns wird kein Kanzlerkandidat bestimmt, dann ist das keine Aussage für eigene Optionen, sondern eine Selbstverständlichkeit. Der Kanzlerkandidat steht für beide Parteien und ist daher auch von beiden zu nominieren. Das hat immer eine Rolle gespielt. Beide bisherigen CSU-Kanzlerkandidaten sind in einer hochproblematischen Situation der CDU zum Zuge gekommen – mit schwierigen Wahlaussichten. Die gegenwärtige Situation unterscheidet sich davon. Die Wahlaussichten der CDU werden Ende 2021 zwar nicht so gut sein wie in der Demoskopie gegenwärtig, aber die Frage, ob die Union stärkste Kraft sein wird, stellt sich nicht. Insofern braucht man keinen existenziellen Retter aus Bayern.
Also eher nicht?
Es wird interessant bei der Frage, ob die CDU ein überzeugendes Personalangebot hat. Wenn die CDU im Dezember einen Parteivorsitzenden mit 80 oder 90 Prozent wählt, wird der schwer zu umgehen sein. Die Corona-Krise schafft ihre eigenen Voraussetzungen, aber die gelten nicht für alle Zeiten. Also wäre der Rat: Die gute Rolle, die Söder gegenwärtig spielt, durch zukunftsgerichtetes Handeln auszubauen und die Chance, die er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz auf der deutschen Bühne derzeit hat, zu nutzen. Das Abraten des früheren Ministerpräsidenten Stoiber von einer Kanzlerkandidatur könnte ein taktischer Rat für das Kandidaturtheater sein.
Gibt es strukturell überhaupt eine Chance für einen CSU-Politiker, Bundeskanzler zu werden?
Söder hat gegenwärtig unstrittig einen Bonus. Den hatte Strauß überhaupt nicht und Stoiber bestenfalls zur Hälfte, weil er innerhalb der CDU/CSU alternativlos war. Frau Merkel war damals noch nicht so weit und hatte im eigenen Parteivorstand noch keine Mehrheit für eine
Kanzlerkandidatur. Stoiber war eigentlich der Oppositionsführer gegen Rot-Grün, weil die CDU in sich zerfleddert war. Söder aber hat unter den gegenwärtigen Bedingungen der Krise, die wahrscheinlich Ende 2021 nicht mehr so sein werden, einen Partei- und Landesgrenzen überschreitenden Bonus. Deshalb hat sich die Situation gegenüber früheren CSU-Kandidaturen geändert.
Also nichts ist mehr unmöglich, auch kein CSU-Kanzler?
Gegenwärtig setzt sich ja auch die Ansicht durch, dass Bayern Menschen und auf der politischen Bühne keinen Vorurteilen ausgesetzt sind. Die CSU ist ein eigenständiges Element im Parteiensystem. Das macht sie auf der einen Seite stark, auf der anderen Seite spielt sie innerhalb des
Unionslagers eine Außenseiterrolle. Alle CDU-Spekulationen über den Kanzlerkandidaten enden erst einmal an den weiß-blauen Landesgrenzen. Man darf nie vernachlässigen, dass ein CDU-internes Gefühl entstehen könnte nach dem Motto: „Bevor wir einen Bayern nehmen, einigen wir uns auf X oder Y“. Es kann aber auch sein, dass in der CDU sich die Ansicht durchsetzt, wir nehmen diese weiß-blaue Figur, weil sie uns in Deutschland nützt. Bei Stoiber war das eindeutig so.
Wenn man der banalen Logik folgt, Spitzenkandidat sollte derjenige sein, der bei den Wählern auf die größte Zustimmung stößt, dann ...
... muss man gegenwärtig – ich wiederhole: gegenwärtig – Söder nominieren. Das ist das Besondere an der Situation, dass er – obwohl er gar keine Kandidatur erklärt hat – die besten Aussichten am Wählermarkt hat.
Seine eigene Partei scheint von dieser Aussicht nicht so begeistert. Man hört überwiegend Warnungen vor einer Kanzlerkandidatur aus der CSU.
Auch das ist historisch nichts Neues. Das war sowohl bei Strauß wie bei Stoiber so. Damit verbindet sich die Vorstellung, dass eine Niederlage des unangefochtenen Spitzenmanns auf Bundesebene negativ auf dessen Reputation im Land zurückschlägt.
Stoiber hat aber nach seiner missglückten Kanzlerkandidatur in Bayern ein besonders gutes Landtagswahlergebnis eingefahren.
Das ist richtig, trotzdem ist im Vorfeld von führenden CSU-Leuten genau diese Warnung ausgesprochen worden. Auch bei Strauß. In der gegenwärtigen Situation der CSU käme noch dazu, dass es für Söder als Ministerpräsidenten keinen sich aufdrängenden Nachfolger gäbe. Und die CSU hat keine Neigung, wieder irgendwelche Nachfolgediskussionen zu inszenieren.
Man wird also erst im Dezember mehr Klarheit haben, wenn man gesehen hat, mit welcher Zustimmung die CDU ihren neuen Vorsitzenden gekürt hat?
Gegenwärtig besteht in keiner Hinsicht Sicherheit. Die Unterstellung, Söder würde sich in jeder Hinsicht weigern, nach Berlin zu gehen, ist jedenfalls falsch. Ob sich die Chance wirklich eröffnet, kann man im Augenblick nicht zuverlässig sagen. Auszuschließen ist es jedenfalls nicht.