Philanthrop und Feindbild
Milliardär Bill Gates unterstützt weltweit Impfprogramme – Verschwörungstheoretiker sehen dahinter düstere Absichten
RAVENSBURG - Bill Gates ist der Erzfeind vieler Lockdown-Gegner, Verschwörungstheoretiker und CoronaSkeptiker. Eine Hassfigur, wie es Greta Thunberg für die Leugner des Klimawandels ist. Gates wird im Internet und bei Demonstrationen zum Sündenbock für die Coronavirus-Pandemie und ihre Folgen gemacht.
Vor 20 Jahren hat der MicrosoftGründer seine Bill und Melinda Gates-Stiftung ins Leben gerufen. Die größte Privatstiftung der Welt unterstützt unter anderem internationale Impfprogramme und die Weltgesundheitsorganisation WHO im Kampf gegen Krankheiten. Mit seiner Impfallianz Gavi will Gates ebenfalls die Forschung nach Impfstoffen vorantreiben.
Verschwörungstheoretikern zufolge tut er das nicht, um Leben zu retten. Sie unterstellen ihm böse Absichten. So soll Gates die Entwicklung des aktuellen Coronavirus finanziert haben. Die angeblichen Gründe dafür gehen in den Erzählungen auseinander: Er wolle mit dem Impfstoff entweder Milliarden scheffeln, den Menschen damit Chips zur Kontrolle einpflanzen – oder die Weltbevölkerung auf 500 Millionen Menschen dezimieren.
Glaubt man dem ehemaligen Radiomoderator Ken Jebsen, hat Gates Deutschland bereits gekapert. Das legt jedenfalls der Titel eines der YouTube-Videos nahe, in denen Jebsen krude Theorien von sich gibt. Eine davon: Ob die Kinder in die Schule gehen und die Eltern den Beruf ausüben können, ob man eine Maske tragen muss oder in den Urlaub fliegen kann, „bestimmen nicht Sie, die die Regierung gewählt haben“, wendet sich Jebsen in dem halbstündigen Video an den Zuschauer, „das bestimmen Bill und Melinda Gates“. Diese würden sich mit ihren Milliarden über die WHO in die Regierungen einkaufen. So könnten sie Zwangsimpfungen durchsetzen. Damit hätten sie „mehr Macht als seinerzeit Roosevelt, Churchill, Hitler und Stalin gemeinsam“. Was genau diese Macht auszeichnet, sagt Jebsen nicht.
Auch für Attila Hildmann und seine Anhänger ist Gates eines der Feindbilder in der Corona-Krise. Der Kochbuch-Autor und prominente Fürsprecher der Corona-Skeptiker sieht hinter den Maßnahmen den Plan einer globalen Elite. „Satanist“Bill Gates gehöre dazu. Auf seiner Facebook-Seite schreibt Hildmann: „Wundert euch nicht, wenn er euch in Zukunft mit einer Spritze krank macht, sterilisiert oder tötet.“In einer Virus-Pandemie kann ein Impfstoff die Erlösung bringen. Durch ein solches Mittel können die Verbreitung des Virus gestoppt und Beschränkungen zurückgefahren werden.
Warum treffen solche Mythen dann ausgerechnet Bill Gates, der seine Milliarden für den Kampf gegen
Infektionen und für die Entwicklung eines Impfstoffes einsetzen möchte? „Die Menschen suchen in Krisen nach einfachen Erklärungen – und der Microsoft-Gründer steht wohl am „sinnbildlichsten für Informationssysteme und Digitalisierung“, erklärt Kulturwissenschaftler und Verschwörungstheorien-Experte Jan
Söffner von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Die Pandemie habe die Menschen lange vor ihre Bildschirme gezwungen, sei es im Homeoffice oder für den Kontakt mit Freunden. Sie seien auf Computer und digitale Hilfsgeräte angewiesen gewesen – für deren Weiterentwicklung Gates auch ikonisch steht. „Bei Bill Gates passen solche Verschwörungstheorien daher unbewusst – und nicht auf eine logische Weise – besser als bei anderen Wohltätern“, so Söffner.
Zwar unterstützt die Gates-Stiftung in der Tat Projekte, die zur digitalen Identifizierung von Menschen oder der Verhütung via Mikrochips forschen. Aber diese haben nichts mit dem Coronavirus zu tun – und erst recht nicht mit der Kontrolle von Menschen. Auch wurden freiwillige Studien der WHO zu neuen Verhütungsmitteln zu ZwangssterilisationsKampagnen umgedeutet.
Beim Software-Milliardär und Impfunterstützer Bill Gates haben Verschwörungstheoretiker laut Söffner dennoch das Gefühl: „Da passt alles so schön zusammen.“Unter 10 000 möglichen konspirativen Theorien, die allesamt an den Haaren herbeigezogen seien, entscheide man sich daher für jene Mythen rund um den 64-Jährigen. „Und nicht etwa für Dietmar Hopp“, erklärt Söffner – obwohl auch der SAP-Gründer mit seiner Biotech-Holding Haupteigentümer des Tübinger Biotechunternehmens Curevac ist und die Forschung an Viren unterstützt.
Auch die Bill und Melinda GatesStiftung investiert in Curevac und in Pharma-Unternehmen wie Pfizer, Sanofi und Bayer. Die Stiftung will durch die Kooperation vor allen den Impfbereich voranbringen. Das bringt ihr den Vorwurf ein, sie wolle über ihr weltweites Impf-Engagement finanziell profitieren. Dabei gehören Impfungen dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie zufolge nicht einmal zu den Top Ten der weltweiten Anwendungsgebiete für Medikamente. Am billionenschweren Arzneimittelmarkt machen Impfstoffe nur einen geringen Teil aus. Außer bei Mehrfachimpfungen müssen die Vaxine oft nur einmal gegeben werden – anders als teure Medikamente, die chronisch Kranke über Jahre nehmen müssen. Reich wird man also mit anderen Medikamenten.
Kritiker bemängeln weiterhin die hohen Beitragszahlungen der Stiftung an die WHO. In der Periode 2018/2019 hat sie ihr 367,7 Millionen Dollar gespendet. Damit war sie zweitwichtigster Zahler nach den USA – bevor die Vereinigten Staaten die WHOBeiträge eingefroren haben. Kritiker unterstellen, Gates dürfe dadurch eine Richtung vorgeben.
Anja Langenbucher, Europadirektorin der Stiftung, sagte dem Deutschlandfunk, dass man trotz Unterstützung keinen Einfluss auf das Arbeitsprogramm der WHO nehme. „Das wird nach wie vor von den Mitgliedsstaaten festgelegt“, so Langenbucher. Da gehe es um Krankheiten, von denen man derzeit nicht viel höre: Hepatitis, Tuberkulose, Diphterie.
Derzeit dominiert das Coronavirus die Schlagzeilen – und mit ihm der Mythos des Impf-Schurken Bill Gates.