Damit Abstand und Maske passen – bei dir, bei euch, bei Ihnen
Aus ihrer Aushangpflicht zum Corona-Schutz machen die Lebensmittelhandelsketten nebenbei eine Kür in Sachen Kundenkommunikation
RAVENSBURG - Zwei Strichmännchen, trennend zwischen sich einen waagerechten Doppelpfeil; ein Händepaar unterm Wasserhahn; rot durchgestrichene Finger in einem stilisierten Gesicht: Die Piktogramme bräuchten keine Worte. Doch Lidl möchte seinen Kunden noch etwas mitgeben auf den Einkaufsgang in außergewöhnlicher Zeit: „Das alles kann uns helfen, gemeinsam gesund zu bleiben. Lasst uns zusammenhalten und aufeinander achten. Wir sind für euch da!“
Discounter-Sein verpflichtet. Im Baden-Württemberg des Frühsommers 2020 nach Paragraf 3, Absatz 2 der „Verordnung des Wirtschaftsministeriums und des Sozialministeriums zur Eindämmung von Übertragungen des Coronavirus (Sars-CoV-2) in Einzelhandelsbetrieben“unter anderem zu Folgendem: „Den Kunden muss durch Aushang oder mündliche Mitteilung vor Betreten des Betriebes vermittelt werden, dass zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie auch zu den anderen Kunden grundsätzlich und wo immer möglich ein Abstand von mindestens 1,5 Meter einzuhalten ist und Kundinnen und Kunden verpflichtet sind, eine MundNasen-Bedeckung (Alltagsmaske) zu tragen.“
Paragraf 3, Absatz 2 inspirierte offenbar auch die Kreativen. Bei Lidl, Rewe, Aldi, Feneberg, Edeka, Kaufland und anderswo. Pandemie-Hinweisplakate sind ein Muss, das „Wie“aber scheint zur Kür geworden zu sein für die Marketingabteilungen der Handelsketten, für zuarbeitende externe Agenturen. Die Botschaft? Ist, verkürzt gesagt, die: Wir sitzen alle im gleichen Boot, sind eine Schicksalsgemeinschaft, da zählen Solidarität, Vertrauen, Verlässlichkeit. Da muss ich als Einkaufender investieren (auf ausreichend Distanz achten, Gesichtsmaske benutzen), da kümmern meinen Supermarkt meine persönliche und – ja – unser aller Befindlichkeit: „Deine Gesundheit liegt uns am Herzen!“(Rewe), „So gewährleisten wir, dass ihr alle auch weiterhin sicher und entspannt bei uns einkaufen könnt“(Aldi), „Schützen wir uns gegenseitig!“(Feneberg).
Die Krise schweißt zusammen. Die Krise verlangt sachliche Informationen – wie reduziert die Filiale am Ort mein Infektionsrisiko, was kann, was soll ich selbst beisteuern? –, die Plakataushänge informieren sachlich, beruhigen so im Idealfall den unsicheren Kunden. Und: Sie transportieren die Fakten gern emotional verpackt; das festigt die Beziehung, bindet an die Marke. Denn irgendwann ist NachCorona-Zeit. Also: „Danke fürs Abstandund Zusammenhalten. Edeka ist und bleibt für Sie da.“
Du? Ihr? Sie? Die Anrede in den Corona-Hinweisen variiert. Lidl duzt. Weil man, erklärt Mario Köhler von der Pressestelle des Neckarsulmer Konzerns, das ohnehin seit „mehreren Jahren im Rahmen unserer Marketingaktivitäten“so handhabe. „Diese Kundenansprache führen wir auch in der Plakat-Kommunikation zum Thema Corona fort.“Analog argumentiert – ebenfalls duzend – Rewe. Pressesprecher Thomas Bonrath: „ ... insofern wurde dieser Duktus auch auf den Corona-Hinweisplakaten konsequent fortgeführt.“Durchgängig siezend hingegen: Edeka und Feneberg. Für das Familienunternehmen aus Kempten sagt Sonja Kehr, Fenebergs
Leiterin Kommunikation, knapp: „Wir bleiben weiterhin beim ,Sie‘.“Einem Sie, das nicht zwingend Distanz aufbauen muss. Nicht, wenn der Siezende regional verwurzelt ist, wenn er im Sortiment auf ökologisch Erzeugtes aus dem direkten Umland baut. Unter dem Markennamen „VonHier“übrigens – durchaus verbindend.
Sonst sei das Sie „in jeder Hinsicht formeller als das Du“, führt Nina Janich aus. Dieses Du setze „im Deutschen“zwar „normalerweise persönliche Bekanntschaft voraus“, könne aber „eben auch in der Kundenkommunikation verwendet werden“. Die Absicht eines Duzens dort vermutet die Professorin für Germanistische Linguistik an der Technischen Universität Darmstadt (und Autorin des Standardwerks „Werbesprache. Ein Arbeitsbuch“) darin, „informeller, vielleicht eben ,näher dran‘ zu wirken
– wir nennen den Effekt solcher sprachlichen Formen eine ,Sprache der Nähe‘“. Auch wenn in Corona-Zeiten die Du/Sie-Entscheidung auf Maskenpflicht-/Abstandserklärplakaten „einfach konsistent zur üblichen Kundenkommunikationsstrategie“fallen könne: „Das (sozusagen ganz normale) Du ist dann aber vielleicht trotzdem, gerade im Hinblick auf das Distanzgebot, ein umso wichtigerer nähesprachlicher Ausdruck“– verstärkt vor allem durch „gute Wünsche“und ein „,zusammen‘/,gemeinsam‘“.
Als „auffällige Besonderheit“würde Sprachwissenschaftlerin Janich es werten, würde in den Pandemie-Monaten mit Du/Sie-Plakaten vom sonst gängigen Anredestil abgewichen. „Dann könnte man tatsächlich von expliziter Empathie und von bewussten Nähe-Signalen beim Du ausgehen.“Oder, wäre man bei Aldi Süd geneigt zu sagen, von „eher intuitiven“.
Ob der Discounter duze oder sieze, teilte Unternehmensgruppensprecher Tobias Neuhaus auf Anfrage mit, sei in der Regel abhängig vom genutzten Medium: ein Du via Facebook, ein Sie auf der Unternehmenswebseite, ebenso in der Filiale („Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 3 für Sie“). „Das ist jedoch kein eisernes Gesetz, wichtig ist uns vielmehr, immer eine authentische Form der Ansprache zu finden.“Derzeit „sind für uns der gesellschaftliche Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung wichtiger denn je“. Deshalb „sind wir teilweise auch auf Kanälen, wo sonst gesiezt wird, zum ,Du‘ übergegangen – jedoch eher intuitiv und als Ausdruck eines ,WirGefühls‘, nicht aus strategischen Gründen“.
So sei’s. Hauptsache, Abstand und Maske passen. Bei dir. Euch. Ihnen.