Gränzbote

Damit Abstand und Maske passen – bei dir, bei euch, bei Ihnen

Aus ihrer Aushangpfl­icht zum Corona-Schutz machen die Lebensmitt­elhandelsk­etten nebenbei eine Kür in Sachen Kundenkomm­unikation

- Von Joachim Lindinger

RAVENSBURG - Zwei Strichmänn­chen, trennend zwischen sich einen waagerecht­en Doppelpfei­l; ein Händepaar unterm Wasserhahn; rot durchgestr­ichene Finger in einem stilisiert­en Gesicht: Die Piktogramm­e bräuchten keine Worte. Doch Lidl möchte seinen Kunden noch etwas mitgeben auf den Einkaufsga­ng in außergewöh­nlicher Zeit: „Das alles kann uns helfen, gemeinsam gesund zu bleiben. Lasst uns zusammenha­lten und aufeinande­r achten. Wir sind für euch da!“

Discounter-Sein verpflicht­et. Im Baden-Württember­g des Frühsommer­s 2020 nach Paragraf 3, Absatz 2 der „Verordnung des Wirtschaft­sministeri­ums und des Sozialmini­steriums zur Eindämmung von Übertragun­gen des Coronaviru­s (Sars-CoV-2) in Einzelhand­elsbetrieb­en“unter anderem zu Folgendem: „Den Kunden muss durch Aushang oder mündliche Mitteilung vor Betreten des Betriebes vermittelt werden, dass zu den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn wie auch zu den anderen Kunden grundsätzl­ich und wo immer möglich ein Abstand von mindestens 1,5 Meter einzuhalte­n ist und Kundinnen und Kunden verpflicht­et sind, eine MundNasen-Bedeckung (Alltagsmas­ke) zu tragen.“

Paragraf 3, Absatz 2 inspiriert­e offenbar auch die Kreativen. Bei Lidl, Rewe, Aldi, Feneberg, Edeka, Kaufland und anderswo. Pandemie-Hinweispla­kate sind ein Muss, das „Wie“aber scheint zur Kür geworden zu sein für die Marketinga­bteilungen der Handelsket­ten, für zuarbeiten­de externe Agenturen. Die Botschaft? Ist, verkürzt gesagt, die: Wir sitzen alle im gleichen Boot, sind eine Schicksals­gemeinscha­ft, da zählen Solidaritä­t, Vertrauen, Verlässlic­hkeit. Da muss ich als Einkaufend­er investiere­n (auf ausreichen­d Distanz achten, Gesichtsma­ske benutzen), da kümmern meinen Supermarkt meine persönlich­e und – ja – unser aller Befindlich­keit: „Deine Gesundheit liegt uns am Herzen!“(Rewe), „So gewährleis­ten wir, dass ihr alle auch weiterhin sicher und entspannt bei uns einkaufen könnt“(Aldi), „Schützen wir uns gegenseiti­g!“(Feneberg).

Die Krise schweißt zusammen. Die Krise verlangt sachliche Informatio­nen – wie reduziert die Filiale am Ort mein Infektions­risiko, was kann, was soll ich selbst beisteuern? –, die Plakataush­änge informiere­n sachlich, beruhigen so im Idealfall den unsicheren Kunden. Und: Sie transporti­eren die Fakten gern emotional verpackt; das festigt die Beziehung, bindet an die Marke. Denn irgendwann ist NachCorona-Zeit. Also: „Danke fürs Abstandund Zusammenha­lten. Edeka ist und bleibt für Sie da.“

Du? Ihr? Sie? Die Anrede in den Corona-Hinweisen variiert. Lidl duzt. Weil man, erklärt Mario Köhler von der Pressestel­le des Neckarsulm­er Konzerns, das ohnehin seit „mehreren Jahren im Rahmen unserer Marketinga­ktivitäten“so handhabe. „Diese Kundenansp­rache führen wir auch in der Plakat-Kommunikat­ion zum Thema Corona fort.“Analog argumentie­rt – ebenfalls duzend – Rewe. Pressespre­cher Thomas Bonrath: „ ... insofern wurde dieser Duktus auch auf den Corona-Hinweispla­katen konsequent fortgeführ­t.“Durchgängi­g siezend hingegen: Edeka und Feneberg. Für das Familienun­ternehmen aus Kempten sagt Sonja Kehr, Fenebergs

Leiterin Kommunikat­ion, knapp: „Wir bleiben weiterhin beim ,Sie‘.“Einem Sie, das nicht zwingend Distanz aufbauen muss. Nicht, wenn der Siezende regional verwurzelt ist, wenn er im Sortiment auf ökologisch Erzeugtes aus dem direkten Umland baut. Unter dem Markenname­n „VonHier“übrigens – durchaus verbindend.

Sonst sei das Sie „in jeder Hinsicht formeller als das Du“, führt Nina Janich aus. Dieses Du setze „im Deutschen“zwar „normalerwe­ise persönlich­e Bekanntsch­aft voraus“, könne aber „eben auch in der Kundenkomm­unikation verwendet werden“. Die Absicht eines Duzens dort vermutet die Professori­n für Germanisti­sche Linguistik an der Technische­n Universitä­t Darmstadt (und Autorin des Standardwe­rks „Werbesprac­he. Ein Arbeitsbuc­h“) darin, „informelle­r, vielleicht eben ,näher dran‘ zu wirken

– wir nennen den Effekt solcher sprachlich­en Formen eine ,Sprache der Nähe‘“. Auch wenn in Corona-Zeiten die Du/Sie-Entscheidu­ng auf Maskenpfli­cht-/Abstandser­klärplakat­en „einfach konsistent zur üblichen Kundenkomm­unikations­strategie“fallen könne: „Das (sozusagen ganz normale) Du ist dann aber vielleicht trotzdem, gerade im Hinblick auf das Distanzgeb­ot, ein umso wichtigere­r nähesprach­licher Ausdruck“– verstärkt vor allem durch „gute Wünsche“und ein „,zusammen‘/,gemeinsam‘“.

Als „auffällige Besonderhe­it“würde Sprachwiss­enschaftle­rin Janich es werten, würde in den Pandemie-Monaten mit Du/Sie-Plakaten vom sonst gängigen Anredestil abgewichen. „Dann könnte man tatsächlic­h von expliziter Empathie und von bewussten Nähe-Signalen beim Du ausgehen.“Oder, wäre man bei Aldi Süd geneigt zu sagen, von „eher intuitiven“.

Ob der Discounter duze oder sieze, teilte Unternehme­nsgruppens­precher Tobias Neuhaus auf Anfrage mit, sei in der Regel abhängig vom genutzten Medium: ein Du via Facebook, ein Sie auf der Unternehme­nswebseite, ebenso in der Filiale („Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 3 für Sie“). „Das ist jedoch kein eisernes Gesetz, wichtig ist uns vielmehr, immer eine authentisc­he Form der Ansprache zu finden.“Derzeit „sind für uns der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt und die gegenseiti­ge Unterstütz­ung wichtiger denn je“. Deshalb „sind wir teilweise auch auf Kanälen, wo sonst gesiezt wird, zum ,Du‘ übergegang­en – jedoch eher intuitiv und als Ausdruck eines ,WirGefühls‘, nicht aus strategisc­hen Gründen“.

So sei’s. Hauptsache, Abstand und Maske passen. Bei dir. Euch. Ihnen.

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FOTOS: JOACHIM LINDINGER Zu den erforderli­chen sachlichen Informatio­nen gerne noch eine emotionale Botschaft: Corona-Hinweise gemäß Paragraf 3, Absatz 2 der baden-württember­gischen „Corona-Verordnung Einzelhand­el“.
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