Und immer wieder Beethoven
Der Pianist Rudolf Buchbinder widmet sich in seinem „Diabelli Project“dem Komponisten in Wort und Ton
Die Diabelli-Variationen op. 120 von Ludwig van Beethoven durchziehen das Leben des österreichischen Pianisten Rudolf Buchbinder wie ein Leitmotiv. Zum 250. Geburtstag hat sich Buchbinder einem besonderen Herzensanliegen gewidmet: Einerseits legt er beim Label Universal/Deutsche Grammophon eine neue Einspielung der Diabelli-Variationen vor, zum anderen vertieft er die lebenslange Beschäftigung mit diesem Variationswerk in einem Buch, das „Geschichten über Beethoven, über Diabelli und über das Klavierspiel“in sich vereint.
„Der letzte Walzer“ist, nach Gesprächen des Pianisten mit dem Musikpublizisten Axel Brüggemann aufgezeichnet, im Wiener AmaltheaVerlag erschienen. Und das Besondere an diesem „Diabelli Project“ist: Buchbinder hat zeitgenössische
Komponisten beauftragt, jeweils eine weitere Variation zu schaffen.
Der Wiener Verleger Anton Diabelli hatte ja seinerzeit 50 Komponisten
eines „Vaterländischen Künstlervereins“aufgefordert, eine Variation zu einem von ihm vorgelegten Thema für einen Sammelband beizusteuern und damit gleichsam ihre Visitenkarte abzugeben: unter ihnen Carl Czerny, Franz Xaver Mozart (der Sohn von W.A. Mozart), Johann Nepomuk Hummel, der damals 11jährige Franz Liszt, der Virtuose Ignaz Moscheles oder Franz Schubert, um die bekanntesten zu nennen. Auch die Einzelvariationen dieser Komponisten hat Buchbinder auf seiner Doppel-CD eingespielt, kundig legt er im Buch die Querverbindungen unter den österreichischen Komponisten dar. Aus den sprudelnden, brummigen oder galanten Stücken ragt die einzige in Moll gehaltene, innige Variation von Franz Schubert heraus: In Wort und Ton hegt der Pianist eine besondere Empathie für dieses Kleinod, während manche der anderen Variationen eher leichtgewichtig in den Ohren klingeln.
Diabelli hatte natürlich auch Ludwig van Beethoven, den berühmtesten Komponisten Wiens, um einen Beitrag gebeten. Dem war das Thema zunächst zu simpel erschienen („ein Schusterfleck“), dann aber machte er sich daran, den Walzer von allen Seiten zu beleuchten, auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen: Letztlich wurden es 33 Variationen, geschaffen im Zeitraum von einigen Jahren, parallel oder nach den letzten Klaviersonaten und der großen Missa Solemnis, reich an Verbindungen zu Beethovens eigenen Werken und zu denen von Mozart und J.S. Bach.
Seit nunmehr 60 Jahren, als Buchbinder mit 13 Jahren die Noten von seinem Lehrer Bruno Seidlhofer in die Hand bekam, begleiten die Diabelli-Variationen den Pianisten, und man glaubt es ihm, dass er nie müde wird, immer tiefer in die Geheimnisse dieses Zyklus und seines Schöpfers einzudringen.
In 33 Kapiteln – also der Anzahl der Variationen entsprechend – liefern uns Buchbinder und Brüggemann ein farbiges Bild der Beethovenzeit, von der Arbeitsweise des Komponisten, die sich besonders bei Ansicht des Autographs mit seinen wilden Korrekturen offenbart, oder den besonderen Lebensumständen im Wien der 1820er Jahre. Buchbinder fertigt keine musikwissenschaftlichen Analysen der einzelnen Variationen, sondern gewährt einen sehr persönlichen, facettenreichen Einblick in ein Meisterwerk und seinen pianistischen Zugang.
Interessant ist auch die Begegnung mit den Komponisten unserer Tage, die immer auch Gäste von Buchbinders Festival in Grafenegg waren und dort jeweils einen besonderen Baum im Schlosspark pflanzten. Die Kompositionen von Rodion Shchedrin, Toshio Hosokawa, Max Richter, Tan Dun oder Jörg Widmann
lassen den Diabelli-Walzer nochmals auf unterschiedlichste Weise lebendig werden und scheinen zugleich das persönliche Verhältnis zum Interpreten Rudolf Buchbinder zu spiegeln. Beethovens 33 Variationen, dazu elf zeitgenössische Sichtweisen und acht Beispiele aus der Beethovenzeit sorgen, pianistisch natürlich souverän und vielgestaltig aufgenommen, dafür, dass einen das Diabelli-Thema so bald nicht wieder loslässt! Man kann nur lesen oder nur hören, doch zusammen ergibt sich eine Verbeugung vor dem Jubilar Beethoven.
Rudolf Buchbinder: Der letzte Walzer. 33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen. Amalthea Signum Verlag Wien. 25 Euro.
CD: Rudolf Buchbinder, The Diabelli Project. Deutsche Grammophon 00289 483 7707.