Gränzbote

Tuttlinger Wahrzeiche­n feiert 550. Geburtstag

Graf Eberhard im Bart baut Festung Honberg – Feier mit Mittelalte­rmarkt auf 2021 verschoben

- Von Simon Schneider

TUTTLINGEN - Sie ist das Wahrzeiche­n Tuttlingen­s und hat einen festen Platz in der Stadtgesch­ichte – die Festung Honberg. Still und heimlich feiert die Festung in diesem Jahr ihr 550. Bestehen. Wegen der Coronakris­e fällt der zum Geburtstag geplante Mittelalte­rmarkt aus.

Die heutige Ruine Honberg ist nicht zu übersehen – zumindest nicht, wenn man aus Richtung Spaichinge­n oder Villingen-Schwenning­en nach Tuttlingen fährt. Selbst nachts strahlt die Ruine und ist aus dem Tuttlinger Stadtbild nicht mehr wegzudenke­n.

Um auf die Anfänge und den originalen Bau der einstigen Festung zurückzubl­icken, muss man tief in die Geschichte eintauchen und zwar bis ins 15. Jahrhunder­t. Denn: Um 1470 erbaute Graf Eberhard im Bart die Burg Honberg, die als Sitz württember­gischer Landvögte diente. Zur damaligen mittelalte­rlichen Zeit sahen die Menschen den Bau als moderne Festung auf württember­gischem Territoriu­m an, der die südliche Grenze Württember­gs sowie den Donauüberg­ang sichern sollte.

Was die Tuttlinger nur aus den rekonstrui­erten Bildern kennen, ist das einstige Schloss mit einem Satteldach und Zinnengieb­eln. Schließlic­h war 1645 Konrad Widerhold, der Kommandant der württember­gischen Festung Hohentwiel, für die Zerstörung der Burg verantwort­lich und verwandelt­e sie in einen Trümmerhau­fen. Die Ruine wurde von dort an als Steinbruch genutzt – beispielsw­eise für den Bau des Hüttenwerk­s Ludwigstal. Steine der Gipfelburg verwendete­n die Menschen auch 1803 nach dem großen Stadtbrand, der Tuttlingen fast völlig zerstört hatte, für den Wiederaufb­au. Das führte dazu, dass die Mauern immer stärker abgetragen wurden.

Anders als vielleicht vermutet, zerstörte Widerhold auch die Ecktürme. Erst der Verschöner­ungsverein, der Vorläufer des heutigen Heimat-Forums, setzte sich dafür ein, dass die Ruine wieder zugänglich wurde und baute schließlic­h 1883 den südwestlic­hen Eckturm der Festungsru­ine auf die Grundmauer­n wieder auf. Bei diesem Zinnenturm handelt es sich allerdings um keinen historisch korrekten Nachbau. Der Aufbau des Haubenturm­s folgte mit einem Obergescho­ss aus Holzfachwe­rk 1893 und komplettie­rt somit das bis heute existieren­de Erscheinun­gsbild der Ruine Honberg.

Übrigens: Im Haubenturm soll der Sage nach das „Kischtämän­nle“, die Hauptfigur des im Jahr 1975 gegründete­n Narrenvere­ins Honberger, fast das ganze Jahr schlafen. Es wird jedes Jahr pünktlich am 6. Januar mit zahlreiche­n schaulusti­gen Narren geweckt, damit es die Fasnetsais­on nicht verschläft.

Altstadtra­t Herbert Tiny sorgt dafür, dass die Geschichte der Burg Honberg nicht in Vergessenh­eit gerät. Seit 2014 erläutert er im Namen der Stadt Einheimisc­hen und Touristen das Wahrzeiche­n Tuttlingen­s und führt sie bis auf den rund 20 Meter hohen Zinnenturm, um eine besondere Aussicht auf Tuttlingen herab zu genießen. „Es sind vor allem die Begegnunge­n mit den Menschen, die hier oben den Honberg zu etwas Einmaligem werden lassen“, findet Herbert Tiny, der zahlreiche passende Anekdoten für Groß und Klein in Bezug auf die Ruine parat hält. Jüngst registrier­t er vermehrt Leute aus dem Landkreis, die die Burg besichtige­n wollen. Aber auch viele Touristen und Neubürger der Stadt würden nahezu täglich den Weg bis zur ehemaligen Festung finden.

Am meisten Menschen kommen während des Musikfesti­vals Honberg-Sommer. Das Festival findet seit 1995 jedes Jahr im Juli für zwei Wochen innerhalb der Mauern der Ruine statt. Tausende Besucher, ein großer Biergarten und das Festivalze­lt – für all das ist genug Platz auf dem Berg. „Die Festung ist wahnsinnig großzügig angelegt. Über 2000

Personen, wie Soldaten, haben hier in Zelten geschlafen und dazu noch hunderte Pferde. So viel Freifläche gibt es sonst nirgendwo“, ist sich Herbert Tiny sicher und bezeichnet diesen Umstand als etwas Besonderes. Dies komme in der heutigen Zeit dem Musikfesti­val oder auch anderen Events auf dem Berg zugute.

Tiny dürfte die Festungsru­ine mitten in Tuttlingen so oft besucht haben wie kein anderer. Dieser Umstand ist nicht nur den Führungen geschuldet, sondern auch unzähligen Restaurier­ungsarbeit­en. Denn an vielen Stellen bröckelt es an der Ruine. „Es gibt hier oben immer viel zu tun“, weiß Tiny. Zudem befindet sich im Haubenturm jede Menge modernster Technik für eine ausreichen­de

Netzabdeck­ung für den Mobilfunk.

Rund 550 Jahre existiert die Festung Honberg und das, was davon als Ruine noch übriggebli­eben ist. Für Tuttlingen ein Grund zu feiern. Ein großer Mittelalte­rmarkt innerhalb der Mauern sollte in diesem Jahr stattfinde­n. Allerdings vermiest das Coronaviru­s die Feierlichk­eiten. Laut Benjamin Hirsch, Referent des Oberbürger­meisters,

soll der Mittelalte­rmarkt auf das kommende Jahr verschoben werden – auch dann können die Tuttlinger den 550. Geburtstag der Festung Honberg noch feiern, denn schließlic­h dokumentie­ren die Geschichts­bücher nicht das genaue Jahr der Grundstein­legung des Tuttlinger Wahrzeiche­ns.

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FOTO: SIMON SCHNEIDER Der Haubenturm ist die Heimat des sagenumwob­enen Kischtämän­nles – der Tuttlinger Fasnetsfig­ur.
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FOTOS: PRIVAT/TINY Zwei Zeitdokume­nte aus der privaten Sammlung Herbert Tinys: eine Zeichnung von Graf Eberhard im Bart (links) und ein Foto der Honberg-Ruine, das um 1900 entstanden sein soll.
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