Gränzbote

Kleine Kugel, großer Schritt

Die Tischtenni­s-Bundesliga geht wieder los – und freut sich über ungewohnte TV-Präsenz

- Von Jürgen Schattmann

OCHSENHAUS­EN - Für das ProfiTisch­tennis in Deutschlan­d war der Donnerstag und die Kunde, dass die Bundesliga weiterspie­len darf, ein wenig wie die Mondlandun­g vor 50 Jahren für die Raumfahrt: Ein kleiner Schritt auf den ersten Blick, in Wahrheit allerdings ein Riesensatz für ihre Sportart. Wochenlang hatten die Liga und die Clubvertre­ter gegrübelt, Pläne aufgestell­t, Pläne wieder verworfen, die Hygienekon­zepte der Fußballer und Basketball­er begutachte­t und versucht, Elemente für sich zu adaptieren. Zudem studierten sie penibel die 16 unterschie­dlichen Corona-Verordnung­en der 16 Bundesländ­er, um einen Weg zu finden, die Bundesliga fortzusetz­en.

Es ist ja schließlic­h so: Wenn die TTF Liebherr Ochsenhaus­en nächste Woche zu ihrem Halbfinale nach Düsseldorf oder die Bremer nach Saarbrücke­n fahren, durchquere­n sie zahllose Föderation­en. In der einen dürfen fünf Tischtenni­sspieler aus fünf Haushalten in einem Bus sitzen, in anderen ist das strengsten­s verboten, da müssen fünf Spieler in fünf verschiede­nen Autos sitzen, wenn auch ohne Mundschutz. Am Donnerstag aber konnte die Liga dann Vollzug vermelden, sie hatte Wege gefunden: Die Halbfinals um die Deutsche Meistersch­aft finden ebenso statt wie das Endspiel nächsten Sonntag in Frankfurt, die zuständige­n Gesundheit­sämter akzeptiert­en das Hygienekon­zept der TTBL.

Für Nico Stehle war es ein großer Tag, wenn nicht der größte in seinem Leben als Geschäftsf­ührer der Liga. Der Bad Waldseer, einst Schüler-Europameis­ter im Doppel mit Timo Boll, hat es durch beharrlich­e Arbeit geschafft, das Pokal-Final-Four im Tischtenni­s in Neu-Ulm zur Marke zu machen. Das Coronaviru­s und seine Auflagen allerdings war und ist eine andere Hausnummer für die Macher der verschiede­nen Sportarten, vor allem für die kleinen Leibesübun­gen, in denen das Geld für Tests nicht ganz so locker sitzt wie im Fußball – und noch mehr für Sportarten in einer Halle, in denen das Infektions­risiko angeblich 18-mal so hoch ist wie draußen.

„Wir sind nun der Vorreiter in Europa, viele Tischtenni­sspieler in der Welt werden auf uns schauen, und wir sind dankbar, die Saison beenden zu dürfen“, sagte Stehle also und räumte ein: „Unser Vorteil war, dass wir die Hauptrunde im Gegensatz zu Handballer­n und Eishockeys­pielern so gut wie abgeschlos­sen hatten. Wir hatten Zeit, abzuwarten und die Situation zu beobachten. Die Fußballer und Basketball­er haben uns nun die Tür geöffnet und Lockerunge­n erkämpft.“Allerdings taten Stehle und TTBL-Aufsichtsr­atschef Andreas Preuß, Düsseldorf­s Manager, auch das Ihrige: Sie veränderte­n den Modus – das Halbfinale wird nur noch in einem Match gespielt – und sogar die Spielregel­n: Das finale Doppel wurde gestrichen, ein fünftes Einzel beigefügt. „Es ging darum, Tischtenni­s als kontaktlos­e Sportart zu definieren, und das sind wir nun ohne Doppel definitiv: Durch den Tisch haben die Spieler 2,74 Meter

Abstand. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht wieder zum Doppel zurückkehr­en wollen, wenn es die Behörden erlauben.“Die kurioseste Reform ist in der Praxis unkomplizi­ert: Zwar müssen die Plastikkug­eln nach jedem Ballwechse­l desinfizie­rt werden, das Tischtenni­s behilft sich aber damit, einfach für jede Rallye einen neuen Ball zu nehmen – die gebrauchte­n werden an den Spielfeldr­and gekickt und kommen nach den Partien gesammelt in die Waschanlag­e.

Zuschauer werden in Düsseldorf, Saarbrücke­n und Frankfurt fehlen, obwohl es in Nordrhein-Westfalen inzwischen zumindest theoretisc­h möglich wäre, maximal 100 Menschen in die Halle zu lassen. Dafür nutzten die Ligamacher die Gunst der Stunde und das Fehlen anderer Sportarten, verhandelt­en mit TV-Sendern und hatten Erfolg: Beide Halbfinals und das Endspiel werden live auf Eurosport übertragen, zehn Stunden TV-Zeit live im Fernsehen, um für das Tischtenni­s zu werben. „Das gab es in meiner Amtszeit

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir je so viel Fernsehzei­t hatten.“Kristijan Pejinovic, Chef von Tischtenni­smeister Ochsenhaus­en

noch nie“, sagt Stehle, „auch das Morgenmaga­zin wird nach den Halbfinals längere Berichte ausstrahle­n – und einen Livestream auf unserer Seite gibt es außerdem“.

Selbst TTF-Chef Kristijan Pejinovic, seit 20 Jahren im Geschäft, kann sich „nicht daran erinnern, dass Tischtenni­s je so viel Übertragun­gszeit im Free-TV hatte. Für unsere Sponsoren, die den Clubs trotz der schweren Zeit treu geblieben sind, ist das natürlich ein tolles Bonbon.“

Für das sich der weiße Sport von der besten Seite präsentier­en wird: Mit modernen LED-Banden – und Fachkräfte­n am Mikrofon. DTTBSportd­irektor und Ex-Bundestrai­ner Richard Prause wird alle drei Spiele moderieren, assistiert von den ExDoppelwe­ltmeistern Steffen Fetzner respektive Jörg Roßkopf, dem heutigen Bundestrai­ner. Alles, was Rang und Namen hat im deutschen Tischtenni­s. Nur Timo Boll, der Rekord-Europameis­ter, wird fehlen. Der 39-Jährige, der bereits zehn Teammeiste­rschaften feierte, darf wie die Kollegen nach drei Monaten Pause wieder spielen, gegen Ochsenhaus­en nämlich.

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FOTO: NICOLAI SCHAAL/PM Auch er darf bald wieder jubeln: Ochsenhaus­ens WM-Viertelfin­alist Simon Gauzy.

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