Ein Diktator und Despot als Weltverbandspräsident
Der langjährige Gewichtheber-Chef Tamas Ajan vertuschte mindestens 40 Dopingfälle und bestach Athleten und Verbände
KÖLN (SID/dpa) - Wahlfälschung, versickerte Millionenbeträge und zahlreiche vertuschte Dopingfälle: Sonderermittler Richard McLaren (75) hat zum Abschluss seiner unabhängigen Untersuchung des Gewichtheber-Weltverbandes IWF unter Präsident Tamas Ajan (81) das erwartet düstere Bild gezeichnet.
„Ich habe eine Organisation vorgefunden, die beinahe ein halbes Jahrhundert von einem Autokraten geführt wurde, in der eine Kultur der Angst bis in die höchsten Ebenen herrschte. Wer Ajan herausforderte, wurde entweder bestraft oder schikaniert“, sagte McLaren bei der Präsentation seiner Erkenntnisse.
Der umstrittene Langzeitpräsident war im April angesichts der schweren Vorwürfe zurückgetreten. Aufgedeckt hatte den Fall die ARD-Dopingredaktion in der Dokumentation „Geheimsache Doping – Der Herr der Heber“im Januar. Das Internationale Olympische
Komitee (IOC) bezeichnete den McLaren-Bericht nun als „zutiefst beunruhigend“.
In weiten Teilen widmet sich McLarens 120 Seiten starker Bericht dem „finanziellen Missmanagement“, der Kanadier forderte eine tiefergehende unabhängige Prüfung der letzten zehn Geschäftsjahre, der Verwendungszweck von 10,4 Millionen Dollar in dieser Zeit sei unklar. „Hauptquelle des Geldes waren Dopingstrafen, die direkt und in bar an den Präsidenten gezahlt wurden sowie große Mengen Bargeld-Abhebungen von den IWFKonten, besonders im Vorfeld von Großereignissen oder Kongressen“, hieß es im Bericht. Ajan erhielt Barzahlungen bis zu 100 000 Dollar, als eine Art Dopingbußgeld von nationalen Verbänden oder Sponsoren, sagte McLaren. Auf einer Reise nach Thailand sammelte Ajan allein mehr als 440 000 Dollar ein. Die Möglichkeit, Dopingstrafen cash zu begleichen, ist ein Affront für jede Fairnessanstrengungen im Sport.
Ajan habe viele Ermittlungen behindert, das echte Problem sei aber die „Dopingkultur innerhalb des
Sports“. McLarens Untersuchung deckte 40 positive und vertuschte Fälle auf, darunter waren Weltmeister und WM-Zweite. Die Informationen seien an die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) weitergeleitet worden.
Der IWF-Vorstand konnte seinen Pflichten laut McLaren unter Ajan nicht nachkommen, sei „dysfunktional und ineffektiv“gewesen: „Dr. Ajan nahm jedem außer sich selbst die Möglichkeit, die Geschäfte und Angelegenheiten der IWF zu durchblicken.“Bei den vergangenen beiden Wahlkongressen seien zudem im großen Stil Stimmen für den Präsidenten und seine Verbündeten gekauft worden – nur 2013 und 2017 hatte Ajan sich Gegenkandidaten stellen müssen. Er habe für die Bestechung eigens Wahlmakler engagiert. Die bestochenen Wähler mussten Fotos von ihren Stimmzetteln machen, um sie den Maklern zu zeigen.
Die Kontrolle, die Ajan sogar nach seiner 90-tägigen Suspendierung im Januar noch im Verband hatte, stellte McLaren auch im Rahmen seiner Untersuchung fest. Aus den Spitzen der Mitgliedsverbände „fehlte die Kooperation“, bei den Athleten sei „die Bereitschaft zu sprechen quasi nicht existent“gewesen.
Die Verfehlungen seien nicht bei der ungarischen Anti-Doping-Agentur HUNADO zu finden. Diese habe korrekt und in Übereinstimmung mit dem WADA-Code gehandelt. In der ARD-Dokumentation war von einer möglichen Verstrickung der HUNADO die Rede gewesen.
Interimspräsidentin Ursula Papandrea, die in ihren Amtsgeschäften laut McLaren auch nach Ajans Suspendierung massiv von diesem behindert wurde, reagierte „zutiefst besorgt“. Der Verband könne nun aber die klar umrissenen Probleme angehen. Ziel sei eine „neue Ära der Transparenz, Verantwortung und guten Führung“.