Eine gepflegte Animosität
Vor 50 Jahren versuchten badische Separatisten vergeblich, mittels einer Abstimmung den Südweststaat zu beseitigen – Die Frotzeleien zwischen den Landesteilen blieben jedoch erhalten
„... der Schwab muss raus, der Schwab muss raus aus dem Badnerland ...“
Inoffizieller Refrain des Badnerlieds
RAVENSBURG - Ein Anruf bei der im badischen Hochschwarzwald gelegenen Rothaus-Brauerei. Das ist jene landeseigene Bierquelle, die mit dem Pils „Tannenzäpfle“ihr großes Geschäft macht. Kurz warten, bis man durchgestellt wird. Zwischenzeitlich geht es in der Warteschleife zünftig zur Sache. Forsche Liedtöne erklingen: „Das schönste Land in Deutschlands Gau’n, das ist mein Badner Land. Es ist so herrlich anzuschauen und ruht in Gottes Hand ...“Vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig für manchen, der aus dem württembergischen Landesteil kommt. Was ihm ins Ohr dringt, ist das Badnerlied, Ausdruck eines immer wieder aufschäumenden regionalen Patriotismus. Aber Rothaus nennt sich auch „Badische Staatsbrauerei“. Von Württemberg keine Spur. Selbst heutzutage nicht, 50 Jahre nachdem die Existenz des gemeinsamen Bundeslands nochmals durch eine von badischen Patrioten initiierte Volksabstimmung erfolglos infrage gestellt worden war. Eine gewisse Distanz ist geblieben.
Der Spalt wird speziell auf der badischen Seite immer mal wieder gerne gepflegt – oft durch Frotzeleien, manchmal auch ernsthafter Natur. Dahinter verbirgt sich bei empfindlichen badischen Seelen eine ererbte Furcht, von den Württembergern untergebuttert zu werden: Alle Mittel würden nach Stuttgart fließen, Baden darben. Wobei die Württemberger von der badischen Seite eine Gleichsetzung mit den Schwaben erfahren. Volkskundlich ein Unsinn, schon weil der Norden Württembergs von Franken besiedelt ist. Aber simple Schlagworte machen das Leben auch bei den landesinternen Frotzeleien einfacher. So heißt es im inoffiziellen Refrain des Badnerlieds: „... der Schwab muss raus, der Schwab muss raus aus dem Badnerland ...“. Diese Worte sind auf der Telefonschleife der RothausBrauerei übrigens nicht zu hören. Das Unternehmen verkauft schließlich ins ganze Land. Württemberger greifen ungeniert zum badischen Gerstensaft. Umgekehrt findet sich üblicherweise Stuttgarter Hofbräu oder Dinkelacker kaum irgendwo in Baden – vielleicht abgesehen von Autobahnraststätten. Aber dort kaufen die Einheimischen eher weniger ein.
Ein echter Badener würde natürlich sagen, dass ihm „württembergische Plörre“eh nicht schmeckt. Sie sei grundsätzlich und per Definition untrinkbar. Oder anders ausgedrückt: Alles Schlechte kommt aus Stuttgart. Es geht dabei um den Versuch, sich als überlegen hinzustellen. Hierzu existiert ein weiterer anschaulicher
Vers aus dem inoffiziellen Teil des Badnerlieds: „Man merkt, dass wir kei’ Schwabe sind. Und wisst ihr auch warum? Mir denke erst und schaffe dann, bei de Schwabe isch’s andersrum.“Die Hochburgen solcher Gefühlslagen finden sich dabei vor allem in Altbaden, also grob umrissen im Markgräflerland südlich von Freiburg und noch verstärkt im oberrheinischen Landstrich bei Rastatt und Karlsruhe inklusive der anschließenden Schwarzwaldtäler. Baden wuchs erst in Napoleonischer Zeit zu späterer Größe heran – wie übrigens ebenso Württemberg.
Gerade in den badischen Altlanden hat sich die historische Identität besonders gut verwurzelt. Von ihnen aus trieb der Heimatbund Badnerland auch den Gang zur Abstimmung am 7. Juni 1970 voran. Beteiligte ließen sich damals in Zeitungen zitieren, sie seien keine „verkalkten Säckel“, sondern Menschen, die ein „demokratisches modernes Bundesland am Oberrhein“wollten. Letztlich ging es den
Separatisten aber darum, die Ergebnisse des Referendums von 1951 zu korrigieren. Ein Alptraum für jeden in der Wolle gefärbten Badener. Diese Abstimmung hatte nämlich die Geburt des Südweststaates gebracht, die Vereinigung dreier Lande: Württemberg, Hohenzollern und Baden. Betreiber, diesen Flickenteppich zwischen Bayern und Frankreich zu beseitigen, gab es einige. So dachten die westlichen Besatzungsmächte an eine Neugliederung des Bundesgebiets, die junge Bonner Republik überlegte in dieselbe Richtung. Zudem kämpfte zuvorderst der legendäre liberale Stuttgarter Regierungschef Reinhold Müller vehement für den Zusammenschluss.
Rational gedacht, wäre er bereits nach dem Abschied des württembergischen, badischen und preußisch-hohenzollerischen Herrscherhauses 1918 sinnvoll gewesen – schon allein aus ökonomischen Gründen. Ein großer Wirtschaftsraum ist besser als ein kleiner, wird in jedem Volkswirtschaftsseminar gelehrt. Theodor Heuss, im württembergischen Brackenheim geborener erster Bundespräsident, hatte die Vereinigung in der Tat schon während der Zwischenkriegszeit gefordert. 1951 sollte es dann soweit sein. In AltBaden witterte man jedoch einen „schwäbischen Imperialismus“. Durchaus naheliegend, weil Württemberg eben größer ist und schon seinerzeit mehr wirtschaftliches Gewicht auf die Waage brachte. Nebenbei war der letzte adelige Herrscher in Stuttgart König, während sich sein Pendant in Karlsruhe bloß Großherzog nennen durfte. Es existierte also ein historisches Gefälle zuungunsten der Badener. Im Weiteren war klar, wo die Hauptstadt des Südweststaates liegen würde: nicht am Oberrhein, sondern auf der anderen Seite des Schwarzwaldes am mittleren Neckar – eben dort, wo sich Stuttgart in seinem ausgedehnten Talkessel erstreckt.
Jüngste Erfahrungen der Oberrhein-Bewohner aus dem Zweiten Weltkrieg verstärkten die badische Unlust am Zusammenschluss. 1939 waren sie aus möglichen Kampfgebieten entlang des Westwalls an der französischen Grenze evakuiert worden. Viele kamen ins Württembergische – wo die nur mit dem Nötigsten versehenen Menschen von den Alteingesessenen als „Westwall-Zigeuner“begrüßt wurden. Jedenfalls war die Stimmungslage vor dem Urnengang 1951 so, dass zwar Württemberger und Hohenzollern überwiegend für den Südweststaat votieren würden – die
Badener aber insgesamt wohl mit einer kleinen Mehrheit dagegen. Ein Trick half schließlich den Vereinigungsbefürwortern. Es gab eine Aufteilung in vier Abstimmungsgebiete: Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern. Der Südweststaat war zu bilden, wenn das Referendum im gesamten Abstimmungsgebiet und in mindestens drei der vier Bezirke eine Mehrheit dafür ergab.
Der Trick dabei ist in Nordbaden zu finden. Große Teile des Gebiets waren vor der Napoleonischen Epoche Herzland der sehr selbstbewussten Kurpfalz gewesen. Und die Kurpfälzer mit ihrer studentischen Romantik-Zentrale Heidelberg hatten nur eine bedingte Bindung an Baden. Gleichzeitig lag mit Mannheim dort ein starkes wirtschaftliches Zentrum – mehr an Geschäften als an regionalpatriotischen Gefühlen interessiert. Folgerichtig gab es in Nordbaden eine Mehrheit für den Südweststaat. In Nordwüttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern sowieso. Nur Südbaden stimmte umgekehrt ab. Wegen des besagten Tricks eröffnete das Bundesverfassungsgericht den Verlierern aber die Möglichkeit eines neuen Referendums – jenes von 1970. Wirtschaftswunderjahre und wachsender Wohlstand hatten aber offenbar badische Separatistenwünsche nachhaltig geschwächt. Die Eigenstaatler verloren grandios. Selbst ihr bestes Ergebnis, errungen im Stadtkreis Karlsruhe, lag gerade mal bei 36 Prozent für die Sezession.
Die baden-württembergische Einheit war zementiert. Es blieben gegenseitige Frotzeleien. Sie werden übrigens im Württembergischen weniger gepflegt. Klar, es gibt abwertende Begriffe für den badischen Landespartner: „Badenser“beispielsweise oder „Gelbfüßler“. Aber nichts geht so weit wie das „SauSchwab“der anderen Seite. Ebenso wenig existieren Spottverse über Badener. Fast könnte man meinen, dass in Stuttgart die Leutseligkeit des Stärkeren gegenüber dem badischen Schwächeren herrscht. Jedoch nicht unbegrenzt, wie eine Posse aus dem vergangenen Jahr zeigt.
Das im Karlsruher Schloss beheimatete Badische Landesmuseum hatte wegen eines Stadtgeburtstages längere Zeit die gelb-rot-gelbe Badenerflagge über der einstigen Residenz der Großherzöge wehen lassen. Als dies in Stuttgart registriert wurde, teilte das Staatsministerium streng und unmissverständlich mit, auf landeseigenen Gebäuden dürfte nur das baden-württembergische Schwarz-gelb, die Bundes- oder Europafahne gehisst werden.
Die badische Patrioten-Seele war zutiefst verletzt. Sogar eine OnlinePetition für das Gelb-Rot-Gelb auf dem Schloss gab es. Die harsche Forderung: „Zurück mit der Fahne.“Inzwischen hat sich alles wieder beruhigt. Vielleicht haben ja ein paar Schluck „Tannenzäpfle“zu einem gelassenen Blick auf die Lage geführt? Immerhin hat sich die Brauerei mit einer kleinen Abänderung selber im Badnerlied verewigt: „In Karlsruh‘ ist die Residenz, in Mannheim die Fabrik, in Rothaus steht die Brauerei, und das ist Badens Glück.“Na dann Prost – zumal die Einnahmen des Staatsunternehmens dem ganzen Land zugute kommen.