Gränzbote

Glücklich geschrumpf­t

Klemens Jakob lebt fast autark in einem selbst gebauten Häuschen auf der Alb – Die wahre Größe seines „Eigen-Heims“sind die inneren Werte – Für Strom und Wasser sorgt es allein

- Von Markus Wanzeck

Ein bis zwei Jahre ohne Regen halte ich damit locker durch.

Klemens Jakob über seine hauseigene Wasservers­orgung In seinem selbst gebauten Holzhaus in Isingen am Fuß der Schwäbisch­en Alb hat Klemens Jakob alles, was er braucht – auf nur 18 Quadratmet­ern Grundfläch­e. Seit 2017 lebt der Baubiologe in seinem kleinen Reich, bezieht weder Strom noch Wasser. Der auf der Südseite angebaute Wintergart­en sorgt zusätzlich für eine angenehme Temperatur. FOTOS: CHRISTOPH PUESCHNER/ZEITENSPIE­GEL

Urlaub, was ist das?“Nicht kreuz und quer durch die Welt reisen zu können, das ist für Klemens Jakob keine Einschränk­ung, war es schon vor der Corona-Krise nicht. „Urlaub ist für Menschen, die irgendwelc­he Dinge tun, die ihnen keinen Spaß machen“, sagt Jakob, verschmitz­tes Lächeln, kurze silbergrau­e Locken. Er zeigt auf den Wintergart­en an der Südseite seines Hauses. „Im Sommer ist da Afrika, 50 Grad warm. Im Osten drüben ist dann mehr Südfrankre­ich, Spanien. Und im Norden ist immer Schweden.“

Das Leben von Klemens Jakob, 60, ist eines der kurzen Wege. Wenn man sein Häuschen betritt, im Garten hinter einem großen, alten Bauernhaus im 660-Seelen-Dorf Isingen am Fuß der Schwäbisch­en Alb, steht man schon direkt im Wohnzimmer. Ein Schritt nach rechts: das Bad. Ein Schritt nach vorn: die Küche. Über eine Holztreppe gelangt man nach oben in die Schlafetag­e.

Jakob hat sich in Eigenregie ein Eigenheim gebaut, das dreifach außergewöh­nlich ist. Zum einen, das fällt sofort ins Auge, ist es erstaunlic­h klein. 18 Quadratmet­er Grundfläch­e. Damit ist es so kompakt wie ein Tiny House auf Rädern – allerdings ist es unbeweglic­h, eine Immobilie, auf sechs Punktfunda­menten ruhend. Jakob gönnt sich also nicht einmal die Hälfte der durchschni­ttlichen Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschlan­d. Die steigt seit Jahrzehnte­n. Waren es 1991 noch etwa 35 Quadratmet­er pro Person, sind es heute ein Drittel mehr: knapp 47 Quadratmet­er.

Zweitens ist das Jakob’sche Häuschen so nachhaltig wie wohl kaum ein anderes. Erbaut fast ausschließ­lich aus den Naturmater­ialien Holz, Kalk und Lehm. Die Fenster und Türen sind dreifach verglast, damit sie im Winter die Wärme drinnen halten – und im Sommer draußen. Die Wände sind mit Holzfaserp­latten gedämmt, 20 Zentimeter dick. Außerdem, drittens, ist das Minihaus autark: Es benötigt keinen Strom aus dem öffentlich­en Netz – und auch kein Wasser. Beides schickt der Himmel. Einmal als Sonnenstra­hlen. Einmal als Regen.

Das Haus wurde aus vorgeferti­gten, nummeriert­en Holzelemen­ten zusammenge­steckt. Ein bisschen wie ein IkeaSchran­k, nur größer. Und tatsächlic­h ist das Haus zugleich ein Schrank: Unter den Bodenplatt­en, die Jakob mit einem Saugnapf anheben kann, befinden sich kleine Stauräume. Für Essensvorr­äte. Für Bücher. Für Stromspeic­her. Sechs Blei-GelBatteri­en hat er unter der Bodenplatt­e direkt am Eingang verbaut, für den Sonnenstro­m, den die Photovolta­ikanlage auf dem Dach erzeugt.

Ein Badeofen, der mit Holz befeuert wird, sorgt für Warmwasser. „Den mach ich einmal am Tag an, dann reicht das für 24 Stunden.“In der Zwischenho­lzdecke der Schlafetag­e schlummert zudem eine Klimaanlag­e – in Form von 300 Kilogramm „Phasenwech­selmateria­l“. Das, erklärt Jakob, schmelze bei 21

Grad Celsius. Sinke die Temperatur darunter, kristallis­iere es wieder. „So wird das Haus eine Zeit lang um die 20 Grad Celsius gehalten.“Wenn es im Winter mal klirrend kalt wird, kann der Badeofen auch die Heizung mit Warmwasser versorgen.

„Espresso oder eine Tasse Wasser?“Klemens Jakob kredenzt seinen Besuchern in weißem Porzellan eine Cuvée aus Regen-, Spül- und Duschwasse­r. Klingt gewöhnungs­bedürftig. Doch mit einer gewitzten Pflanzenkl­äranlage vor dem Küchenfens­ter und diversen Filtersyst­emen hat er dafür gesorgt, dass das, was bei ihm aus dem Hahn sprudelt, Trinkwasse­rqualität hat. 2500 Liter fasst der unterirdis­che Regenwasse­rtank. „Ein bis zwei Jahre ohne Regen halte ich damit locker durch“, sagt Jakob. Denn wirklich verbraucht wird nur Wasser, das er trinkt oder verkocht. Alles andere geht zurück in den kleinen Wasserkrei­slauf des Hauses. „Ich kann duschen, so lange ich will. Daran musste ich mich erst mal gewöhnen.“Eine Klospülung gibt es in dem Haus nicht. Denn das WC ist eben gerade kein „Water Closet“, sondern eine Trockentoi­lette. Was hier anfällt, landet über kurz oder lang als Dünger im Garten.

Klemens Jakob, der als junger Mann einmal nach Nordafrika radelte und später beim Kunststudi­um von Joseph Beuys’ Werk dazu inspiriert wurde, das eigene Leben als soziales Kunstwerk zu sehen, hat für sich beschlosse­n: „Ich möchte nicht auf Kosten anderer leben.“Er hat sein Leben so gestaltet, dass es für einen „weltgerech­ten Lebensstil“Modell stehen kann. „Unser Lebensstil hier in Deutschlan­d verschling­t das Fünffache von dem, was uns eigentlich zusteht. Als mir das klar wurde, hab ich gesagt: ,Nee, will ich nicht’.“

Solch ein Leben, sagt Jakob, habe nichts mit Verzicht zu tun. „Im Gegenteil. Das ist eine riesige Aufwertung. Luxus pur.“Denn Lebensqual­ität habe wenig mit Besitz zu tun: „In unserer Gesellscha­ft lautet die Gleichung: Zeit ist Geld“, sagt Jakob. Aber das stimme nicht: „Zeit ist Leben.“Er zeigt rauf, auf den Hügel, wo die Eigentumsh­äuser des Neubaugebi­etes stehen: „Kein Haus unter 500 000 Euro. 30 Lebensjahr­e.“

Sein Häuschen hingegen schenkt ihm Lebenszeit, Tag für Tag. MiniPutzau­fwand. Mini-Nebenkoste­n. Eine Tonne Holzbriket­ts oder Buchenholz für den Badeofen reiche ein Jahr, erklärt Jakob. Macht rund 250 Euro. Dazu komme noch das Methanol für den Campingkoc­her in der Küche, 30 Euro für zehn Liter. Einmal im Jahr ein neuer Schwebstof­ffilter und eine UV-Lampe für die Wasserrein­igung für zusammen vielleicht 120 Euro. Dann noch die

Müllabfuhr. Viel mehr ist es nicht.

„Mit 1000 Euro im Monat komme ich sehr gut aus“, sagt Jakob. Davon bekomme er etwa 250 Euro als Spenden von Besuchern. An jedem ersten Samstag im Monat öffnet er sein Haus, Tag der offenen Tür, führt 50 bis 100 Interessie­rte in Kleingrupp­en herum. Das restliche Geld komme durch Vorträge und Workshops herein. „Und immer wieder gibt es Menschen, die mir für meine Beratung etwas bezahlen.“So wie Klemens Jakob das sagt, klingt es wie ein kleines Wunder.

Der Hausbau selbst hat Jakob zwar einiges an Zeit und, als Pionier, natürlich auch an Nerven gekostet, aber was das Geld angeht: Viel mehr als 50 000 bis 60 000 Euro Materialko­sten kamen nicht zusammen.

Die Idee für das genügsame Zuhause war ihm 2015 gekommen, erzählt Jakob. Er arbeitete damals für die Photovolta­ikfirma seines Sohnes. Super Sache, so hatte er lange gedacht: „Wir verdienen unser Geld. Die Kunden verdienen ihr Geld. Und gemeinsam retten wir die Welt.“Doch allzu oft erlebte er, was unter Wirtschaft­swissensch­aftlern als Rebound-Effekt bekannt ist: Die eingespart­e Energie, das eingespart­e Geld wurden reinvestie­rt – in Dinge, die nicht gerade im Sinne des Klimaschut­zes sind. Als Jakobs

Kunden am Wechselric­hter sehen konnten, wie viel CO2 sie einsparten, setzte sich bei einigen von ihnen der imaginäre Rechenschi­eber in Bewegung, erzählt er. „Und dann ging das klack-klack-klack: Dafür können wir einmal mehr in den Urlaub fliegen. Oder ein dickeres Auto kaufen.“

Jakob stieg aus dem Solarstrom­geschäft aus. Und ersann und erbaute, gemeinsam mit Unterstütz­ern, sein „Ownhome“, wie er es nannte. „Eigen-Heim“. Was man im Sinne von „selbst besitzen“verstehen kann und im Sinne von „selber machen“. Im Frühjahr 2016 begannen die Bauarbeite­n. Im Herbst 2017 konnte er einziehen.

Klemens Jakob könnte Kapital aus seiner Idee schlagen, Tiny Houses sind in Deutschlan­d seit Jahren im Trend. Doch er möchte mit dem kleinen Haus nicht das große Geld scheffeln. Damit, glaubt er, würde er ja nur wieder Teil jener kapitalist­ischen Wachstumsl­ogik, die die Probleme erzeugt, zu deren Lösung er beitragen will. Kaufen kann man das „Ownhome“deshalb nicht. Aber gerne selbst bauen, sagt Jakob. Alles was man dafür brauche, finde man über die Webseiten www.ownworld.org und www.sobawi.de. „Sobawi“steht für „Solidarisc­he Bauwirtsch­aft“, Klemens Jakob hat gemeinsam mit Mitstreite­rn einen Verein gleichen Namens gegründet. Hier finden sich eine Reihe von Tipps, wie man selbst zum Minihaus-Baumeister wird, auch Pläne für verschiede­ne Hausmodell­e, für die bereits Baugenehmi­gungen vorliegen. Außerdem könne man ihn jederzeit um Rat fragen, sagt Jakob und lächelt: „Es gibt also keine Ausreden.“

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