„Der Trick ist der positive Blick“
Wer seine Resilienz-Fähigkeiten weiterentwickelt, ist besser für Krisen gewappnet – Die Psychologin Isabella Helmreich erklärt, worauf es dabei ankommt
Manche Menschen kommen mit Krisensituationen anscheinend besser zurecht als andere. Das ist kein Zufall, sondern hängt mit der seelischen Widerstandskraft zusammen, sagt die Resilienzforscherin Isabella Helmreich aus Mainz im Interview mit Kristina Staab.
Aktuell, während der Corona-Krise, sind viele Menschen mit existenziellen Sorgen konfrontiert. Kann man sich psychisch für solche Situationen wappnen?
Das geht, und zwar indem man sich zuerst einmal bewusst macht, dass es gerade eine außergewöhnliche Situation ist. Daher ist es normal, Stress und Ängste zu haben oder sich über Einschränkungen zu ärgern. Diese Gefühle sind erst mal nichts Schlimmes.
Und wer das erkannt hat, kann sich dann mit diesen Gefühlen auseinandersetzen?
Genau, dann kann ich mir überlegen, was genau mich im Moment ärgert oder ängstigt. Im nächsten Schritt kann man schauen, wie man diese Gefühle verändern kann. Dabei hilft es zum Beispiel, seinen Fokus zu verschieben. Wenn ich mich also über Einschränkungen ärgere, kann ich mir Menschen vorstellen, die besonders gefährdet sind, und daran denken, dass ich dabei helfe, sie zu schützen. Indem ich also Mitgefühl entwickle, bekomme ich einen anderen Blick auf meine Gefühle. Die Einschränkungen sind zwar unangenehm, aber an sich etwas Gutes.
Das ist der emotionsorientierte Ansatz der Resilienzforschung. Bevor wir tiefer auf die Fähigkeit eingehen, was bedeutet Resilienz überhaupt?
Das Wort hat einen lateinischen Ursprung: „resilire“bedeutet übersetzt abprallen oder zurückspringen. Der Begriff wird auch in der Physik und Materialkunde verwendet, für Werkstoffe, die sich verformen lassen, aber wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren – wie etwa ein Schwamm. Diese Eigenschaft hat man auf den Menschen übertragen. Wer in stressigen Lebensumständen seine psychische Gesundheit aufrechterhält oder schnell wieder herstellt, gilt als resilient. Der Trick besteht darin, sich sogar während einer Krise einen positiven Blick auf die Dinge zu erhalten.
Wahrscheinlich erlebt jeder Mensch irgendwann einmal eine Krise im Leben. Kann jeder Resi
lienz lernen, um sich psychisch zu schützen?
Ja, das ist das Schöne. Früher dachte man, Resilienz sei eine unveränderliche Persönlichkeitseigenschaft, aber die neue Forschung zeigt eindeutig, dass jeder Resilienz erlernen kann. Zum Teil ist die Eigenschaft genetisch veranlagt, man schätzt, dass es zwischen 30 und 50 Prozent sind. Aber meine Resilienz hängt auch von meiner Lebenserfahrung ab. Beispielsweise: Sind meine Eltern auf mich eingegangen? Ein großer Teil ist auch über die ganze Lebensspanne hinweg erlernbar.
Gibt es neben dem emotionsorientierten Ansatz noch weitere Herangehensweisen?
Insgesamt geht es darum, schwierige Situationen aktiv zu bewältigen. Sofern das möglich ist, kann ich mir auch problemorientiert Lösungen überlegen. Sogenannte Resilienzfaktoren helfen außerdem dabei, eine positive psychische Einstellung zu wahren. Dazu gehört etwa die Selbstwirksamkeit – ich weiß, ich habe die Fähigkeiten, Dinge zu bewirken und bin nicht Opfer, sondern Schöpfer meiner Welt. Dann der Optimismus – das Gefühl, dass sich alles zum Positiven wenden wird, gibt den nötigen Schwung, um aktiver an die Sachen heranzugehen.
Ist ein Faktor besonders wichtig?
Besonders gut in der Forschung untersucht ist die soziale Unterstützung. Bereits das Wissen, dass ich ein soziales Netzwerk um mich herum habe, auf das ich zurückgreifen kann, hilft. Außerdem ist kognitive Flexibilität im Gegensatz zu starren Denkmustern für die Psyche positiv, da sie ermöglicht, verschiedene Strategien anzuwenden. Spiritualität, beziehungsweise der Glaube, hilft, Sinn in einer Krise zu sehen – etwa „Gott prüft mich“. Es kann aber auch negativ für meinen Glauben sein, wenn etwas Schlimmes passiert und ich Gott – oder woran auch immer ich glaube – infrage stelle.
Wie kann ich Resilienz erlernen?
Beispielsweise das Erleben von positiven Emotionen lässt sich gut trainieren. Resiliente Menschen haben einen guten Blick für die schönen, kleinen Dinge des Lebens. Nicht die Freude über einen Lottogewinn oder die eigene Hochzeit sind entscheidend, sondern jene über ein Lächeln, über jemanden, der mir hilft, über den Sonnenschein oder das Singen eines Vogels.
Das hört sich in der Theorie relativ einfach an. In welche Richtung geht derzeit Ihre Forschung?
Unser Fokus liegt auf dem Gehirn als Resilienzorgan. Deswegen versuchen wir, dessen Funktionsweise durch neurobiologische und psychologische Forschung an Menschen und Tieren zu entschlüsseln. Wir wollen herausfinden, was im Gehirn wichtige Strukturen sind, die bei resilienten Menschen stärker ausgeprägt und vernetzt sind. In einer Langzeitstudie untersuchen wir über vier Jahre Schulabgänger, machen Gehirnscans und neuropsychologische Test und erfassen in Fragebögen die derzeitigen Stressoren und die psychische Gesundheit. Wir wollen so Möglichkeiten finden, Strukturen
im Gehirn zu stärken. Das hätte nämlich eine breitere Wirkung als der Versuch, nur einzelne Resilienzfaktoren zu verbessern.
Woran kann ich erkennen, ob ich resilient bin?
Resilienz ist etwas sehr Individuelles und hängt immer von der Situation ab. Je nachdem, in welcher Krise ich stecke, brauche ich unterschiedliche Faktoren und Fähigkeiten. Das bedeutet: Nur weil man ein resilienter Mensch ist, überwindet man nicht jede Krise. Das Schöne bei resilienten Menschen ist, dass es für sie keine absolute Katastrophe ist, wenn sie scheitern. Sie erkennen ihr Entwicklungspotential und prägen den entsprechenden Resilienzfaktor besser aus.
Manche sehen das Resilienzkonzept auch kritisch ...
Ja, dem Resilienzkonzept wird oft vorgeworfen, dass es nur auf Einzelne bezogen ist. Aus Arbeitnehmern solle durch Selbstoptimierung noch mehr herausgepresst werden. Doch das soll Resilienz gerade nicht sein, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in der auch Politik und Arbeitgeber daran arbeiten, resilienzförderliche Arbeits- und Lebensbedingungen zur Verfügung zu stellen, damit jeder sein Potenzial entfalten kann. Und genau diese Bedingungen wollen wir herausfinden und entsprechend fördern, damit die Menschen in unserer schnelllebigen Welt gesund bleiben. Der entsprechende Bereich wird gerade in unserem Institut aufgebaut.
Können Sie für die Wissenschaft auch aus der Corona-Krise Erkenntnisse ziehen?
Ja, in zwei großen Onlinestudien befragen wir zum einen Gesundheitsfachkräfte und zum anderen die Allgemeinbevölkerung, was ihnen hilft, mit der aktuellen Situation umzugehen. Wir wollen herausfinden, welche die größten Stressoren in der Corona-Zeit sind, und welche Strategien am besten wirken, um mit diesen umzugehen. In einer ersten Zwischenauswertung von 5000 europäischen Teilnehmern haben wir festgestellt, dass diejenigen besonders gut mit einer Krise umgehen können, die sie eher als Herausforderung und nicht so extrem als Bedrohung sehen und den Blick für das Positive – auch in dieser schwierigen Situation – behalten.