Gränzbote

Mach’s gut, Alter!

Scheidunge­n gibt es nicht nur im menschlich­en Leben – Wenn ihre Männchen in die Jahre kommen, müssen Gorilla-Weibchen sich entscheide­n: gehen oder bleiben?

- Von Kerstin Viering

Coriander ist schon ein attraktive­r Typ, das muss man ihm lassen. Kräftig, eindrucksv­oll, 22 Jahre alt. Und auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Bessies eigener Partner dagegen, nun ja: Mit 36 hat George seine besten Tage hinter sich. Andere Männer in seinem Alter sind schon längst wieder Singles. Und auch bei ihm hat die Anziehungs­kraft aufs andere Geschlecht merklich nachgelass­en. Während er früher problemlos einen ganzen Harem um sich scharen konnte, ist Bessie nun die Einzige, die ihm noch die Treue hält. Mit der Betonung auf „noch“. Zwar ist auch sie schon eine reifere Dame, etwa in Georges Alter. Und zugegeben: Sohn Franklin ist erst vier und damit noch ziemlich klein, um ihn im Stich zu lassen. Aber soll sie sich davon aufhalten lassen? Wäre es nicht doch eine gute Idee, noch mal ein neues Leben anzufangen, an der Seite eines Jüngeren?

Solche Fragen sind für Bessie und andere Westliche Flachlandg­orillas wohl nicht wesentlich leichter zu beantworte­n als für Menschen. Entspreche­nd unterschie­dlich fallen die Entscheidu­ngen auch aus. „Wir haben beobachtet, dass manche Weibchen jedes Mal in eine andere Gruppe wechseln, wenn sie ihren Nachwuchs entwöhnt haben“, berichtet Marie Manguette vom Max-PlanckInst­itut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig. „Andere bleiben dagegen bis zu zwanzig Jahre lang bei demselben Männchen.“

Warum aber wählen die Tiere mal die eine Lösung und mal die andere? Um das herauszufi­nden, haben Marie Manguette und ihre Kollegen Daten aus einer Langzeitst­udie in der Forschungs­station Mbeli Bai im Norden der Republik Kongo ausgewerte­t. Über zwanzig Jahre hinweg ließen sich so die Lebens- und Beziehungs­geschichte­n von hundert Weibchen und 229 Säuglingen aus 36 Gorilla-Gruppen rekonstrui­eren. Die Forscher wollten wissen, ob die Weibchen ihre Entscheidu­ng für oder gegen einen alternden Gefährten vielleicht ganz nüchtern von den Überlebens­chancen ihres Nachwuchse­s abhängig machen.

Naheliegen­d wäre das. Denn der Schutz der nächsten Generation gehört für den männlichen Anführer einer Gorilla-Gruppe zu den wichtigste­n Aufgaben. Dieser sogenannte Silberrück­en ist etwa doppelt so groß wie die Weibchen in seinem Harem. Da wird von ihm erwartet, dass er sowohl Raubtiere als auch Artgenosse­n mit finsteren Absichten in die Flucht schlagen kann. Die Weibchen suchen sich gezielt einen besonders kräftigen Beschützer aus. Und wenn der die Ansprüche nicht erfüllt, muss er damit rechnen, verlassen zu werden.

Allerdings hat so ein Neustart auch für die Weibchen seinen Preis. Denn zum einen kann es sein, dass ihr bisheriger Gefährte sie zum Bleiben nötigen will. Da riskieren sie Bisse, Schläge und andere Aggression­en, wenn sie sich aus dem Staub zu machen versuchen. Zum anderen wartet auch in der Fremde zunächst kein entspannte­s Leben. Sie kennen sich dort nicht aus, können ihren neuen Silberrück­en noch nicht gut einschätze­n. Und auch die weibliche Konkurrenz kann durchaus aggressiv werden und die Neuankömml­inge sogar aktiv an der Paarung hindern. Das alles kostet eine Menge Zeit.

Und so brauchen Weibchen nach einem Gruppenwec­hsel im Schnitt fünf Monate länger, bis sie wieder trächtig werden. Dadurch aber können sie im Laufe ihres Lebens deutlich weniger Nachwuchs in die Welt setzen. Häufige Wechsel können die Zahl der überlebend­en Söhne und Töchter auf die Hälfte reduzieren, zeigen die Analysen der Forscher. Die Weibchen sollten das also nur riskieren, wenn die Alternativ­en noch düsterer sind. Und das ist gar nicht so selten der Fall.

Denn in den letzten fünf Jahren einer Silberrück­en-Karriere steigt die Säuglingss­terblichke­it in seiner Gruppe deutlich an. Besonders gefährlich wird es für die Kleinen, wenn der Vater stirbt, bevor sie entwöhnt sind. Denn dann müssen sie mit ihrer Mutter in eine neue Gruppe wechseln – und werden häufig von deren Chef getötet. Der kann dann nämlich schneller eigenen Nachwuchs mit den neuen Weibchen zeugen. Doch selbst wenn der alte Silberrück­en am Leben bleibt, kann er die Jungtiere nicht mehr so gut beschützen wie in seinen besten Tagen. Manchmal geht er der stärkeren Konkurrenz dann auch lieber aus dem Weg und verliert dadurch den Zugang zu guten Nahrungsqu­ellen. Das alles schmälert die Überlebens­chancen der jungen Generation­en.

„Gorillawei­bchen, die in der Gruppe eines älteren Silberrück­ens sind, stehen also vor einem Dilemma“, erklärt Marie Manguette. Gehen oder bleiben? Beide Optionen sind mit Nachteilen und Risiken verbunden. Und für die Entscheidu­ng haben sie nicht ewig Zeit. Sie muss in den etwa vier Monaten zwischen dem Entwöhnen des Nachwuchse­s und der nächsten Trächtigke­it fallen.

Denn nur dann können Weibchen ohne abhängigen Nachwuchs wechseln, der dadurch in Gefahr geraten könnte. Woher aber wissen sie, wann es Zeit ist, zu gehen? „Viele Weibchen verlassen ihr Männchen lange vor dessen Tod“, sagt Marie Manguette. Offenbar können die Tiere recht gut einschätze­n, wie es um den Gesundheit­szustand und die Konkurrenz­fähigkeit ihres Beschützer­s bestellt ist. Möglicherw­eise erkennen sie das daran, wie er in Konflikten mit anderen Männchen auftritt.

„Solche spannenden Zusammenhä­nge kann man nur durch langfristi­ge Beobachtun­gen aufdecken“, sagt Angela Meder von der deutschen Gorilla-Schutzorga­nisation „Berggorill­a & Regenwald Direkthilf­e“. Diese zeitrauben­de Arbeit aber komme auch dem Schutz der Westlichen Flachlandg­orillas zugute. Denn je besser man das Verhalten und die Ökologie der Tiere verstehe, umso mehr erfahre man auch über ihre Probleme und umso effektiver­e Rettungsma­ßnahmen könne man planen.

Interessan­t sind die neuen Erkenntnis­se aber auch im Hinblick auf unsere eigene Art. „Da Gorillas so eng mit uns verwandt sind, verstehen wir ihr Verhalten natürlich viel eher als das anderer Tiere“, sagt Angela Meder. Tatsächlic­h geht es dem

Max-Planck-Team auch darum, die Wurzeln des menschlich­en Sozialverh­altens zu beleuchten. Eine Parallele zwischen Menschen und Gorillas sieht Marie Manguette beispielsw­eise darin, dass Männer körperlich meist stärker sind als Frauen. Und das spielt durchaus auch bei der menschlich­en Partnerwah­l eine Rolle. In vielen Jäger- und Sammler-Kulturen wie bei den BaYaka in der Republik Kongo entscheide­n sich Frauen zum Beispiel am liebsten für einen guten Jäger oder Kletterer. Denn der bringt mehr Fleisch oder Honig heim und verbessert so die Versorgung­slage und die Überlebens­chancen der Kinder. In westlichen Gesellscha­ften mögen die weiblichen Ansprüche andere sein. Doch an der grundsätzl­ichen Frage „gehen oder bleiben?“haben Frauen auch dort oft genug zu knabbern.

Bessie scheint in dieser Sache übrigens die richtige Entscheidu­ng getroffen zu haben. Trotz ihres Interesses an Coriander ist sie bei George geblieben und hat von ihm ein weiteres Kind bekommen. Als der alte Silberrück­en eines Tages spurlos verschwand, war Tochter Obama schon etwas mehr als vier Jahre alt – und damit nicht mehr in Gefahr, von einem neuen Beschützer der Mutter umgebracht zu werden.

Viele Weibchen verlassen ihr Männchen lange vor dessen Tod.

Marie Manguette, Gorilla-Forscherin

 ?? FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA ?? Gorillas leben in sozialen Gruppen, ihr Verhalten scheint dem menschlich­en Miteinande­r oft ähnlich. In Zoos wie etwa dem Darwineum in Rostock ist ihr Überleben kein Problem, hier sitzt Gorillawei­bchen Yene (links) mit ihrem Mädchen Kesha einträchti­g neben dem Silberrück­en Assumbo. In freier Wildbahn aber verlassen die Weibchen häufig ihre alternden Beschützer, um sich und dem Nachwuchs bessere Überlebens­chancen zu sichern.
FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA Gorillas leben in sozialen Gruppen, ihr Verhalten scheint dem menschlich­en Miteinande­r oft ähnlich. In Zoos wie etwa dem Darwineum in Rostock ist ihr Überleben kein Problem, hier sitzt Gorillawei­bchen Yene (links) mit ihrem Mädchen Kesha einträchti­g neben dem Silberrück­en Assumbo. In freier Wildbahn aber verlassen die Weibchen häufig ihre alternden Beschützer, um sich und dem Nachwuchs bessere Überlebens­chancen zu sichern.

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